490.000 Euro: Regress wegen Unterschriftenstempels bestätigt

Kassel – Für eine Verordnung ist vor den Zeiten elektronischer Signaturen zwingend eine persönliche Unterschrift des Arztes erforderlich gewesen. Ein Unterschriftenstempel war nicht ausreichend. Das hat der für Vertragsarztrecht zuständige 6. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) gestern entschieden (Az.: B 6 KA 9/24 R). Der betroffene Mediziner muss Einnahmen in Höhe von 490.000 Euro zurückzahlen. Kritik kommt von der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV).
„Die persönliche Unterschrift des Arztes ist wesentlicher Bestandteil für die Gültigkeit einer Verordnung“, sagte die Pressesprecherin des BSG, Petra Maria Knorr, dem Deutschen Ärzteblatt auf Nachfrage. Es handele sich im vorliegenden Fall um eine Pflichtverletzung des Arztes und stehe nicht mit den Qualitätsansprüchen bei Arzneimittelverordnungen in Einklang.
Sei eine persönliche Unterschrift nicht gewährleistet, bestehe auch kein Anspruch auf eine Vergütung. Das gelte auch, wenn die Indikationsstellung eigentlich korrekt gewesen wäre. Das spiele in dem Fall aber keine Rolle mehr.
Im gestern verhandelten Fall hatte der Facharzt für Innere Medizin mit dem Schwerpunkt Kardiologie in den Quartalen 1/2015 bis 2/2018 Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht persönlich unterzeichnet. Vielmehr kam ein Unterschriftenstempel (Faksimilestempel) zum Einsatz. Auf Antrag einer Krankenkasse setzte die Prüfungsstelle einen Regress in Höhe von rund 490.000 Euro fest.
Es handelt sich bei Sprechstundenbedarfsverordnungen nicht um Honorare, die der Arzt erhalten hat und zurückzahlen muss. Vielmehr geht es um Verordnungen, die in der Apotheke eingelöst worden sind und von den Krankenkassen an die Apotheken erstattet wurden. Der Kardiologe zahlt nun also Geld an die Krankenkassen, dass diese bei einer korrekten persönlichen Unterschrift hätten ohnehin bezahlen müssen.
Widerspruch und Klage waren zuvor beim Sozialgericht Marburg (Az.: S 17 KA 88/23) ohne Erfolg geblieben. Die Vorinstanz hatte entschieden, dass der Vertragsarzt seine Pflichten verletzt hat, da er die Verordnungen nicht persönlich unterzeichnete. Die Pflichtverletzung sei als gewichtig einzuschätzen. Diese sei auch schuldhaft, mindestens fahrlässig erfolgt. „Der Arzt wusste, dass er hätte persönliche verordnen müssen“, erläuterte die BSG-Pressesprecherin.
Die Unterschrift des Arztes auf einem Rezept sei kein bloß formeller Vorgang, sondern diene dem Schutz von Leben und körperlicher Unversehrtheit der Versicherten, betonte das Sozialgericht nach Angaben des BSG darüber hinaus.
Der Kardiologe hatte mit seiner Sprungrevision die Verletzung von Verfassungs- und Bundesrecht gerügt. Für ihn fehlte etwa die gesetzliche Grundlage, die die Zuständigkeit der Prüfgremien für die Feststellung eines sonstigen Schadens regelt oder sie zum Erlass von belastenden Verwaltungsakten berechtigt. Letztlich seien auch die Tatbestandvoraussetzungen für die Feststellung eines sonstigen Schadens nicht erfüllt.
Den Argumenten folgte das Bundessozialgericht nicht. Eine weitere sozialrechtliche Instanz steht dem Arzt nicht offen. Möglich ist noch eine Verfassungsbeschwerde.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) zeigte sich heute unzufrieden mit dem Urteil und der Rechtslage. „Geradezu absurd und unglaublich, aber leider wahr: Wegen eines Formfehlers überziehen Krankenkassen ärztliche Kollegen einer Praxis, die medizinisch vollkommen korrekt gehandelt haben, mit einem ruinösen Regress in Höhe von fast 500.000 Euro“, schreiben die KBV-Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner in einer Mitteilung.
Das sei „eine Unverhältnismäßigkeit sondergleichen“, die auch noch vom Bundessozialgericht bestätigt worden sei.„Die Kollegen hatten die Verordnungen nicht unterschrieben, sondern gestempelt. Das war formell falsch, führte aber zu keinem Schaden. Alle Leistungen waren medizinisch erforderlich und für die Behandlung der Patienten notwendig. Das ist stets unstrittig gewesen“, moniert die KBV.
Sie erheben schwere Vorwürfe gegen das Gericht. Die Richterinnen und Richter des BSG hätten „nicht die notwendige Versorgung von Menschen, sondern das bürokratische Konstrukt des Formfehlers zum Maß aller Dinge“ erhoben. Die Juristen hätten den Formfehler der fehlenden Unterschrift genauso bewertet, als wenn das Arzneimittel zu Unrecht ausgegeben worden wäre. Das habe „fatale und existenzbedrohende Folgen für die niedergelassenen Kollegen“.
Die KBV betonte, die Entscheidung werfe auch ein Schlaglicht darauf, dass man dringend eine gesetzliche Klarstellung brauche, die sogenannte Differenzkostenberechnung auszuweiten. „Regresse werden begrenzt auf die Differenz zwischen den tatsächlichen Kosten und den Kosten, die bei einer wirtschaftlichen Verordnung angefallen wären. Einfach formuliert: Wir brauchen eine Anrechnung dessen, was die Versicherten medizinisch sachgerecht erhalten haben“, so die KBV-Vorstände.
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