Medizin

SARS-CoV-2: Bedeutung von Superspreadern wird unterschätzt

  • Mittwoch, 4. November 2020
/Stockhausen, stock.adobe.com
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Cambridge/Massachusetts – Superspreaderereignisse, bei denen sich innerhalb kurzer Zeit eine größere Anzahl von Personen ansteckt, sind bei SARS-CoV-2 bisher nur selten beschrieben worden. Sie könnten jedoch nach mathematischen Berechnungen auf der Basis der Extremwerttheorie, die jetzt in den Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS, 2020; DOI: 10.1073/pnas.2018490117) vorgestellt wurden, einen deut­lichen Einfluss auf die Entwicklung einer Epidemie haben.

Superspreaderereignisse wurden bereits bei der ersten SARS-Epidemie 2002/2003 be­schrie­ben. In einem Hotel in Hongkong hatte damals ein Gast 187 Personen angesteckt. In der Klinik kam es dann zu 112 weiteren Erkrankungen.

Ganz so extrem waren die (bisher bekannt gewordenen) Superspreader-Ereignisse bei SARS-CoV-2 nicht. Aber bei einer Chorprobe im US-Staat Washington kam es im März zu 52 Infektionen. In Korea war im Februar ein Superspreader-Ereignis mit 51 Infektionen beobachtet worden.

Nach den Gesetzen der Wahrscheinlichkeitsrechnung sind solche Ereignisse selten. Die natürliche Reproduktionszahl bei einer ungehinderten Ausbreitung beträgt etwa 3 Perso­nen, die ein Infizierter anstecken kann.

Dennoch kann von einem Superspreaderereignis eine Schubwirkung ausgehen, wie Felix Wong und James Collins vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge berich­ten. Die Forscher haben die Auswirkungen mit den Methoden der Extremwerttheorie untersucht. Diese Methode wurde von Mathematikern für Versicherungsunternehmen entwickelt, um Naturkatastrophen zu einem kalkulierbaren Risiko zu machen.

Basis der Untersuchungen waren 45 Superspreaderereignisse aus der aktuellen SARS-CoV-2-Pandemie und 15 während des SARS-CoV-Ausbruchs von 2002/3, die alle in wiss­en­­schaftlichen Fachzeitschriften dokumentiert wurden. Bei den meisten Superspreader­ereignissen kam es zur Infektion von 10 bis 55 Personen. Die beiden Ereignisse zu SARS-CoV-1 in Hongkong waren die Ausnahme.

Für sich genommen sind die Superspreaderereignisse keine Katastrophe. In der Normal­verteilung der Übertragungsketten bilden sie nach Ansicht von Wong und Collins jedoch einen „fat tail“, der die Epidemie befeuern kann, weil jeder einzelne Infizierte weitere Menschen ansteckt, wenn auch nur mit der natürlichen Reproduktionszahl.

Die Berechnungen der beiden Forscher bleiben weitgehend theoretisch. Den genauen Anteil am Infektionsgeschehen können sie in ihrer Studie nicht benennen. Für die Vermei­dung von Superspreaderereignissen gebe es allerdings eine einfache Möglichkeit. Es müsse verhindert werden, dass Personen auf einer größeren Versammlung mit mehr als 10 Personen interagieren.

rme

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