Medizin

Milchzähne als Stammzellquelle: Therapeutischer Einsatz nicht in Sicht

  • Dienstag, 26. August 2025
/Dziurek, stock.adobe.com
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Köln – Aus menschlicher Zahnpulpa gewonnene mesenchymale Stamm-/Stromazellen (MSC) wurden sowohl in Milchzähnen als auch in bleibenden Zähnen identifiziert. Mehrere Unternehmen werben mit der Einlagerung solcher Zahnstammzellen.

Doch die Behauptungen der Unternehmen über deren zukünftigen medizinischen Wert seien nicht bewiesen und potenziell irreführend, wie ein diese Woche veröffentlichtes Feature des BMJ erläutert (2025; DOI: 10.1136/bmj.r1491). Im Vereinigten Königreich (UK) würden Eltern jedoch Tausende von Pfund ausgeben, um Stammzellen aus den Milchzähnen ihrer Kinder einzulagern.

Auf der Webseite der Future Health Biobank, die auch mit deutschen Zahnarztpraxen zusammenarbeitet, heißt es, dass MSC aus Zahnmark beschädigte Gewebezellen in Muskeln, Knorpel, Fett und Knochen reparieren und erneuern könnten. Und weiter: Stammzellen aus Milchzähnen seien besonders wertvoll, da sie jünger und im Normalfall gesünder wären.

Derzeitige Forschung zur Behandlung von Anämie, Autismus, Multipler Sklerose, Herzinfarkt, Parkinson und Typ-1-Diabetes befinde sich zwar noch in der Testphase. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hätten aber bewiesen, dass MSC eine sichere Behandlungsform für degenerative und immunschwache Krankheiten darstelle.

Auch die US-Firma BioEden (Teil der Future Health Biobank) und der britische Anbieter Stem Protect, die Proben aus Deutschland annehmen, erklären, dass Studien den Nutzen dentaler Stammzellen bei der Behandlung einer Reihe von Krankheiten wie Muskeldystrophie, neurodegenerativen Erkrankungen und Arthritis aufgezeigt hätten.

In Deutschland handele es sich anders als in Großbritannien bislang um ein Randphänomen, so die Einschätzung der Deutschen Gesellschaft für Stammzellforschung (GSZF). Die Werbeaussagen der Anbietenden findet die Fachgesellschaft ebenfalls teilweise irreführend.

Insbesondere werde suggeriert, dass Milchzähne ein hohes Reservoir vitaler Stammzellen darstellen, obwohl diese kurz vor dem physiologischen Ausfallen durch ausgeprägte Resorptionsprozesse bereits stark reduziert seien, erklärte Jürgen Hescheler vom Institut für Neurophysiologie an der Universität zu Köln.

„Substanzieller erscheinen Zellen aus Weisheitszähnen oder Zahnkeimen, die größere Mengen vitalen Gewebes liefern können. Doch auch hier fehlen derzeit belastbare klinische Anwendungen“, so der Vorsitzende der GSZF.

Der aktuelle Stand der Forschung zu Zahnmarkstammzellen (insbesondere DPSCs – dental pulp stem cells) ist überwiegend präklinisch (zum Beispiel: Int J Mol Sci. 2022; DOI: 10.3390/ijms23073479; Int J Mol Sci. 2020; DOI: 10.3390/ijms21176064).

Bei systemischen Anwendungen, wie etwa bei diabetischer Neuropathie, Systemischer Lupus erythematodes oder Myokardinfarkt deuten präklinische Hinweise auf parakrine Effekte hin. Laut Hescheler konnte damit bisher kein überzeugender Nachweis für eine klinische Relevanz bei systemischen Erkrankungen geliefert werden.

Valide Daten konzentrieren sich auf dentale Anwendungen, vor allem im Bereich der Pulparegenerierung und Knochenrekonstruktion (Stem Cell Res Ther 2023; DOI: 10.1186/s13287-023-03357-w).

„Für systemische Erkrankungen wie Herzinfarkt, Diabetes oder neurodegenerative Erkrankungen gibt es hingegen keine belastbaren Hinweise auf eine klinische Anwendbarkeit. Entsprechende extrapolierte Heilsversprechen sind daher nicht haltbar“, sagte Hescheler dem Deutschen Ärzteblatt.

Nach aktuellem Stand der Wissenschaft sei eine Empfehlung zur Einlagerung nicht vertretbar, ist der GSZF-Experte überzeugt. „Weder existieren zugelassene Indikationen noch befinden sich entsprechende Anwendungen in einer fortgeschrittenen klinischen Prüfphase.“

Forschung in diesem Feld hält der Stammzellforscher aus Köln zwar für sinnvoll. Induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) böten im Vergleich dazu jedoch schon heute eine weit flexiblere und ethisch unproblematische Quelle, die für systemische Erkrankungen deutlich mehr Perspektive eröffne, betont Hescheler. „Vor diesem Hintergrund bleibt das Konzept von Milchzahnbanken im internationalen Vergleich eine Randerscheinung ohne klinisch absehbare Relevanz.“

gie

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