Immer Heimkämpfe – Schach hinter Gittern
Das Kulturelle Schachmagazin Karl widmete seine erste Ausgabe 2017 dem Thema „Schach & Gefangenschaft“. Im Editorial heißt es: „Zwischen Schach und Gefangenschaft scheint von jeher eine enge Verbindung zu bestehen. So gilt Gunzelin von Kuckenburg, der als Gefangener im Turm von Ströbeck 1011, also vor mehr als tausend Jahren(!), den Wachen das Schach beibrachte, als Gründungsvater der Schachtradition des berühmten Dorfes im Harz.
So romantisch sind Gefangenengeschichten jedoch selten. Zuweilen sind sie bizarr, wie die von Claude Bloodgood, der wegen Mordes in den USA zunächst zum Tode verurteilt wurde und nach seiner Begnadigung lebenslänglich im Gefängnis saß. Er spielte gegen seine Mitgefangenen Tausende von Partien, gewann sie fast alle und reichte sie beim amerikanischen Schachverband zur Anerkennung ein. Dadurch erhielt er eine Rating-Zahl, die ihn 1996 offiziell zum zweitbesten Spieler der USA machte.“ Natürlich entsprach dies letztlich nicht der Wirklichkeit „der Welt draußen“, mag auch Bloodgood ein recht guter Spieler gewesen sein.
Im selben Heft wird auch ausführlich von der JVA Straubing, dem berühmtesten Beispiel für Gefangenenschachkultur der Gegenwart, berichtet, wo Schach seit 65 Jahren zum Knastalltag gehört, die Gefangenen sogar am Ligabetrieb teilnehmen dürfen und eine eigene monatliche Schachzeitung herausgeben: Die Kleine Schachpost. Ich selbst habe zweimal in diesem Hochsicherheitsgefängnis simultan gespielt, unter anderem gegen den „Mittagsmörder“ und „Begonienmörder“ – beide gute Amateure.
Dr. med. Franz-Jürgen Schell berichtet nun von etwas durchaus Vergleichbarem in Hamburg. Die Betriebsschachgruppe der Asklepios-Kliniken hat, ebenso wie die JVA in Straubing, immer Heimspiele. Der Grund: Gespielt wird in der Forensischen Psychiatrie. Die Mannschaft ist bunt gemischt und umfasst Psychiater, Psychologen, Pfleger (nicht mich!), ehemalige und aktuelle Patienten. Dr. Schell: „Die Gegner müssen sich für jede Begegnung einer Sicherheitsprüfung unterziehen (ähnlich der vor Flügen) und werden dann (bisher nur vorübergehend) mit eingeschlossen. Ähnlich wie im Filmklassiker ‚Einer flog über das Kuckucksnest’ wissen sie nie so genau, ob sie mit ihrem Bauernraub einen Psychiater oder einen zum Maßregelvollzug verurteilten Straftäter herausfordern ... Rätselhaft ist, dass es in Hamburg zwar sieben große Asklepios-Kliniken mit mehr als 14.000 Mitarbeitern gibt, aber die schachliche Kompetenz sich auf auffällige Weise ausgerechnet in der Forensischen Psychiatrie konzentriert. Warum auch immer.“
An den beiden ersten Brettern spielen der Chefarzt Dr. med. Guntram Knecht, der bei seiner ersten Teilnahme am letzten Ärzteschachturnier als Zehnter sehr gut abschnitt, und der Pressesprecher Dr. med. Franz-Jürgen Schell, der zwar als Einziger ein „Externer“, aber als Nervenarzt doch vom Fach ist.
Nachfolgend eine schöne Kombination von Dr. Knecht – ihr einziger „Makel“: Sie gelang ihm – quasi außerforensisch – bei der Betriebsmeisterschaft für seinen Verein FC St. Pauli gegen Herrn Röper vom Zoll.

Diagramm
(wKg1, Db6, Td1, Td6, Lf5, Ba4, b2, c2, e4, f2, g3, h2;
sKh8, De7, Ta6, Tf8, Sb8, Ba5, b4, c6, e5, f6, g7, h6)
Dr. Knecht als Weißer hat seinen Gegner vollkommen eingeschnürt, die einzig offene d-Linie ist in seinen Händen, der prächtige Läufer f5 dominiert den bemitleidenswerten Springer b8.
Andererseits ist seine Dame angegriffen, und bekanntlich ist nichts schwerer, als eine gut stehende Partie zu gewinnen, zumal die schwarze Verteidigung zu stehen scheint.
Doch mit welchem herrlichen Zug gewann Dr. Knecht schnell?
Nach 1.Dd8! war Schwarz verloren. 1...Txd8 2.Txd8+ ergibt matt und auch 1...Df7 2.Dxf8+! Dxf8 3.Td8 Kg8 4.Le6+ war hoffnungslos.
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