Medizin

Metaanalyse: Senkung des systolischen Drucks mindert Herz-Kreis­lauf-Risiken auch bei niedrigen Ausgangswerten

  • Montag, 3. Mai 2021
/picture alliance, Eibner-Pressefoto
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Oxford – Bei der Senkung des systolischen Blutdrucks zählt offenbar jeder mm Hg. Eine Metaanalyse auf der Basis von individuellen Patientendaten kommt im Lancet (2021; DOI: 10.1016/S0140-6736(21)00590-0) zu dem Ergebnis, dass das Risiko auf eine schwere Herz-Kreislauf-Erkrankung pro 5 mm Hg geringerem systolischen Blutdruck um 10 % sinkt und dies selbst bei normalen oder leicht erhöhten Werten. Ein Vorteil bestand unabhängig davon, ob es bereits zu Folgeschäden der Hypertonie gekommen war.

Der Zielwert der Blutdruckbehandlung ist seit langem ein Streitpunkt der Hypertonologen. Für einige sollte auch im höheren Alter ein Normaldruck von 120/80 mm HG angestrebt werden, andere befürch­­ten, dass eine allzu starke Senkung bei älteren Menschen, etwa wenn Vorschäden der Nieren vorliegen, mehr schadet als nutzt.

Entsprechend unterschiedlich sind die Empfehlungen der Fachgesellschaften: Die US-Richtlinien raten zu einem Blutdruck von unter 130/80 mm Hg. Die europäischen Empfehlungen setzen bei Patienten unter 65 Jahren (120-129/70-79 mm Hg) tiefere Zielwerte an als bei Senioren (130-139/70-79 mm Hg). Die britischen Leitlinien sind zurückhaltender und tolerieren noch höhere Drücke.

Vor diesem Hintergrund dürften die Ergebnisse einer Metaanalyse der Universität Oxford für weitere Diskussionen sorgen. Die „Blood Pressure Lowering Treatment Trialists’ Collaboration“ (BPLTTC) um Kazem Rahimi hat die Daten aus 48 größeren randomisierten Studien zusammengefasst.

Die Forscher verließen sich dabei nicht einfach auf die Angaben in früheren Publikationen, sondern werteten die individuellen Teilnehmerdaten (IPD) neu aus, die ihnen von den Autoren der früheren Studien zur Verfügung gestellt wurden. Solche IPD-Meta-Analysen sind weniger fehleranfällig und sie ermöglichen die Beantwortung von Fragen, die in den Originalpublikationen nicht gestellt wurden.

Die britischen Forscher haben untersucht, wie sich die Senkung des systolischen Blutdrucks auf die Häufigkeit schwerwiegender kardiovaskulärer Ereignisse auswirkt. Endpunkt war ein Composite aus Herzinfarkt, Schlaganfall, Herzinsuffizienz oder Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Die Teilnehmer wurden in 2 Gruppen eingeteilt: Bei 157.728 Teilnehmern war es bereits zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen gekommen. Hier soll die blutdrucksenkende Behandlung weitere Ereignisse verhindern (Sekundärprävention). Die anderen 186.988 Teilnehmer waren zu Beginn der Behandlung noch frei von Herz-Kreislauf-Erkrankungen.

Ziel der Behandlung ist hier eine Primärprävention. Der Blutdruck der Teilnehmer lag vor Studienbeginn in der Sekundärpräventiongruppe bei 146/84 mm Hg. Hier hatten etwa 20 % einen normalen oder hochnormalen systolischen Blutdruck (unter 130 mm Hg). In der Primärpräventiongruppe lag der Aus­gangsdruck bei 157/89 mm Hg und bei 8 % im normalen oder hochnormalen Bereich.

Während einer Behandlungsdauer von durchschnittlich 4,15 Jahren kam es zu einem Rückgang der Herz-Kreislauf-Ereignisse, der in beiden Gruppen gleich stark ausfiel. Rahimi ermittelt eine Hazard Ratio von 0,91 (95-%-Konfidenzintervall 0,89 bis 0,94) für die Primärprävention und von 0,89 (0,86 bis 0,92) für die Sekundärprävention. Die Blutdrucksenkung erzielte demnach bei Patienten mit und ohne Vorerkran­kungen den gleichen Nutzen, wobei die Analyse auf den systolischen Blutdruck beschränkt ist. Er steigt im Alter stärker an als der diastolische Blutdruck, was in der Regel Ausdruck einer zunehmenden Athero­sklerose ist.

Die Auswirkungen der medikamentösen Therapie auf die einzelnen Bestandteile des Endpunkts waren ähnlich: Mit jeder Senkung des systolischen Blutdrucks um 5 mm Hg ging das Risiko auf einen Schlagan­fall um 13 % und das Risiko auf eine Herzinsuffizienz um 13 % zurück. Das Risiko auf eine ischämische Herzerkrankung nahm um 8 % und das Risiko auf einen Tod durch Herz-Kreislauf-Erkrankungen um 5 % ab. Hier gab es zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede.

Erstaunlicherweise hatte der Ausgangsblutdruck keinen Einfluss auf den Nutzen der Therapie: Patienten, die ihren Blutdruck von 170 um 5 mm Hg senkten, konnten ihr Herz-Kreislauf-Risiko ungefähr gleich stark senken, wie die Teilnehmer, deren systolischer Blutdruck mit unter 120 mm Hg gar nicht erhöht war.

Die Ergebnisse erinnern an die Kontroverse um die Senkung des Cholesterins. Dort wird heute auf die Festlegung eines Zielwerts verzichtet. Ausgangspunkt für die Entscheidung zur Therapie ist das kardio­vaskuläre 10-Jahres-Risiko des Patienten. Rahimi fordert für die Hypertoniebehandlung ähnliche Krite­rien (ohne den Vergleich zur Cholesterinbehandlung zu ziehen).

Die Ergebnisse seiner Studie würden nicht bedeuten, dass jeder Mensch Blutdrucksenker einnehmen sollte, um sein Herz-Kreislauf-Risiko zu senken. Die Entscheidung zur Behandlung sollte nach Ansicht von Rahimi von den Ausgangsrisiken der einzelnen Patienten abhängig gemacht werden. Der zu erwartende Nutzen müsse dann gegen die Nebenwirkungen der Medikamente abgewogen werden.

rme

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