Medizin

Ösophagus- und Magenkarzinom: Immuntherapie in der Erstlinie angekommen

  • Freitag, 25. September 2020
Magenkarzinom/Adenokarzinom, Mikroaufnahme (Vergrößerung 64:1) /dpa
Magenkarzinom/Adenokarzinom, Mikroaufnahme (Vergrößerung 64:1) /dpa

Lugano/ Köln – Die systemische Therapie fortgeschrittener Adenokarzinome von Ösophagus und Magen sowie von deren Verbindungstrakt besteht nach wie vor überwiegend aus Chemotherapien.

Die Immuncheckpoint-Inhibitoren sind dabei, sich auch in diesen Bereich vorzuarbeiten, wie am Beispiel einer großen Phase-III-Studie zur Erstlinientherapie erkennbar wird, die beim virtuellen Kongress der European Society of Medical Oncology (ESMO) vorgestellt wurde [Moehler M et al. ESMO 2020, Abstract #LBA6_PR].

Die Standardbehandlung eines neu diagnostizierten HER2-negativen Adenokarzinoms des Magens oder des gastroösophagealen Übergangs besteht bislang laut S3-Leitlinie in einer Chemotherapie – meist einer platinbasierten Doublette, gegebenenfalls unter Hinzunahme von Docetaxel–, die allerdings mit medianen Überlebenszeiten von weniger als einem Jahr nicht sehr wirksam ist, obwohl es Zweitlinien-Optionen wie den VEGF-Rezeptor-Inhibitor Ramucirumab gibt.

Immunonkologische Therapien sind mittlerweile in vielen Indikation zugelassen, nicht aber beim Magenkarzinom; sie werden hier gleichwohl bereits bis hin zur Erstlinie untersucht. So hatte der PD-1-Inhibitor bei Patienten mit mindestens 2 Vortherapien die 1-Jahres-Überlebensraten in der Phase-III-Studie ATTRACTION-2 mehr als verdoppelt (Lancet, 2017; DOI: 10.1016/S0140-6736(17)31827-5) und in der randomisierten Phase-II-Studie ATTRACTION-4 (NCT02746796) in der Erstlinie in Kombination mit 2 verschie­denen Chemotherapie-Regimes bei asiatischen Patienten ein progressionsfreies Über­leben von rund 10 Monaten erreicht (Annals of Oncology, 2019; DOI: 10.1093/annonc/mdy540).

Beim ESMO-Kongress berichtete Narikazu Boku, Tokyo allerdings, dass der Unterschied beim Gesamtüberleben nicht signifikant ausgefallen ist [Boku N et al. ESMO 2020, Abstract #LBA7_PR]. Diese Ergebnisse waren aber Grund genug, die Strategie in der großen Phase-III-Studie CheckMate-649 zu untersuchen (NCT02872116), aus der Markus Möhler, Mainz, beim ESMO-Kongress die erste Interimsanalyse zum Gesamtüberleben vorstellte.

Die eingeschlossenen Patienten mit unbehandelten, fortgeschrittenen und nicht resezierbaren oder metastasierten Adenokarzinomen von Magen, Ösophagus oder der Übergangsregion erhielten in 2 Armen der 3-armigen Studie eine Chemotherapie (Capecitabin und Oxaliplatin alle drei Wochen oder FOLFOX alle 2 Wochen) entweder alleine oder in Kombination mit dem PD-1-Inhibitor Nivolumab (360 mg alle 3 oder 240 mg alle 2 Wochen).

Die PD-L1-Expression spielte als Einschlusskriterium keine Rolle, aber Patienten mit bekannter HER2-Expression im Tumor waren ausgeschlossen. Die Analyse, die Möhler vorstellte, konzentrierte sich auf den Vergleich dieser beiden Arme mit der Chemo­therapie, in die insgesamt 1.581 Patienten eingeschlossen worden waren; ein dritter Arm, in dem Nivolumab mit dem CTLA-4-Inhibitor Ipilimumab kombiniert wurde, wird später ausgewertet. Ko-primäre Endpunkte waren Gesamt- und progressionsfreies Überleben bei den Patienten, deren Tumoren PD-L1 mit einem CPS von ≥ 5 exprimierten.

Diese „PD-L1-positiven“ Patienten stellten 60 % des gesamten Kollektivs (n = 955). Nach median 12 Monaten waren die Unterschiede zwischen Nivolumab/Chemotherapie und alleiniger Chemotherapie für die PD-L1-positiven Patienten sowohl beim Gesamt- als auch beim progressionsfreien Überleben signifikant:

Beim Gesamtüberleben betrugen die Medianwerte 14,4 versus 11,1 Monate, nach einem Jahr waren 57 % versus 46 % der Patienten noch am Leben. Die Hazard Ratio von 0,71 steht für eine fast 30 prozentige Reduktion des Mortalitätsrisikos (95-%-Konfidenzintervall 0,59–0,86; p < 0,0001). Die Kaplan-Meier-Kurven für das Überleben verlaufen kontinuierlich getrennt, soweit das bisher absehbar ist.

Beim progressionsfreien Überleben zeigten sich Medianwerte von 7,7 versus 6,1 Monaten; mit einer HR von 0,68 (95%-KI 0,56–0,81) war die Differenz ebenfalls hochsignifikant (p < 0,0001).

Diese Befunde konnten in der Subgruppenanalyse für alle untersuchten Subgruppen gleichermaßen bestätigt werden. Signifikante Unterschiede beim Gesamtüberleben wurden auch bei einer weniger starken Expression von PD-L1 (CPS ≥ 1) sowie in der Gesamtpopulation gefunden.

Das Sicherheitsprofil von Nivolumab zeigte keine bislang unbekannten Toxizitäten. Die Nebenwirkungsrate war im Nivolumab-Arm etwa höher (insgesamt 95 % vs. 88 %), auch was die Grad-3/4-Toxizitäten (59 % vs. 44 %) sowie die Therapieabbrüche aufgrund von Nebenwirkungen betraf (38 % vs. 25 %). 8 Patienten im Nivolumab- und 4 im Kontrollarm verstarben aufgrund von Nebenwirkungen.

Nivolumab, so Möhler, ist somit der erste PD-1-Inhibitor, der bei fortgeschrittenen, nicht vorbehandelten Malignomen vom Ösophagus bis zum Magen einen Überlebensvorteil beim progressionsfreien und Gesamtüberleben bringt und dürfte sich damit – eine Zulassung vorausgesetzt – rasch als neuer Standard etablieren.

jfg

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