SARS-CoV-2: Wie Reiseverbote und Kontaktsperren die Epidemie in China gestoppt haben

Hongkong/Shanghai – Die Mobilität der Bevölkerung und die Zahl der Kontakte sind die wichtigsten Triebfedern einer Epidemie. Chinesische Forscher stellen in Nature (2020; DOI: 10.1038/s41586-020-2284-y) ein Modell vor, das die Ausbreitung anhand von Mobilfunkdaten exakt nachvollziehen kann. Eine Studie in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abb8001) untersucht, wie sich die Quarantäne auf die Zahl der Kontakte ausgewirkt hat.
Wenn Menschen reisen, nehmen sie auch die Krankheitserreger mit sich. Die Reisebeschränkungen, die die chinesische Regierung über die Stadt Wuhan verhängte, haben deshalb einen wesentlichen Beitrag zur Eindämmung der SARS-CoV-2-Epidemie geleistet. Wie dramatisch die Einschränkungen waren, zeigen die Bewegungsmuster, die ein Team um Jayson Jia von der Universität Hongkong anhand der Daten eines großen Mobilfunkanbieters zusammengestellt hat.
Am 22. Januar hatten sich noch 546.324 Nutzer von Wuhan in andere Orte der Provinz Hubei bewegt, weitere 141.208 waren in andere Provinzen des Landes gereist. Zwei Tage später haben lediglich 1.087 Nutzer die Provinz Hubei verlassen. Jia vermutet, dass es sich vor allem um Regierungsangestellte gehandelt hat. Alle anderen durften Wuhan seit dem 23. Januar 10 Uhr nicht mehr verlassen.
Aus den Bewegungen der Handynutzer in der Zeit vor dem Lockdown konnte Jia vorhersagen, wie sich das Virus von Wuhan ausgehend im Land ausgebreitet hat. Die Verteilung und Intensität der Verbreitung von COVID-19 in China ließ sich mit einer Genauigkeit von 96 % vorhersagen. Das mathematische Modell könnte bei künftigen Epidemien genutzt werden, um vorzeitig zu erkennen, wo und auch – unter Berücksichtigung der entsprechenden Inkubationszeit – wann mit einer Erkrankungswelle zu rechnen ist.
Wie häufig die Erreger übertragen werden, hängt von der Zahl und der Intensität der Kontakte ab. Die zweite effektive Maßnahme der chinesischen Regierung waren die Kontaktverbote. Ein Team um Hongjie Yu von der Fudan Universität in Shanghai hat hierzu eine Umfrage in Wuhan und Shanghai durchgeführt. Die Personen hatten in den Fragebögen detaillierte Angaben dazu gemacht, wen sie innerhalb von zwei Zeiträumen, einmal vor dem Lockdown und einmal danach, getroffen hatten.
Der Vergleich zeigt, dass in beiden Städten die Zahl der Kontakte drastisch zurückging: von 14,6 auf 2,0 pro Tag in Wuhan und von 18,8 auf 2,3 pro Tag in Shanghai. In beiden Städten waren die Kontakte am Ende weitgehend auf Familienmitglieder beschränkt. Hier gab es denn auch die meisten Infektionen. Yu konnte unter Zuhilfenahme von offiziellen Tracing-Daten ausrechnen, wer in den Familien das höchste Infektionsrisiko hatte.
Es waren vor allem die Senioren (Alter ab 65 Jahre), die zu 47 % häufiger erkrankten als die Gruppe der 15- bis 64-Jährigen (Odds Ratio 1,47; 95-%-Konfidenzintervall 1,12 bis 1,97). Kinder unter 15 Jahren erkrankten dagegen zu 66 % seltener (Odds Ratio 0,34; 0,24 bis 0,49). Schulschließungen allein können nach weiteren Berechnungen von Yu eine Epidemie wie SARS-CoV-2 nicht beenden. In China gab es am Ende wohl keine Alternative zum Lockdown.
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