Medizin

Infliximab könnte Immunantwort auf SARS-CoV-2 behindern

  • Mittwoch, 24. März 2021
Tumor-Nekrose-Faktor alpha/ molekuul.be, stock.adobe.com
Tumor-Nekrose-Faktor alpha/ molekuul.be, stock.adobe.com

Exeter – Die Behandlung mit dem Biologikum Infliximab, das mit dem Tumor-Nekrose-Faktor alpha ein für die Abwehr von Viren benötigtes Zytokin hemmt, beeinträchtigt offenbar die Immunantwort auf SARS-CoV-2. Die zeigt die in Gut (2021; DOI: 10.1136/gutjnl-2021-324388) veröffentlichte Analyse eines Patientenregisters für entzündliche Darmerkrankungen, bei denen Infliximab häufig eingesetzt wird.

Viele mit Infliximab behandelte Patienten produzierten nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 nur wenige Antikörper oder es kam gar nicht zur Serokonversion. Beides könnte die Patienten anfälliger für chro­nische Infektionen oder eine Reinfektion machen.

Das Biologikum Infliximab gehört zu den bevorzugten Medikamenten zur Behandlung von Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Weitere Indikationen sind die rheumatoide Arthritis und verwandte Erkrankungen. Das Mittel wird in der Regel eingesetzt, wenn eine Basistherapie mit Methotrexat das Fortschreiten der Erkrankung nicht aufhalten kann. Weltweit sollen 2 Millionen Patienten mit Infliximab behandelt wer­den.

Dass die Blockade des Tumor-Nekrose-Faktors alpha das Infektionsrisiko erhöht, ist bekannt. Den Patien­ten wird deshalb zur Vorsicht geraten (etwa zu Impfungen vor Beginn der Behandlung). Infektio­nen lassen sich jedoch in einer Pandemie nicht immer vermeiden.

Britische Forscher haben deshalb ein Patienten-Register („CLARITY IBD“) eingerichtet, das die Erfahrun­gen zu COVID-19 bei Patienten mit entzündlichen Darmerkrankungen sammelt, die mit Infliximab oder Vedolizumab behandelt werden. Vedolizumab wurde als Vergleichssubstanz gewählt, da es bei densel­ben Patienten (in der Regel bei fehlender Wirkung von Infliximab) eingesetzt wird, anders als Infliximab jedoch die Immunabwehr von Infektionen nicht behindert.

Wie ein Team um Tariq Ahmad von der Universität Exeter jetzt berichtet, wurden zwischen September und Dezember 2020 an 92 Kliniken insgesamt 6.935 Patienten (Durchschnittsalter 39 Jahre) für die „CLARITY IBD“-Studie rekrutiert: Rund 2/3 (4.685) von ihnen wurden mit Infliximab und rund 1/3 (2.250) mit Vedolizumab behandelt.

In beiden Gruppen erkrankten gleich viele Patienten mit Symptomen von COVID-19 (8,3 % in der Inflixi­mab-Gruppe und 8,9 % in der Vedolizumab-Gruppe), und auch der Anteil mit einem positiven PCR-Test (5,2 % versus 4,3 %) war annähernd gleich groß. Der Anteil der Patienten, bei denen später der Antikör­pertest positiv ausfiel, war mit 3,4 % (161 von 4.685 Patienten) gegenüber 6 % (134 von 2.250 Patienten) jedoch deutlich geringer.

Die weiteren Analysen ergaben, dass in der Infliximab-Gruppe nur 39 von 81 Patienten (48 %), deren Infektion durch einen PCR-Test bestätigt wurde, anschließend Antikörper entwickelten verglichen mit 30 von 36 Patienten (83 %) aus der Vedolizumab-Gruppe. Bei den Patienten, die neben Infliximab noch mit anderen Immunsuppressiva wie Methotrexat behandelt wurden, betrug die Serokonversionsrate sogar nur 37 % (15 von 41 Patienten).

Wenn es zu einer Serokonversion kam, waren die Antikörper-Titer deutlich geringer als in der Vedolizu­mab-Gruppe. Ob die mit Infliximab behandelten Patienten tatsächlich häufiger ein 2. Mal an COVID-19 erkranken, konnte die Studie nicht klären. Ahmad weist darauf hin, dass die Antikörpertests nur die humorale Immunantwort messen. Es sei möglich, dass die Patienten durch T-Zellen ausreichend vor einer Reinfektion geschützt würden.

Eine weitere Gefahr sieht der Experte jedoch in chronischen Infektionen. Es sei möglich, dass die immun­­supprimierenden Medikamente die dauerhafte Besiedlung des Nasopharynx mit SARS-CoV-2 begün­stigen. Dann könnten die Patienten als Dauerausscheider für ihre Mitmenschen zur Gefahr werden.

Eine chronische Infektion begünstigt auch die Entwicklung von Virusvarianten wie B.1.1.7. Experten halten es für möglich, dass diese Variante bei einem Patienten mit chronischer SARS-CoV-2-Infektion ist. Einen Beweis dafür gibt es zwar nicht. Eine Nachbeobachtung von Patienten, die mit Infliximab behandelt werden und sich mit SARS-CoV-2 angesteckt haben, erscheint jedoch ratsam.

Die Behandlung mit Infliximab könnte übrigens verhindern, dass die Patienten schwer an COVID-19 erkranken, weil der Antikörper möglicherweise einen Zytokinsturm verhindert. Die Wirksamkeit von Infliximab bei COVID-19 wird derzeit in einer Therapiestudie untersucht. Eine weitere Studie untersucht die Wirksamkeit von Adalimumab, das ebenfalls den Tumornekrosefaktor hemmt.

rme

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