SARS-CoV-2: Kann ein Antidepressivum den Verlauf der Erkrankung abschwächen?

St. Louis/Missouri – Das Antidepressivum Fluvoxamin, das die Zytokinproduktion des Immunsystems stoppen soll, hat in einer randomisierten „Fernstudie“ den Verlauf von COVID-19 im Frühstadium abgeschwächt. Die im amerikanischen Ärzteblatt (JAMA 2020; DOI: 10.1001/jama.2020.22760) vorgestellten Ergebnisse sollen jetzt in einer größeren Studie überprüft werden.
Die Idee zum Einsatz von Fluvoxamin bei COVID-19 geht auf Stunden der Grundlagenforschung zurück. Sie hatten gezeigt, dass das Antidepressivum in den Zellen die Wirkung des Sigma-1-Rezeptors verstärkt, der an der Regulation der zellulären Stressantwort beteiligt ist.
Die zelluläre Stressantwort ist ein bisher wenig erforschter Abwehrmechanismus von Zellen, der einen Zytokinsturm auslösen kann. Eine im vergangenen Jahr in Science Translational Medicine (2019; 11: eaau5266) publizierte Studie hatte gezeigt, dass Fluvoxamin die Stressantwort stoppen und Mäuse so vor einer tödlichen Sepsis schützen kann.
Da ein Zytokinsturm auch für die schweren Verläufe von COVID-19 mit verantwortlich ist, hat ein Team um Eric Lenze von der Washington University School of Medicine in St. Louis/Missouri im April eine Therapiestudie begonnen, an der 152 Patienten mit COVID-19 teilnahmen.
Das Ziel war, einen Zytokinsturm im Keim zu ersticken. Die Teilnahme wurde deshalb auf Patienten beschränkt, die nur unter leichten Beschwerden litten. Da sich die Teilnehmer unter häuslicher Quarantäne befanden, wurde die Studie „kontaktlos“ durchgeführt.
Die Prüfung der Teilnahmekriterien erfolgte über elektronische Krankenakten, E-Mails und Telefonkontakte. Die Medikamente, Pulsoxymeter, Blutdruckmessgerät und Thermometer wurden den Teilnehmern per Boten zugeschickt. Die Ergebnisse wurden per E-Mail abgefragt. Zwischen Prüfärzten und Patienten gab es keinerlei persönlichen Kontakt.
An der Studie nahmen 152 Patienten mit bestätigter SARS-CoV-2 teil, die zwar schon unter leichten Symptomen von COVID-19 litten, bei denen die Sauerstoffsättigung mit einem Wert von 96 bis 98 % noch nicht abgefallen war.
Die Teilnehmer wurden auf die Einnahme von (soweit verträglich) bis zu 3 Tabletten mit 100 mg Fluvoxamin oder Placebo randomisiert. Endpunkt war eine klinische Verschlechterung, die definiert war als das Auftreten von Atemnot sowie der Abnahme der O2-Sättigung auf unter 92 %.
Dieser Zustand wurde laut Lenze in der Fluvoxamingruppe bei keinem der 80 Patienten erreicht, die die Studie beendeten. In der Placebogruppe kam es dagegen bei 6 von 72 Patienten zu einer Verschlechterung.
Der absolute Unterschied von 8,7 %punkten war mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,8 bis 16,4 %punkten signifikant. Die Behandlung erwies sich als gut verträglich. Die meisten unerwünschten Ereignisse waren auf die Erkrankung zurückzuführen und traten deshalb in der Placebogruppe häufiger auf.
Die Behandlung mit Fluvoxamin wäre eine attraktive Option bei Patienten mit COVID-19, da das Mittel anders als andere Antidepressiva aus der Gruppe der selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmer nicht zu einer QT-Verlängerung im EKG führt, die bei gefährdeten Patienten das Risiko auf ventrikuläre Arrhythmien erhöht. Fluvoxamin ist wie jedes Medikament jedoch nicht frei von Risiken, zu denen die Inhibition der P450-Enzyme 1A2 und 2C19 gehören.
Die Ergebnisse dürften aufgrund der geringen Teilnehmerzahl kaum zu einer offiziellen Empfehlung führen, zumal sie sich als „Fernstudie“ ganz auf die Angaben der Teilnehmer verlässt. Die Mediziner wollen deshalb bereits in den nächsten Wochen mit einer größeren Studie beginnen, um die Ergebnisse zu überprüfen.
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