Studie: Frühere Erkältungen mit Coronaviren schützen nicht vor COVID-19

Philadelphia – Die Antikörper gegen saisonale Coronaviren, die etwa 1/5 aller Menschen im Blut hat, binden häufig auch an SARS-CoV-2, sie sind jedoch nach einer Studie in Cell (2021; DOI: 10.1016/j.cell.2021.02.010) nicht in der Lage, die Viren zu neutralisieren und eine Infektion zu verhindern. Andererseits könnte SARS-CoV-2 eine Kreuzimmunität gegen ein saisonales Coronavirus erzeugen.
Immunologen diskutieren derzeit, ob die geringen Erkrankungszahlen an COVID-19 bei Kindern mit den häufigen Infektionen mit saisonalen Coronaviren zusammenhängen könnten. Die Coronaviren HCoV-229E, HKU1, OC43 und NL63 sind Erreger von Erkältungen, an denen vor allem Kinder in den ersten Lebensjahren leiden. Diese Infektionen hinterlassen einen vorübergehenden Immunschutz mit höheren Antikörpertitern. 2 frühere Studien hatten Hinweise auf eine mögliche Kreuzimmunität gefunden.
Das Team um George Kassiotis vom Francis Crick Institute in London hatte in Science (2020; DOI: 10.1126/science.abe1107) in archivierten Blutproben aus den Jahren 2011 bis 2018, also in der Zeit vor SARS-CoV-2, häufig Antikörper gegen saisonale Coronaviren gefunden, die im Laborexperiment auch mit SARS-CoV-2 reagierten. Diese Antikörper waren bei Erwachsenen relativ selten.
Bei Kindern wurden sie jedoch zu 62 % nachgewiesen. Die Seren mit den Antikörpern waren teilweise in der Lage, Laborviren, die mit dem S-Protein von SARS-CoV-2 bespickt waren, von einer Infektion von Zellen abzuhalten, was als Neutralisierung bezeichnet wird. In einer weiteren Studie im Journal of Clinical Investigation (2021; DOI: 10.1172/JCI143380) berichtete ein Team um Joseph Mizgerd vom Boston Medical Center, dass Patienten mit Antikörpern gegen die Erkältungsviren bei einer Infektion mit SARS-CoV-2 seltener an COVID-19 sterben.
Ein Team um Scott Hensley von der Perelman School of Medicine in Philadelphia kann diese Erfahrungen jetzt nicht bestätigen. Das Team untersuchte 432 archivierte Serumproben aus dem Jahr 2017, also aus der Zeit vor der Pandemie: 263 stammten von Kindern und 168 von Erwachsenen.
In jeder 5. Serumprobe wurden Antikörper gefunden, die mit SARS-CoV-2 reagierten. Die Antikörper waren allerdings zu 16,2 % gegen das Nukleokapsid gerichtet, das die Proteinhülle des Virus bildet. Solche Antikörper erzielen erfahrungsgemäß selten eine neutralisierende Wirkung. Nur 4,2 % der Seren enthielten auch Antikörper gegen das Spikeprotein der Coronaviren. Auch hier ist eine neutralisierende Wirkung nicht unbedingt zu erwarten. Die größten Chancen bestehen bei Antikörpern, die die Rezeptorbindungsstelle auf dem Spikeprotein erkennen. Diese Antikörper wurden jedoch nur in 0,93 % der Proben gefunden.
Anders als in den Experimenten der britischen Kollegen waren die Seren nicht in der Lage, mit dem Spikeprotein von SARS-CoV-2 gespickte Laborviren von der Infektion von Verozellen abzuhalten. Die Antikörper gegen saisonale Coronaviren erzielten demnach keine neutralisierende Wirkung gegen SARS-CoV-2.
In einer 2. Analyse verglichen die Forscher Blutproben aus der Zeit vor der Pandemie von 251 Personen, die später positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden, mit einer Kontrollgruppe von 251 Personen gleichen Alters, die sich nicht mit SARS-CoV-2 infizierten.
Wiederum fanden sie heraus, dass etwa 1/5 der Seren Antikörper gegen SARS-CoV-2 enthielten. Anders als in der Studie von Mizgerd erkrankten diese Teilnehmer jedoch nicht seltener an COVID-19, und es gab auch keine Hinweise, dass die Erkrankung bei ihnen einen leichteren Verlauf nahm. Auch dies spricht gegen die Hypothese, dass frühere Erkältungen mit saisonalen Coronaviren vor COVID-19 schützen können.
Es könnte jedoch eine umgekehrte Kreuzimmunität bestehen: Die Infektion mit SARS-CoV-2 führte zu einem Anstieg der Antikörpertiter gegen eines der saisonalen Coronaviren. Dies war das Coronavirus OC43, das wie SARS-CoV-2 zu den Beta-Coronaviren gehört. Die Antikörpertiter gegen die Coronaviren 229E und NL63 wurden dagegen nicht geboostet. Diese gehören zu den Alphacoronaviren. Ob die Kreuzimmunität Menschen nach COVID-19 für einige Zeit vor Erkältungen schützt, hat die Studie nicht untersucht.
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