SARS-CoV-2: Auto-Antikörper und Gendefekte beeinflussen Erkrankungsrisiko

New York und Paris – Mehr als 10 % aller Patienten, die nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 eine schwere COVID-19 entwickeln, haben laut einer Studie in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abd4585) Autoantikörper gegen Interferone im Blut.
Bei weiteren 3,5 % liegen nach einer weiteren Publikation (Science 2020; DOI: 10.1126/science.abd4570) genetische Mutationen vor, die die Bildung von Interferonen behindern. Die Studien unterstreichen die Bedeutung der angeborenen Immunabwehr und könnten die Behandlung von COVID-19 beeinflussen.
Die großen Unterschiede im klinischen Verlauf einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-2 haben die Forscher von Anfang an verblüfft. Einige vor allem jüngere Menschen bemerken die Infektion gar nicht, bei älteren Patienten mit Vorerkrankungen kann COVID-19 innerhalb weniger Tage zum Tod führen.
Ein franko-amerikanisches Forscherteam um Jean-Laurent Casanova von der Rockefeller Universität in New York und dem Forschungsinstitut INSERM in Paris hat frühzeitig vermutet, dass es für die Variabilität auch genetische Gründe gibt.
Die Forscher haben im „COVID Human Genetic Effort“ andere Forscher um sich versammelt und bereits im März mit der genetischen Untersuchung von Patienten begonnen, die wegen lebensgefährlicher Verläufe auf Intensivstation behandelt wurden.
Die Forscher sequenzierten bei 659 Patienten das gesamte Genom oder wenigstens das Exom. Das ist der Anteil des Erbguts, der die Baupläne für die Proteine enthält. Dabei fiel auf, dass einige Patienten Varianten in 13 Genen aufwiesen, die die Empfindlichkeit für Viruserkrankungen beeinflussen.
Die nähere Analyse ergab, dass einige dieser Varianten den Ausfall des „Interferon regulatory factor 7“ (IRF7) zur Folge hatten, der die Bildung von Interferonen steuert. Bei anderen Varianten fällt die Alpha-Kette von Interferon-alpha/beta (IFNAR1) aus.
Beides hat eine Störung der Interferonproduktion zur Folge. Eine der Störungen lag bei 23 Patienten (3,5 %) mit schwerem Verlauf vor COVID-19 vor. In einer Kontrollgruppe von Patienten mit milden oder asymptomatischen Verläufen wurden die genetischen Störungen nicht gefunden.
Die genetischen Störungen gingen bei den Patienten mit deutlich verminderten Serumkonzentrationen von Typ-I-Interferonen einher. Dies könnte den schweren Verlauf der Erkrankung plausibel erklären, da Typ-I-Interferone ein wichtiger Bestandteil des angeborenen Immunsystems sind und ihre Funktion in der Abwehr von Viren besteht.
Es kommt jetzt darauf an, ob andere Forschergruppen diese Befunde bestätigen können. Sollte dies der Fall sein, dann könnte eine Behandlung mit bestimmten Interferonen die Erkrankung abschwächen. Eine Behandlung wäre jedoch nur erfolgreich, wenn die Interferone nach der Infusion nicht durch Antikörper abgefangen werden.
Solche Antikörper haben die Forscher in einer weiteren Studie bei nicht weniger als 101 von 987 Patienten (10,2 %) mit lebensbedrohlicher COVID-19 gefunden. In zwei Vergleichsgruppen von 663 Patienten mit milden Infektionen und von 1.227 gesunden Probanden wurden die Auto-Antikörper gegen Interferone kein einziges Mal gefunden.
Der Nachweis der Auto-Antikörper hat klinische Auswirkungen auf die Behandlung von COVID-19. Zum einen könnte ein Nachweis der Antikörper bei Infizierten ein Vorwarnzeichen für einen schweren Verlauf sein. Zum anderen werden die Auto-Antikörper bei der Serumtherapie mit übertragen. Dies könnte erklären, warum die Behandlungsergebnisse bisher hinter den Erwartungen zurückgeblieben sind.
Die mit dem Serum übertragenen Auto-Antikörper könnten die Abwehrkräfte des Patienten schwächen. Die Serumtherapie hätte dann unter Umständen eine schädliche Wirkung. Casanova rät deshalb, die Spender vor der Serumtherapie auf die Autoantikörper hin zu untersuchen und bei einem positivem Testergebnis auszuschließen.
Der neue Befund könnte aber auch zu neuen Behandlungsformen führen. Mit einer Plasmapherese könnten die störenden Autoantikörper aus dem Blut der Erkrankten entfernt werden. Es könnte auch versucht werden, die Plasmazellen, die die Antikörper bilden, mit Medikamenten zu vernichten – was wegen der gleichzeitigen Behinderung der Antikörperbildung gegen das SARS-CoV-2 sicherlich eine riskante Strategie wäre.
Die überwiegende Mehrheit – 94 % – der Patienten mit den schädlichen Antikörpern waren übrigens Männer. Dies könnte mit erklären, warum Männer häufiger an COVID-19 erkranken als Frauen.
Es stellt sich die Frage, ob Mutationen auf dem X-Chromosom für die Geschlechtspräferenz verantwortlich sind. Dieses Chromosom haben Männer bekanntlich nur in einfacher Ausführung, weshalb Mutationen bei Männern eher zu Erkrankungen führen als bei Frauen.
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