„Heute sind Bronchiektasen viel mehr im Fokus als noch vor zehn Jahren“
Amsterdam – In diesem Jahr hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde das erste Medikament zur Behandlung von Bronchiektasen zugelassen. In Europa steht die Zulassung allerdings noch aus.
Wie sich die Versorgung der Betroffenen in den vergangenen Jahren entwickelt hat und welche Bedeutung ein zugelassenes Medikament für Patientinnen hat, berichtete Jessica Rademacher dem Deutschen Ärzteblatt auf dem Kongress der European Respiratory Society (ERS). Die Pneumologin hat das deutsche Bronchiektasen-Register PROGNOSIS mitgegründet und gehört zur Vorstandsgruppe.

5 Fragen an Jessica Rademacher, Fachärztin für Innere Medizin und Pneumologie, Medizinische Hochschule Hannover und Pneumologie Süderelbe
Auf dem ERS-Kongress haben Sie Daten aus dem deutschen Bronchiektasen-Register vorgestellt. Demnach steigt die Prävalenz. Weshalb ist das so?
Die Prävalenzen steigen, weil wir mehr Diagnostik machen. Bronchiektasen waren über Jahre eine vernachlässigte Erkrankung. Es gab früher keine Diagnostik und Therapieempfehlungen, keine Leitlinie und keine zugelassenen Medikamente.
Wenn man Patienten oder Patientinnen mit Dilatationen der Atemwege und einer passenden Symptomatik mit Husten und Auswurf hatte, wusste man nicht, was man mit den Betroffenen machen soll. Aber das hat sich in den vergangenen Jahren deutlich geändert.
2011 habe ich mit Tobias Welte im Deutschen Ärzteblatt einen Artikel zu Bronchiektasen geschrieben, in dem wir das erste Mal in Deutschland gesagt haben, dass Bronchiektasen eine unterschätzte Erkrankung sind. Damals haben wir über den Aufbau eines Registers nachgedacht.
Mittlerweile gibt es seit 2015 das Deutsche Bronchiektasen-Register PROGNOSIS. Ziemlich zeitgleich wurde das europäische Register EMBARC aufgebaut, mit dem wir kooperieren. Heute sind Bronchiektasen viel mehr im Fokus als noch vor 10 Jahren.
So wurde auf dem ERS-Kongress zum Beispiel die neue europäische Bronchiektasie-Leitlinie vorgestellt. Früher konnte man auf dem Kongress kaum Sessions zu Bronchiektasien finden und jetzt gibt es einen großen Pavillon und sehr viele Symposien.
Wie viele Menschen sind von Bronchiektasen betroffen?
2013 waren es 67 Betroffene auf 100.000 Einwohner in Deutschland, jetzt sind wir mindestens bei 120. Allerdings muss man klar die Bronchiektasen als CT-Diagnose von einer Bronchiektasen-Erkrankung mit einer typischen Symptomatik unterscheiden. Vermutlich gibt es eine Art Überdiagnostik von Bronchiektasen in der Bildgebung und eine Unterdiagnostik der Bronchiektasen-Erkrankung.
Was ist die häufigste Ätiologie?
Etwa ein Drittel der Erkrankungen sind idiopathisch, wobei die Zahl der idiopathischen Krankheitsfälle unter anderem mithilfe des Registers und einer ausführlicheren Diagnostik zur Ätiologie abgenommen hat. Am zweithäufigsten ist die postinfektiöse Ursache der Bronchiektasen, zum Beispiel nach einer schweren Infektion in der Kindheit oder posttuberkulös. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob die Bronchiektasen oder die Infektion zuerst da war.
Als dritthäufigste Ätiologie kann man die großen Atemwegserkrankungen Asthma und chronisch obstruktive Lungenerkrankung nennen, gefolgt von selteneren Immundefekten oder der primären ziliären Dyskenesie.
Welche Bedeutung hat die Zulassung von Brensocatib in den USA als erstem zugelassenen Medikament gegen Bronchiektasen?
Als die Phase-3-Studie veröffentlicht wurde, haben wir gefeiert. In den letzten 10 Jahren hat man inhalative Antibiotika in Studien untersucht, die sind aber alle negativ verlaufen. Bei Brensocatib war das anders.
Vermutlich ist Brensocatib nicht der absolute Gamechanger, aber wir hoffen, dass es für eine bestimmte Art von Patientinnen und Patienten eine gute Wirkung hat und zu einer Stabilisierung der Erkrankung führt. Es ist ein Dipeptidylpeptidase-1-(DPP-1)-Hemmer. Dieses Enzym wird von neutrophilen Granulozyten freigesetzt und schädigt die Bronchialwände.
Besonders profitieren also Personen mit einer neutrophilen Inflammation, Menschen mit häufigen Exazerbationen und diejenigen, die mit einer Basistherapie nicht zu stabilisieren sind. Für diese Patientinnen und Patienten macht das zugelassene Medikament vermutlich einen großen Unterschied.
In der Praxis sieht man aber auch viele Patientinnen und Patienten, die nur eine leichte Erkrankung haben. Da reicht häufig Atemwegsmanagement aus. Immer mehr Daten sagen allerdings auch, dass die Therapie nicht zu spät begonnen werden darf: Wenn der Gewebsschaden da ist, können wir auch damit nichts mehr machen. Wir hoffen auch in Europa auf eine baldige Zulassung von Brensocatib.
Welche anderen Mittel stehen zur Therapie zur Verfügung?
Off Label können bei Menschen mit häufigen Exazerbationen auch Makrolide, zum Beispiel Azithromycin gegeben werden. In Studien konnte man damit ebenfalls eine gute Reduktion von Exazerbationen zeigen. Allerdings bergen Makrolide die Gefahr von kardialen Nebenwirkungen.
Zusätzlich ist die Dauertherapie mit einem Antibiotikum problematisch, insbesondere sollte man vorher nicht tuberkulöse Mykobakterien ausschließen. Ob man ein Off-Label-Medikament mit einigen Nebenwirkungen weiterhin verordnet, wenn es eine zugelassene Alternative gibt, wird interessant.
In der Pipeline stehen aber noch andere Mittel. Es gibt zum Beispiel zwei weitere DPP-1-Hemmer in klinischen Studien. Eins mit dem Namen HSK31858 hat die Phase 2 abgeschlossen und ein weiteres namens Verducatib hat die Phase 3 begonnen. Außerdem wird an Biologika und antipseudomonalen Substanzen geforscht. Es bleibt also spannend.
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