HIV: Forscher halten Prävention mit breitneutralisierenden Antikörpern trotz gescheiterter Studie für möglich

Seattle – Regelmäßige Infusionen mit dem breitneutralisierenden Antikörper VRC01, der vor 11 Jahren im Blut eines HIV-Infizierten entdeckt wurde und inzwischen in rekombinanten Zellen hergestellt wird, hat in einer Phase-2-Studie bei Cisgender-Männern und Transgender-Personen in Amerika und Europa sowie in einer weiteren Phase-2-Studie bei Frauen in Afrika HIV-Infektionen nicht sicher verhindern können.
Laut dem Bericht im New England Journal of Medicine (2021; DOI: 10.1056/NEJMoa2031738) war jedoch eine präventive Wirkung gegen bestimmte HIV-Varianten erkennbar, die auf bessere Ergebnisse in den laufenden Studien mit mehreren Antikörpern hoffen lassen.
Forscher des US-National Institute of Allergy and Infectious Diseases hatten 2010 den Antikörper VRC01 im Blut eines HIV-infizierten entdeckt. Sie hatten damals gezielt nach Antikörpern gesucht, die die Rezeptorbindungsstelle auf der Hülle des HI-Virus erkennen und dadurch im Prinzip verhindern, dass die Viren am CD4-Rezeptor der T-Zellen andocken und diese infizieren können.
Da die Viren diese Stelle kaum variieren können, ohne ihre Infektiosität einzubüßen, wurde VRC01 als breitneutralisierender Antikörper eingestuft und für die ersten beiden AMP-Studien („Antibody Mediated Prevention“) ausgewählt.
In diesen Studien wurde untersucht, ob Personen mit einem hohen Infektionsrisiko durch Infusionen von VRC01 vor einer Ansteckung geschützt werden können. Dies war ein hoher Anspruch, denn um eine chronische HIV-Infektion zu verhindern, muss der Antikörper die eingedrungenen Viren neutralisieren, bevor diese Reservoire im Körper bilden können.
An der HVTN 704/HPTN 085-Studie nahmen an 19 Zentren in den USA, Peru, Brasilien und der Schweiz insgesamt 2.699 Cisgender-Männer und Transgender-Personen teil, deren Infektionsrisiko aufgrund von riskanten Sexualpraktiken als hoch eingestuft wurde. An der Studie HVTN 703/HPTN 081 nahmen 1.924 Frauen aus afrikanischen Ländern südlich der Sahara teil, die wegen der hohen HIV-Prävalenz dort als gefährdet eingestuft wurden.
In beiden Studien erhielten die Teilnehmer alle 8 Wochen eine Infusion, die in einer Gruppe jeweils 10 mg/kg VRC01 enthielt. In der 2. Gruppe war die Dosis mit 30 mg/kg VRC01 3 Mal so hoch, in der 3. Gruppe enthielten die Infusionen keine Antikörper. Primärer Endpunkt in beiden Studien war die Zahl der HIV-Infektionen.
Das Ziel, die Teilnehmer vor einer Infektion zu schützen, wurde in keiner der beiden Studien erreicht. In der HVTN 704/HPTN 085-Studie kam es im Verlauf von 80 Wochen in der Niedrigdosisgruppe zu 32 HIV-Infektionen, in der Hochdosisgruppe zu 28 HIV-Infektionen gegenüber 38 HIV-Infektionen in der Placebogruppe.
Larry Corey vom Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle und Mitarbeiter ermittelten für beide Dosierungen zusammengenommen eine geschätzte Präventionswirkung von nur 26,6 %, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von minus 11,7 % bis 51,8 % nicht signifikant war.
In der HVTN 703/HPTN 081-Studie waren die Ergebnisse nicht besser. In der Niedrigdosisgruppe infizierten sich 28 Frauen mit HIV. In der Hochdosisgruppe waren es 19 Frauen gegenüber 29 Frauen in der Placebogruppe. Die Präventionswirkung betrug hier nur 8,8 % (-45,1 % bis 42,6 %).
Corey führt die fehlende Wirkung darauf zurück, dass sich viele Personen mit HIV-Varianten infiziert hatten, die von VRC01 nicht erkannt wurden. Dies zeigen die Ergebnisse von Labortests, mit denen bei allen Infizierten die neutralisierende Fähigkeit von VRC01 untersucht wurde. Im Drittel mit der höchsten in vitro-Sensitivität erzielte VRC01 eine Präventionswirkung von 75,4 % (45,5 bis 88,9 %), bei den übrigen 2/3 war keine Wirkung nachweisbar.
Die Forscher betrachten das Projekt einer passiven Immunisierung deshalb nicht als gescheitert. Da es in den meisten Ländern verschiedene Virusvarianten gebe, würde wohl mehr als ein Antikörper benötigt, um einen wirksamen Schutz vor einer Infektion zu erzielen, schreiben sie. Im Prinzip sei dies mit der antiretroviralen Behandlung vergleichbar, die sich auch erst als wirksam erwiesen hatte, seitdem mehrere Wirkstoffe gleichzeitig eingesetzt werden.
Dieses Prinzip wird jetzt in den laufenden AMP-Studien verfolgt. In den Studien NCT04173819 und NCT04212091 werden die Teilnehmer mit 2 breitneutralisierenden Antikörpern behandelt. In der Studie NCT03875209 kommt ein bispezifischer und in der Studie NCT03705169 ein trispezifischer Antikörper zum Einsatz.
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