Medizin

Ursache der beunruhigenden Zunahme kindlicher Hepatitisfälle weiterhin ungeklärt

  • Donnerstag, 23. Juni 2022
/bluebay2014, stock.adobe.com
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London – Die Zahl mysteriöser Hepatitisfälle unklarer Genese bei Kindern ist seit der letzten Meldung der Weltgesundheitsorganisation WHO vom Mai 2022 weiter angestiegen. Dies gab Philippa Easterbrook, die bei der WHO für die Hepatitis Programme zuständig ist, heute auf dem auf dem Internationalen Leberkongress ILC in London während einer Pressekonferenz bekannt.

Noch immer liege die Ursache im Dunkeln, so die Vertreterin der WHO. Waren es Anfang Mai noch 244 Fälle, zählte die WHO mit Stichtag von 20. Juni 2022 nun 894 als betroffen gemeldete junge Patientinnen und Patienten.

52 % der Kranken stammen aus Europa, wo das Vereinigte Königreich am häufigsten betroffen war: 262 der Hepatitisfälle unklarer Genese ereigneten sich in UK, dies macht fast 1/3 aller Fälle weltweit und rund die Hälfte aller Fälle in Europa aus.

Aus den Krankenakten, deren Daten rigoros aufgearbeitet worden sind, lässt sich schlussfolgern, dass rund 10 % der Erkrankten eine Lebertransplantation benötigten und die Letalität dieser Hepatitiden bei 2 % liegt.

75 % der betroffenen Kinder waren jünger als 5 Jahre. Es zeigte sich außerdem eine Assoziation der Krankheitsschwere mit dem Alter: bei den jüngeren Kindern war der Verlauf schwerwiegender, sie benötigten öfter als die älteren einen Aufenthalt auf der Intensivstation und auch eher ein neues Organ zur Behandlung.

Obwohl, wie Easterbrook betonte, eine saubere wissenschaftliche Analyse der Frage, ob es sich global um einen echten Anstieg dieser schweren Leberent­zündungen bei Kindern handelt, oder um eher mehr Beobachtungen aufgrund erhöhter Wachsamkeit, nachdem die Fallzahlen in Europa im Frühjahr als überraschend hoch bezeichnet worden waren, lässt sich der enorme Anstieg in Großbritannien mit einem statistisch irrelevanten Ausschlag vor dem Hintergrundrauschen früherer Häufigkeiten eigentlich nicht erklären.

„Diese Hepatitiden unklarer Genese bei Kindern sind als Phänomen durchaus nicht unbekannt“, erklärte Maria Buti, Vorsitzende des Komitees für Politik und Public Health der der European Association for the Study of the Liver (EASL) auf dem Internationalen Leberkongress ILC in London erläuterte.

Jedes größere Zentrum erlebe, dass ein bis zweimal im Jahr ein Kind deswegen eine Lebertransplantation benötige. In einer Größenordnung jedoch, wie sie seit dem Frühjahr vor allem in Großbritannien beobachtet worden war, sei das jedoch höchst ungewöhnlich, erklärte die Vertreterin von EASL in London.

Dazu passte, wie Buti weiter betonte, dass man gerade auch in diesem Land im Vergleich zu anderen Regionen einen deutlich höheren Anteil zirkulierender Adenoviren beobachten konnte – und zwar offenbar zu einem Zeitpunkt, als die Masken fielen und dies zuließen.

Schließlich spiegelt sich das auch im Nachweis von Adenoviren bei den betroffenen Kindern: bei 68 % der britischen Patienten waren diese Viren nachweisbar, im übrigen Europa galt dies für nur 53 % aus dem betroffenen Kollektiv. Kinder, bei denen Adenoviren nachgewiesen worden waren, waren eher jünger und mussten eher mit einem problematischeren Verlauf rechnen – eine weitere Korrelation, die ins Bild passt.

Nur bei jedem 10. der kindlichen Patienten konnte per PCR-Test eine COVID-19-Infektion nachgewiesen werden. Dies habe in dem erwartbaren Umfang gelegen, den man aufgrund der Epidemiologie der COVID-Infektionen unter Kindern habe zugrunde legen können, erklärte Easterbrook.

„Was wir aber nicht wissen ist, wie viele der Kinder eine länger zurückliegende Coronavirusinfektion erlitten hatten“, räumte sie ein – und inwieweit diese als Auslösefaktor hätte zu Buche schlagen können.

Daher lassen sich derzeit die Fragen nach der Ätiologie auch nur unzureichend beantworten. Es könnte eine von Adenoviren getriggerte Reaktion sein, entweder isoliert oder in Kombination mit einer SARS-CoV2-Infektion.

Es könnte sich eventuell auch um eine Post-COVID-Erkrankung bei Kindern handeln, oder aber, darüber wird ebenfalls spekuliert, um eine besondere Manifestation der multisystemischen Inflammation (Paediatric Inflammatory Multisystem Syndrome, PIMS) handeln, wie sie ebenfalls insbesondere bei Kindern – dies aber sehr selten – im Rahmen einer Coronavirusinfektion beobachtet wird.

All das seien Hypothesen, die im Rahmen von Studien und Analysen weiter überprüft würden, so Easterbrook. So würde in einer laufenden Fall-Kontroll-Studie untersucht, welchen Anteil die Adenoviren tatsächlich haben könnten.

Andere widmen sich der Frage, ob charakteristische Genmuster der Kinder entweder anfällig oder resilient machen könnten. Nach wie vor hat die Einschätzung Bestand, dass ein ursächlicher Zusammenhang der jüngsten kindlichen Hepatitisfälle mit den verschiedenen Impfungen gegen das SARS-CoV-2 Virus höchst unwahrscheinlich ist.

„85 % der Betroffenen waren nicht einschlägig geimpft“, betonte Easterbrook auf Nachfrage. Als die Fälle auftraten hatte es ohnehin noch keine Zulassungen dieser Impfungen in dieser Altersklasse gegeben. Daher ist nicht auszuschließen, dass aufgrund der aktuellen Zulassungen von Impfstoffen gegen SARS-CoV-2 für sehr kleine Kinder, noch andere Beobachtungen gemacht werden könnten.

Buti betonte als Klinikerin, dass vor allem die Eltern ermutigt werden sollten, mit ihrem Kind rechtzeitig einen Arzt oder eine Klinik aufzusuchen, falls sie anhaltende gastrointestinale Symptome beobachteten.

Zwar seien Erbrechen, Übelkeit oder Durchfälle besonders bei kleinen Kindern nicht eben selten. Wenn allerdings noch ein Ikterus dazu komme, dann sollte man schon wachsam sein, auch als Arzt, mahnte die Hepatologin von der Universitätsklinik in Valle Hebron in Barcelona.

mls

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