SARS-CoV-2: Thrombozytopenien und Thrombosen nach COVID-19 häufiger als nach Impfung mit AZD1222

Oxford – Eine Analyse von elektronischen Patientendaten des National Health Service (NHS) in England bestätigt, dass es nach der Impfung mit dem Astrazeneca-Impfstoff AZD1222 zu einem Anstieg von schweren Thrombozytopenien und venösen Thromboembolien kommt. Für den Biontech-Impfstoff BNT162b2 wurde ein potenzielles Sicherheitssignal auf vermehrte arterielle Thromboembolien, etwa Schlaganfälle gefunden.
Beide Komplikationen traten nach den jetzt im britischen Ärzteblatt (BMJ 2021; 374: n1931) mitgeteilten Ergebnissen einer SCCS-Studie nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 im Rahmen von COVID-19 wesentlich häufiger auf.
Nach der Einführung des an der Universität Oxford entwickelten Impfstoffs ChAdOx1, der von Astrazeneca als AZD1222 vertrieben wird, ist es in seltenen Fällen und bevorzugt bei jüngeren Menschen zu einem Anstieg von zerebralen Venen- und Sinusthrombosen gekommen, die mit einer Thrombozytopenie assoziiert waren.
Die Komplikation wird inzwischen als Impfstoff-induzierte thrombotische Thrombozytopenie (VITT) bezeichnet und als immunologische Reaktion auf einen noch nicht bekannten Inhaltsstoff von AZD1222 gedeutet. Die VITT hat in einigen Ländern wie Deutschland dazu geführt, dass AZD1222 nur noch bei älteren Personen verwendet wird, andere Länder wie Dänemark verzichten ganz auf ihn.
In England wird der Impfstoff weiterhin auch bei jüngeren Menschen eingesetzt. Von den 19,6 Millionen Engländern, die bis zum 24. April eine erste Dosis von AZD1222 erhalten haben, waren 1,6 Mio. jünger als 40 Jahre. BNT162b2 hatten bis zu dem Zeitpunkt 9,5 Mio. Engländer erhalten, davon 1,4 Mio. unter 40 Jahren.
Julia Hippisley-Cox von der Universität Oxford und Mitarbeiter haben jetzt untersucht, ob es nach den Impfungen häufiger zu Thrombozytopenien oder thrombotischen Komplikationen gekommen ist. Sie verwendeten die SCCS-Methode („self-controlled case series“). Dabei werden verschiedene Lebensabschnitte derselben Patienten verglichen. Dies vermeidet Verzerrungen, zu denen es bei konventionellen Fall-Kontrollstudien durch Unterschiede in Fällen und Kontrollen kommen kann.
Die Analyse bestätigt, dass es nach der Impfung mit AZD1222 häufiger zu Thrombozytopenien und venösen Thrombosen kommt. Für die Zeit von 8 bis 14 Tagen nach der Impfung ermittelt Hippisley-Cox eine relative Inzidenzrate (IRR) von 1,33 auf eine Krankenhauseinweisung oder einen Tod infolge einer Thrombozytopenie, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,19 bis 1,47 signifikant war.
Für venöse thromboembolische Ereignisse betrug die IRR in der gleichen Zeit 1,10 (1,02 bis 1,18) und für die zerebrale Venen- und Sinusthrombose 4,01 (2,08 bis 7,71). Nach der Diagnose VITT selbst wurde nicht gesucht. Da sie erst im Verlauf der Zeit als neue Entität beschrieben wurde, hätte dies auch wenig Sinn gemacht.
Der Anstieg der Komplikationen nach 8 bis 14 Tagen entspricht den Erfahrungen, die in anderen Ländern mit der VITT gemacht wurden. Die Verzögerung erklärt sich aus der Zeit, die das Immunsystem zur Bildung der PF4-Antikörper benötigt, die für die VITT verantwortlich gemacht werden.
Die britischen Behörden haben das Festhalten an AZD1222 mit dem höheren Komplikationsrisiko einer Infektion begründet. Hippisley-Cox hat deshalb eine zweite SCCS-Analyse zu Thrombozytopenien und Thrombosen nach der Diagnose einer SARS-CoV-2-Infektion durchgeführt. Auch hier wurden wieder bei denselben Patienten zwei Zeitphasen verglichen: Einmal das Auftreten von Thrombosen und Thrombozytopenien nach der Infektion (positiver PCR-Test) und einmal in einem Zeitraum vor der Infektion.
In der ersten Woche nach dem positiven PCR-Test betrug die IRR 14,04 (12,08 bis 16,3) auf eine Thrombozytopenie und 63,52 (57,80 bis 69,80) auf eine venöse Thromboembolie. Zerebrale Venen- und Sinusthrombosen traten mit einer IRR von 12,90 (1,86 bis 89,64) ebenfalls häufiger auf.
Die Studie bestätigt damit, dass es sicherer ist, sich mit AZD1222 impfen zu lassen als an COVID-19 zu erkranken (wobei diese Argumentation außer acht lässt, dass nicht alle Menschen, die nicht geimpft werden, auch an COVID-19 erkranken).
Die Impfkommissionen auf dem Kontinent dürften argumentieren, dass mRNA-Impfstoffe wie BNT162b2 in dieser Hinsicht eine noch bessere Nutzen-Risiko-Bilanz haben. Tatsächlich kam es nach der Impfung mit BNT162b2 zu keinem Anstieg der venösen Thromboembolien.
Hippisley-Cox stieß jedoch auf ein mögliches Sicherheitssignal bei arteriellen Thromboembolien, zu deren Folgen ein Herzinfarkt oder ein Schlaganfall gehören. Für den Zeitraum von 15 bis 21 Tagen nach der Impfung mit BNT162b2 betrug die IRR 1,06 mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 1,01 bis 1,10.
Der Anstieg könnte auf einen Anstieg von Schlaganfällen zurückzuführen sein, für den Hippisley-Cox für den gleichen Zeitraum eine IRR von 1,12 (1,04 bis 1,20) ermittelte. Ob dieses Signal auf eine tatsächliche Impfkomplikation hinweist, dürfte (schon allein wegen der zeitlichen Entfernung zur Impfung) umstritten sein.
Doch auch für BNT162b2 fiele in diesem Fall die Nutzen-Risiko-Bilanz positiv aus, da das Schlaganfallrisiko im Rahmen einer Infektion sehr viel stärker anstieg (IRR 3,94, 3,25 und 2,00 für die erste, zweite und dritte Woche nach dem positiven PCR-Test.
Anm. d. Red.: Die Meldung wurde präzisiert.
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