Kardiologie: Mehr als 200 Genvarianten beeinflussen das PR-Intervall im EKG

London − Das PR-Intervall, das im Elektrokardiogramm (EKG) die Dauer der Signalleitung von den Vorhöfen über den atrioventrikulären (AV)-Knoten in His-Bündel und Purkinje-Fasern anzeigt, ist offenbar anfällig für genetische Störungen. Eine in Nature Communications (2020; DOI: 10.1038/s41467-020-15706-x) publizierte genomweite Assoziationsstudie beschreibt Varianten an 202 Genorten, die das PR-Intervall entweder verkürzen oder verlängern.
Bei einer Verlängerung des PR-Intervalls ist die Erregungsleitung verzögert. Die Folge kann ein AV-Block mit einer Verlangsamung des Herzschlags sein, der die Implantation eines Herzschrittmachers erforderlich machen kann.
Zu einer Verkürzung des PR-Intervalls kann es bei Präexzitationssyndromen wie dem Wolff-Parkinson-White-Syndrom kommen, bei dem die Signale eine Abkürzung über ein akzessorisches Leitungsbündel nehmen. Die Folge ist eine starke Beschleunigung des Herzschlags, die manchmal nur durch die Beseitigung des akzessorischen Leitungsbündels gestoppt werden kann.
Die Ursachen für eine Verlängerung oder Verkürzung des PR-Intervalls sind vielfältig, und offenbar gehören auch verschiedene genetische Störungen dazu. Ein internationales Forscherteam hat die genetischen Daten von 293.051 Personen mit dem PR-Intervall in Beziehung gesetzt. Dabei wurden 202 Genvarianten gefunden, die die Dauer beeinflussen, von denen 141 bisher nicht bekannt waren.
Nach den Berechnungen des Teams um Patricia Munroe vom William Harvey Research Institute in London erklären die Varianten 62,6 % der Heritabilität, also der vererbten Neigung zu dieser häufigen Störung im EKG.
Viele Genvarianten befinden sich auf oder in der Nähe von Genen, die die Baupläne von Proteinen enthalten, die im Herzmuskel und damit auch im Erregungsleitungssystem vorkommen, das aus spezialisierten Herzmuskelzellen besteht.
Einige Gene wie DSP, CDH2 und GJA5 kodieren Komponenten für Desmosomen, „Adherens Junctions“ und GAP-Junctions, die die Muskelzellen miteinander verbinden. Andere wie PDLIM5 oder FHL2 haben einen Bezug zum Sarkomer, dem kontraktierenden Motor der Muskelzellen. Wieder andre wie HCN4 beeinflussen die Membrankanäle, über die die Kontraktion gesteuert wird, und so weiter.
Die Risikogene liefern laut Munroe neue Einblicke in die biologischen Prozesse, die die elektrische Aktivität des Herzens steuern. Sie hofft, dass sich auch Hinweise für die Entwicklung neuer Medikamente ergeben. Am Ende könnte ein Gentest stehen, mit dem sich die Anfälligkeit einzelner Menschen für Veränderungen im PR-Intervall erkennen ließe.
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