Studie: Wen die COVID-19-Pandemie am meisten stresst

Manchester – Der Lockdown, der die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung deutlich eingeschränkt hat, ging mit einer deutlichen Verschlechterung der mentalen Gesundheit einher. Dies kam im Rahmen einer britischen Umfrage heraus, deren Ergebnisse jetzt in Lancet Psychiatry (2020; DOI: 10.1016/ S2215-0366(20)30308-4) veröffentlicht wurden.
Die „UK Household Longitudinal Study“ befragt seit 2009 eine repräsentative Stichprobe jährlich zu verschiedenen sozialen und ökonomischen Belangen. Zum Fragenkatalog, den die mehr als 50.000 Teilnehmer jährlich ausfüllen, gehört auch der „General Health Questionnaire“ (GHQ-12). Er erfasst 12 Aspekte zur psychischen Verfassung, die mit 0 bis 3 Punkten bewertet werden (schlechtestes Ergebnis: 36 Punkte).
In diesem Jahr wurde die Befragung zwischen dem 23. und 30. April durchgeführt. Die Bevölkerung befand sich seit einem Monat im Lockdown, den die Regierung am 23. März beschlossen hatte. Ende April war noch kein Ende abzusehen und die Stimmung in der Bevölkerung entsprechend gedämpft. Dies machte sich auch in den Antworten zum GHQ-12 bemerkbar, die ein Team um Kathryn Abel von der Universität Nottingham jetzt ausgewertet hat.
Der Durchschnittswert im GHQ-12 war von 11,5 auf 12,6 Punkte in den Jahren davor angestiegen. Dies bedeutet eine Verschlechterung um 1,1 Punkten. Der GHQ-12 war auch in den Jahren zuvor leicht angestiegen. Der Lockdown war jedoch nach den Ergebnissen von Abel mit einer zusätzlichen Verschlechterung um 0,48 Punkte verbunden, die mit einem 95-%-Konfidenzintervall von 0,07 bis 0,90 Punkten signifikant war.
Mehr als ein Viertel (27,3 %) der Studienteilnehmer erlebte Ende April eine nach Einschätzung von Abel „potenziell klinisch signifikante psychische Belastung“. Vor der Pandemie war es weniger als ein Fünftel (18,9 %) gewesen.
Der GHQ-12 ist allerdings nur ein Screening-Fragebogen, der keine klinische Diagnose erlaubt. Das Ergebnis bedeutet laut Abel nicht, dass ein Viertel der Bevölkerung an einer behandlungsbedürftigen mentalen Erkrankung leidet. Die Ergebnisse würden jedoch zeigen, dass die psychische Belastungen nach einem Monat Lockdown erheblich waren.
Frauen haben nach der Studie mehr unter dem Lockdown gelitten als Männer. Der Anstieg im GHQ-12 betrug 0,92 gegenüber 0,06 Punkten. Das größte Opfer brachten jedoch jüngere Menschen, für die das Coronavirus die geringste Gefahr bedeutet.
In der Altersgruppe der 16- bis 24-Jährigen stieg der GHQ-12 um 2,69 Punkte. Bei den über 70-jährigen (die das höchste Sterberisiko im Fall einer Infektion haben) verschlechterte sich die psychische Verfassung nur um 0,17 Punkte).
Der GHQ-12 verschlechterte sich bei Eltern mit Kindern im Vorschulalter um 1,45 Punkte. Kinderlose Personen (plus 0,33 Punkte) waren weniger stark belastet. Auch Beschäftigte (plus 0,63 Punkte) litten stärker unter dem Lockdown. Bei Arbeitslosen verbesserte sich das psychische Befinden dagegen um 0,48 Punkte.
In den Einkommensklassen waren die Höherverdiener (plus 0,90 Punkte) deutlich mehr gestresst als die niedrigeren Lohngruppen. Städter (plus 0,52 Punkte) litten tendenziell mehr unter dem Lockdown als die Landbevölkerung (plus 0,37), Migranten (plus 0,71) mehr als Einheimische (0,47). Eheleute (plus 0,60) waren tendenziell stärker belastet als Singles (plus 0,48).
Abel vermutet, dass die Umfrage zu einem kritischen Zeitpunkt durchgeführt wurde, an dem die Verunsicherung am höchsten war. Sie hofft, dass sich die psychische Verfassung bei der nächsten Umfrage wieder verbessert hat. Es könnte allerdings sein, dass es infolge der zu erwartenden Rezession mit Arbeits- und Einkommensverlusten zu neuen Stressoren kommt.
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