Kälte-Urtikaria: Genetische Ursache weist auf wirksame Therapie hin
Berlin − Mit einer Genom-Sequenzierung lassen sich die Ursachen von Erbkrankheiten heute relativ schnell ergründen. Manchmal ergeben sich dadurch überraschende neue Therapieansätze, wie bei mehreren Mitgliedern einer Familie, die unter einer Kälte-Urtikaria litten, die nicht auf die übliche Behandlung ansprach.
Dermatologen der Berliner Charité berichten in Nature Communications (2020; doi: 10.1038/s41467-019-13984-8), wie sie die Patienten von ihrer Kälte-induzierten Nesselsucht befreien konnten.
Bei Patienten mit einer Kälte-Urtikaria bilden sich bei fallenden Temperaturen stark juckende Quaddeln auf der Haut. Die Kälte-Urtikaria kann spontan auftreten und nach einigen Jahren ebenso spontan wieder verschwinden. Es gibt aber auch Menschen, die ihr Leben lang jeden Winter erneut unter einer Nesselsucht leiden. Wenn dann noch andere Familienmitglieder betroffen sind, besteht der Verdacht auf eine genetische Erkrankung.
So bei einer Familie, die sich beim Allergie-Centrum der Berliner Charité vorgestellt hatte. Dort gibt es eine spezielle Urtikaria-Sprechstunde und die Mediziner dort haben sich auf die Behandlung der seltenen Kälte-Urtikaria spezialisiert. Auffällig an der Familie war, dass über 4 Generationen mindestens 1 Person über dieselben Symptome klagte.
Wenn die Betroffenen eine halbe Stunde lang einer Temperatur von unter 15 Grad ausgesetzt waren, entwickelte sich ein brennender Hautausschlag, der bei windigem und feuchtem Wetter besonders stark ausgeprägt war und erst Stunden nach der Rückkehr in wärmere Räume zurückging, berichtet Privatdozentin Karoline Krause von der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Campus Charité Mitte. Zusätzlich beschrieben die Patientinnen und Patienten Symptome wie Schüttelfrost, Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Abgeschlagenheit.
Die Häufung im Stammbaum und die Beteiligung beider Geschlechter deutete auf eine monogenetische Erkrankung mit einem autosomal-dominanten Erbgang hin. Die Mediziner entschlossen sich deshalb zu einer Gensequenzierung. Zunächst wurden die Gene NLRP3 und NLRP12 sequenziert, da Mutationen auf diesen Genen die Ursache des Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndroms (CAPS) sind, einer bekannten Form der erblichen Kälte-Urtikaria.
Nachdem auf diesen Genen keine Mutationen vorlagen, wurde die Suche auf weitere Gene ausgedehnt, darunter auf das Gen des Gerinnungsfaktors XII. In diesem Gen wurde eine Mutation entdeckt, die zu einer Veränderung der Aminosäuresequenz führte.
Der Faktor XII ist nicht nur an der Blutgerinnung beteiligt. Er startet auch das Kallikrein-Kininsystem, was zur Bildung des Entzündungsmediators Bradykinin führt. Störungen in diesem System sind eine bekannte Ursache des hereditären Angioödems. Die Familienmitglieder litten jedoch nicht unter den anfallsartigen und sehr schmerzhaften Hautschwellungen in tiefliegendem Gewebe, die für das Angioödem kennzeichnend sind.
In der Pathogenese gab es jedoch Überschneidungen, die die Berliner Dermatologen auf die Idee brachten, die Patienten mit einem Medikament zu behandeln, das bei Patienten mit hereditärem Angioödem wirksam und bereits zugelassen ist. Es handelt sich um den Bradykinin-Antagonisten Icatibant, der bei Patienten mit hereditären Angioödem im Akutfall eingesetzt wird.
Ein Behandlungsversuch zeigte, dass Icatibant die Kälte-Urtikaria innerhalb von 30 Minuten linderte. Nach 90 Minuten hatte sich der Hautausschlag laut Dr. Krause komplett zurückgebildet. Auch die Kopfschmerzen waren verschwunden und die Müdigkeit war deutlich zurückgegangen. Allerdings ist die Wirkungsdauer von Icatibant begrenzt. Nach etwa 12 Stunden traten die Beschwerden erneut auf.
Durch die regelmäßige Injektion von Icatibant gelang es den Betroffenen jedoch, sicher über den Winter zu kommen. Erstmals konnten sie sich auch bei Temperaturen unter 0°C im Freien aufhalten, ohne dass es zur Nesselsucht kam. Einzig die Gelenkbeschwerden klangen nicht vollständig ab.
Inzwischen gibt es mit Lanadelumab einen monoklonalen Antikörper, der Patienten mit einem hereditären Angioödem über längere Zeit vor Krankheitsschüben schützt. Die Berliner Dermatologen planen jetzt eine klinische Studie. Dort soll Lanadelumab bei den betroffenen Familienmitgliedern und möglicherweise noch anderen Personen eingesetzt werden, die an einem „Faktor-XII-assoziierten Kälte-induzierten autoinflammatorischen Syndrom“ (FACAS) leiden, wie die Forscher die neu entdeckte Erkrankung getauft haben.
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