Schwerer COVID-19 Verlauf: Unter 80 Jahren sind Krebs, Demenz und Herzinsuffizienz stärkere Faktoren als das Alter

Berlin – Fast ein Drittel aller Patienten, die wegen einer hämato-onkologischen Erkrankung in ärztlicher Behandlung sind, erkranken bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 so schwer an COVID-19, dass sie intensivmedizinisch behandelt werden müssen oder sogar versterben.
Dies kam in einer Analyse von Versichertendaten heraus, die in der kommenden Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins (2021; 19: 3-12) veröffentlicht wird. Bei insgesamt 5 Erkrankungen war das Risiko auf einen schweren Verlauf höher als in der Altersgruppe der 75- bis 79-Jährigen, die derzeit bei den Impfungen priorisiert wird.
Die Coronavirusimpfverordnung (CoronaImpfV) sieht vor, dass Personen, die ein besonders hohes Risiko für schwere oder tödliche COVID-19-Verläufe haben oder beruflich besonders exponiert sind, als erste geimpft werden sollen.
Die derzeitigen Empfehlungen basieren dabei überwiegend auf internationalen Studien, die nicht unbedingt die Situation in Deutschland widerspiegeln.
Ein Team um Stefan Scholz vom Robert-Koch-Institut hat deshalb die Daten von 4 Krankenversicherern (AOK Bayern, AOK Plus Sachsen und Thüringen, Barmer, DAK-Gesundheit) und von der Mehrzahl der Betriebskrankenkassen (BKK) ausgewertet, bei denen mehr als 30 Millionen Personen in Deutschland versichert sind.
Von 93.857 Personen mit dokumentierter COVID-19 mussten 4.728 wegen einer schweren COVID-19 intensivmedizinisch behandelt werden, einschließlich Beatmung und/oder Todesfall. Dies entspricht einem Anteil von 5 %, der allerdings in einigen Risikogruppen höher deutlich war.
Von den Patienten, die wegen hämato-onkologischer Erkrankungen in Behandlung waren, erkrankten 31,5 % (95-%-Konfidenzintervall 26,5 % bis 37,2 %) schwer an COVID-19 oder verstarben.
An zweiter Stelle standen Patienten mit metastasierenden, soliden onkologischen Erkrankungen (Anteil 28,2 %; 23,7 % bis 35,3 %). Es folgten auf den Rängen 3 (Patienten mit Demenz), 4 (aktuell nicht in Behandlung befindliche Personen mit metastasierendem Krebs) und 5 (Patienten mit Herzinsuffizienz).
Erst auf Rang 6 befanden sich Personen, die durch ein Alter zwischen 75 und 79 Jahren ein erhöhtes Risiko auf eine schwere Erkrankung haben (Anteil: 19,8 %; 15,6 % bis 24,8 %).
Weitere relevante Risikofaktoren waren Dialyse (Rang 7), aktuell behandelte, solide, nicht-metastasierte Tumore (Rang 8), chronische Lebererkrankungen mit Zirrhose (Rang 9), Down-Syndrom (Rang 10), chronische Nierenerkrankungen (Rang 11), Zustand nach Organtransplantationen (Rang 12). Erst auf Rang 13 folgten Personen im Alter von 70 bis 74 Jahren.
Es folgen Patienten mit interstitiellen Lungenerkrankungen (Rang 14) und Herzrhythmusstörungen/Vorhofflimmern (Rang 15) vor Personen vom Alter von 65 bis 60 Jahren. Die Altersgruppe der 60- bis 64-Jährigen folgte mit einem Anteil der schweren Erkrankungen von 3,9 % erst auf Rang 24.
Eine bevorzugte Bewertung des Alters allein in der Impfreihenfolge greift deshalb nach Ansicht von Scholz und Mitarbeitern zu kurz. Die Ärzte sollten bei ihren Impfungen auch die Begleiterkrankungen berücksichtigen, schreiben sie. Die dargestellte Rangfolge biete eine evidenzbasierte und praxistaugliche Orientierungsmöglichkeit für eine mögliche Aktualisierung der bestehenden Impfrangfolge, die auch im niedergelassenen Bereich einfach umgesetzt werden könne.
Gruppen nach Risikobewertung
Ergebnisse des hierarchischen Verfahrens zur Bildung einer Rangfolge nach erwartetem präventivem Nutzen, Ränge 1 – 24 der Risikofaktoren. Dargestellt sind die hierarchisch geschätzten absoluten Risiken für schwere COVID-19-Erkrankungsverläufe mit 95-%-Konfidenzintervallen. Quelle: RKI-Bericht
Rang 1: Hämatoonkologische Erkrankungen mit Therapie
Rang 2: Metastasierte solide Tumorerkrankungen mit Therapie
Rang 3: Demenz
Rang 4: Metastasierte solide Tumorerkrankungen ohne Therapie
Rang 5: Herzinsuffizienz
Rang 6: Alter 75–79
Rang 7: Dialyse
Rang 8: Solide Krebserkrankung mit Therapie
Rang 9: Zirrhotische und schwere Leberkrankheiten
Rang 10: Down-Syndrom
Rang 11: Chronische Niereninsuffizienz
Rang 12: Zustand nach Organtransplantation
Rang 13: Alter 70–74
Rang 14: Vorhofflimmern und Vorhofflattern
Rang 15: Interstitielle Lungenerkrankung
Rang 16: Alter 65–69
Rang 17: Koronare Herzkrankheit
Rang 18: Schwere psychische Erkrankungen
Rang 19: Diabetes mellitus Typ I und II
Rang 20: COPD und sonstige schwere Lungenerkrankungen
Rang 21: Zerebrovaskuläre Erkrankungen
Rang 22: Adipositas
Rang 23: Neurologische Erkrankungen
Rang 24: Alter 60–64
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