SARS-CoV-2 könnte auch über Nase und Darmschleimhaut in den Körper gelangen

Cambridge, Massachusetts und Cambridge, England − Das Rezeptorprotein ACE2 und das Enzym TMPRSS2, die das neue Coronavirus SARS-CoV-2 für den Eintritt in die Zellen benötigt, befinden sich nicht nur auf den Epithelzellen der Atemwege. 2 Teams berichten in Nature Medicine (2020; DOI: 10.1038/s41591-020-0868-6) und Cell (2020; DOI: 10.1016/j.cell.2020.04.035), dass die Viren möglicherweise auch Zellen in der Nasenschleimhaut und im Darm infizieren.
Die Pathogenese von COVID-19 ist bisher nur in Ansätzen bekannt. Fest steht, dass die Lunge nicht das einzige Organ ist, das vom Virus infiziert wird. Bei vielen Patienten kommt es zu einer Schädigung des Herzmuskels oder zu einem Multiorganversagen, das sich allein durch einen Befall der Lungen nicht erklären lässt.
Forscher aus den USA und Europa haben jetzt den „Human Cell Atlas“ (HCA) nach Hinweisen auf ACE2 und TMPRSS2 durchsucht. Der HCA ist ein Kataster für die in den unterschiedlichen Zelltypen gebildeten Proteine. Diese Proteine werden anhand der Boten-RNA identifiziert, die Informationen an den Chromosomen abliest und zu den Ribosomen transportiert, wo die Proteine produziert werden.
Das HCA-Projekt ist noch nicht abgeschlossen. Für verschiedene Gewebetypen wurden jedoch bereits Kataloge erstellt. Dazu gehören Zellen aus der Lunge, Nasenhöhle, Auge, Darm, Herz, Niere und Leber.
Die Forscher haben jetzt untersucht, welche der einzelnen Zellen ACE2 und TMPRSS2 bilden („exprimieren“) und so die Voraussetzung für eine Infektion durch SARS-CoV-2 schaffen. Ob das Virus tatsächlich die Zellen infiziert und mit welcher Effizienz dies erfolgt, müsste noch an Zellkulturen untersucht werden.
Wie erwartet, finden sich die beiden Proteine in den Zellen der Lunge. Wie ein Team um Alex Shalek vom Massachusetts Institute of Technology in Cambridge berichtet, exprimieren 6,7 % der Typ-II-Pneumozyten ACE2, und 3,8 % exprimieren außerdem noch TMPRSS2. Die Typ-II-Pneumozyten kleiden zusammen mit den Typ-I-Pneumozyten die Alveolen aus. Der Anteil der Typ-II-Pneumozyten, die auch als Nischenzellen bezeichnet werden, wird mit etwa 8 % angegeben.
Es reicht offenbar aus, nur einen kleinen Teil der Alveolen zu infizieren, um eine schwere Lungenentzündung auszulösen. Für die schwere Atemnot ist möglicherweise nicht die Zerstörung dieser Zellen, sondern die starke Immunabwehr verantwortlich, die dadurch ausgelöst wird. Dies könnte für die Behandlung der Patienten bedeutsam sein. Es wird derzeit untersucht, ob Steroide oder andere Immunsuppressiva den Verlauf der Erkrankung günstig beeinflussen.
Ein zweiter bekannter Infektionsort ist die Schleimhaut im Nasen- und Rachenraum. Die klinischen Erfahrungen haben gezeigt, dass Abstriche häufig schon positiv ausfallen, wenn auf den CT-Aufnahmen des Thorax noch keine Zeichen einer Lungenentzündung zu sehen sind.
Die von Waradon Sungnak vom Wellcome Sanger Institute in Cambridge/England und Mitarbeitern vorgestellten Daten zeigen, dass in der Nasenschleimhaut vor allem die Becherzellen, aber auch die Flimmerepithelien die höchsten Konzentrationen dieser beiden Proteine aufweisen. Die Forscher vermuten, dass diese Zellen der erste Eintrittsort der Viren in den Körper sind.
Der Nachweis der Vireneintritts-Proteine im Darm zeigt, dass auch die Darmschleimhaut infiziert werden kann. Der primäre Eintrittspunkt könnten hier die Enterozyten im Dünndarm sein. Dies könnte bei den Patienten zu Durchfallerkrankungen führen. Es erklärt aber auch den häufigen Nachweis von Viren in Stuhlproben. Dies eröffnet die Möglichkeit einer fäkal-oralen Übertragung („Schmierinfektion“), zu der es in der Klinik bei bettlägerigen Patienten über das Personal leicht kommen kann.
Nach den Studienergebnissen werden die Proteine auch in den Hornhaut-Zellen des Auges und in der Darmschleimhaut gebildet. Dies deutet auf einen weiteren möglichen Infektionsweg über das Auge beziehungsweise über die Tränen hin. Dies könnte Konsequenzen für den Infektionsschutz haben.
Eine Konjunktivitis gehört zwar nicht zu den typischen Zeichen von COVID-19. Wenn die Viren sich tatsächlich dort vermehren, könnten sie über den Ductus nasolacrimalis (Tränennasengang) in den Nasenrachenraum gelangen. Ein Mund-Nasen-Schutz würde dies nicht verhindern. Die Aussagekraft der Studie darf hier aber nicht überschätzt werden. Sie liefert in erster Linie Erklärungen. Das Gefährdungspotenzial kann nur durch epidemiologische oder klinische Studien abgeschätzt werden.
Interessant ist auch der Nachweis der beiden Proteine im Herzen. Bei vielen Patienten mit COVID-19 kommt es zu einer Schädigung von Herzmuskelzellen, was einen Anstieg des Herzinfarktmarkers Troponin zur Folge hat. Etwa 1/5 der COVID-19-Patienten erleidet Schäden des Herzmuskels bis hin zum Herzversagen. Die Forscher haben herausgefunden, dass verschiedene Herzellen ACE2 und TMPRSS2 exprimieren. Dazu gehören die Perizyten der Blutkapillaren, Herzmuskelzellen und Fibroblasten.
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