Medizin

Omikron: Substanzielles Immunescape von BQ.1.1 und XBB.1.

  • Donnerstag, 19. Januar 2023
/studio v-zwoelf, stock.adobe.com
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Boston – Die Omikron-Subvarianten BQ.1.1 und XBB.1, die in den USA das Infektionsgeschehen beherrschen, entziehen sich weitgehend dem Zugriff neutralisierender Antikörper, die durch die derzeitigen Impfstoffe induziert werden. Der Immunescape ist nach einer neuen Meldung im New England Journal of Medicine (2023; DOI: 10.1056/NEJMc2214314) noch größer als bisher angenommen.

Die Zahl der Krankenhauseinweisungen hat allerdings in den USA in den vergangenen Wochen nicht so stark zugenommen, wie zu befürchten wäre. Der Schutz durch die zelluläre Immunabwehr, den die Bevölkerung durch Impfung oder Infektionen aufgebaut hat, könnte dies verhindert haben.

In den USA ist der Anteil von XBB.1.5 zuletzt auf 43,0 % gestiegen. BQ.1.1. ist für weitere 28,8 % verantwort­lich. In Deutschland hat sich BQ.1.1 gegen Ende des Jahres mit 26 % etabliert, während XBB.1 erst einen Anteil von 1 % hatte.

Die rasche Ausbreitung könnte auf die zunehmende Immunflucht (Immunescape) der beiden Varianten zu­rück­zuführen sein. Dies zeigte sich in drei Gruppen, deren Serum ein Team um Dan Barouch vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston auf ihre neutralisierende Wirkung hin untersucht hat.

Bei 15 Teilnehmern, die 2022 einen monovalenten mRNA-Booster erhalten hatten, waren die neutralisieren­den Antikörpertiter gegen BQ.1.1 7-fach und gegen XBB.1 17-fach geringer als gegen BA.5, der vormals domi­nierenden Variante. Dies könnte die stärkere Ausbreitung von BQ.1.1 und XBB.1. erklären.

Sie dürfte auch durch die im Herbst eingeführten bivalenten Varianten der beiden mRNA-Impfstoffe nicht aufgehalten werden. Bei 18 Teilnehmern, die 2022 einen bivalenten mRNA-Booster erhalten hatten, waren die neutralisierenden Antikörpertiter 5-fach (BQ.1.1) und 21-fach geringer (XBB.1) als gegen BA.5.

Der Vorteil der bivalenten Impfstoffe war gering: Der Titer gegen XBB.1 lag bei 175 gegenüber 170 nach Gabe des monovalenten Impfstoffs in 2022. Bei BQ.1.1 betrugen die Titer 508 versus 406.

In der dritten Gruppe waren Seren von 16 Teilnehmern untersucht worden, die 2021 ihren monovalenten Booster erhalten hatten. Die Antikörpertiter waren mit 261 gegen BQ.1.1 und mit 105 gegen XBB.1. schwä­cher als in den beiden Gruppen, die 2022 (erneut) geboostert wurden.

Die wiederholten Impfungen, aber auch Infektionen mit SARS-CoV-2 (die bei einem Drittel der Teilnehmer dokumentiert waren) haben nach Einschätzung von Barouch die Immunitätslage der Bevölkerung verbessert.

Die Antikörper-Antwort, die die aktuellen Impfungen mit den bivalenten Impfstoffen vermittelten, dürfte je­doch geringer sein als erhofft. Dennoch ist ein deutlicher Anstieg der schweren Erkrankungen wie im Januar 2021 während der Alpha-Welle und im Januar 2022 während der ersten Omikron-Welle in diesem Jahr nicht erkennbar. Die Erkrankungen sind in den USA bisher nur in der Gruppe der über 70-Jährigen stärker angestie­gen.

Bei den anderen Altersgruppen könnte die zelluläre Immunabwehr durch CD8-Zellen derzeit halten. Welche Mutationen für die Immunflucht verantwortlich sind, ist unklar. Barouch vermutet, dass R346T von zentraler Bedeutung ist. R346T fehlte in BA.2 und BA.5, ist aber in allen derzeit relevanten Varianten enthalten. Neben BQ.1.1 und XBB.1. sind dies BA.2.75.2 und BF.7.

Diese Varianten haben sich unabhängig voneinander aus dem ursprünglichen Omikron-Stamm entwickelt. Barouch vermutet deshalb eine konvergente Evolution. Der Begriff stammt aus der Biologie und beschreibt, dass unterschiedliche Lebewesen ähnliche Fähigkeiten entwickeln können, wenn dies in ihrer Umgebung vorteilhaft ist.

So besitzen Fledermäuse und Vögel ähnliche Flügel zum Fliegen, obwohl sie stammesgeschichtlich nicht eng verwandt sind. R346T würde sich nach dieser Theorie in unterschiedlichen Omikron-Varianten entwickelt haben, weil dies in der derzeitigen Umgebung die Infektion erleichtert.

rme

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