Politik

Ärztliche Behandlungsfehler: Diskussion um Beweislastumkehr

  • Mittwoch, 29. Mai 2024
/joyfotoliakid, stock.adobe.com
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Berlin – Bei ärztlichen Behandlungsfehlern tragen die Patienten die Beweislast. Auf der Konferenz „11 Jahre Patientenrechtegesetz – Braucht es ein Update?“ diskutierten Fachleute über eine mögliche Umkehr und damit Erleichterungen für Patienten.

„Der Status quo ist im Arzthaftungsrecht, dass die Patientinnen und Patienten einen Behandlungsfehler und die dadurch entstandene Schädigung sowie den Zusammenhang zwischen beiden beweisen müssen“, erklärte der Bundesgeschäftsführer der BAG Selbsthilfe, Martin Danner.

Dieser Zusammenhang sei „aber nur schwer zu erbringen“. Für die Patienten stelle dies eine schwierige Situation dar, weil es bei der Behandlung eine Informationsasymmetrie gebe und sie zum Beispiel nicht mitbekämen, was unter der Narkose mit ihnen geschehen sei.

Claus Fahlenbrach vom AOK-Bundesverband berichtete, dass sich pro Jahr etwa 15.000 Versicherte mit einem Behandlungsfehlerverdacht an die AOK wendeten. „Bei etwa 30 Prozent der Fälle gehen wir davon aus, dass der Behandlungsfehler ursächlich für einen Schaden war“, sagte Fahlenbrach. „Für die Versicherten entstehen dann aber große Hürden. Denn die Kausalität zwischen Fehler und Schaden muss zu 100 Prozent klar sein.“

Bei vielen Versicherten bestehe ein großes Hemmnis zu klagen, da sich die Prozesse zum Teil bis zu zehn Jahren hinziehen könnten, weil sie sich dann so lange mit dem Thema auseinandersetzen müssten und weil die Prozesse natürlich Geld kosteten. „Zudem besteht für viele Versicherte eine Hemmschwelle, gegenüber Ärztinnen und Ärzten als Kläger aufzutreten, denen sie ja eigentlich vertrauen“, so Fahlenbrach.

Grüne fordern Novelle des Patientenrechtegesetz

Der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen, sprach sich für eine Novellierung des Patientenrechtegesetzes aus. „Wir sind davon überzeugt, dass die Reform des Patienten­rechte­gesetzes ein zentraler Baustein zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung in Deutschland ist“, sagte er.

Eine Novelle sei notwendig, um die Situation sowohl der Gesundheitsberufe als auch der Patienten zu ver­bessern. Ziel müsse es sein, dass in der Medizin nicht mehr über, sondern mit den Patienten gesprochen werde.

Im Koalitionsvertrag der Ampelkoalition heißt es: „Bei Behandlungsfehlern stärken wir die Stellung der Pa­tientinnen und Patienten im bestehenden Haftungssystem. Ein Härtefallfonds mit gedeckelten Ansprüchen wird eingeführt.“

Das Bundesgesundheitsministerium will der Grünen-Bundestagsfraktion zufolge noch in diesem Jahr einen ersten Gesetzentwurf zur Novellierung des Patientenrechtegesetzes vorlegen.

Warnung vor einer Beweislastumkehr

Carina Dorneck, Professorin für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier, warnte vor einer Ver­schiebung der Beweislast. „Bei einer Verschiebung der Haftungsrisiken wird der Weg in die Defensivmedizin gestärkt“, erklärte sie. Ärzte wären dazu geneigt, nur noch Behandlungen durchzuführen, die nahezu sicher ohne Schaden verlaufen würden – anstelle einer sinnvolleren, aber gegebenenfalls gefährlicheren Behand­lung.

Dorneck betonte, wenn Ärzte erst einmal Beweis führen müssten, ungerechtfertigte Schadensersatzansprüche abzuwenden, drohten unverhältnismäßige Dokumentationspflichten. Dokumentationspflichten, die am Ende zulasten des Patienten gingen, weil in der Medizin Zeit ohnehin Mangelware sei, so Dorneck. Zu befürchten sei auch eine Übertherapie – zur Absicherung einer einmal gestellten Diagnose.

Aus ihrer Sicht würde eine Beweismaßreduzierung im Sinne einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit dem Patienten voraussichtlich mehr schaden als nutzen. Denn „eine Verpflichtung des Arztes zum Ersatz von Schäden, die er nicht sicher, sondern nur mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit verursacht hat, erscheint insbesondere für Hochrisikodisziplinen wie die Gynäkologie mit Geburtshilfe problematisch“.

Ein weiterer Anstieg der Haftungsrisiken – und damit korrespondierend der Haftpflichtversicherungsprämien – drohe die Patientenversorgung zu gefährden.

Verbesserung der Fehlerkultur

Karsten Scholz, Leiter des Dezernats Recht der Bundesärztekammer, wies darauf hin, dass im aktuellen Patien­tenrechtegesetz auch die Organisationsverantwortung bei Nichteinhaltung des medizinischen Standards als Behandlungsfehler ausgeführt wird.

„Dazu gehört die schlüssige Planung der Arbeitsabläufe, Vertretungsregelungen oder die Einhaltung der not­wendigen Hygiene“, sagte Scholz. In diesem Bereich habe das Gesetz aber keine große Wirkung entfaltet: Dieser Aspekt stehe bei den Gerichten nicht so im Fokus.

Dahmen forderte: „Wir müssen uns aus den Grabenkämpfen lösen und uns klar machen, warum bestimmte Fehler passieren. Wenn wir uns verschiedene Schadensfälle anschauen, stellen wir fest, dass nicht nur die un­mittelbar an dem Schaden Beteiligten ursächlich für den Schaden sind, sondern auch Dritte, die in der Regel innerhalb der Organisationsverantwortung der Einrichtung über Ressourcen entscheiden.“

Heute sei es so, dass es Chefärztinnen und -ärzten nicht unmittelbar möglich sei, über die notwendigen Res­sourcen eigenständig zu entscheiden. „Das führt zu der Situation, dass diese Ärztinnen und Ärzte auf die Strukturen der Fehlerprävention gar keinen Einfluss haben“, so Dahmen.

Falsche Anreize durch das System

Tim Neelmeier, Vorsitzender Richter am Landgericht Itzehoe, betrachtet die Anreize, die das System der diag­nosebezogenen Fallpauschalen (DRG) setzt, als mögliche Ursache für Behandlungsfehler. Als Beispiel nannte er Situationen, in denen den Patienten aus einem ökonomischen Druck heraus ein erhöhtes Risiko für Be­handlungsfehler verschwiegen würde.

„Nehmen wir den Fall eines OP-Managers, der am Montagmorgen so viele Krankmeldungen hat, dass es keine ausreichende Personalausstattung in der Anästhesie mehr gibt“, sagte Neelmeier. „Die einzig richtige Ent­schei­dung in einem solchen Fall ist es, den OP-Plan zu verschieben und die Patienten zu warnen.“

Tue er dies unter dem bestehenden Erlösdruck jedoch nicht, setze er die Patienten sehenden Auges einer Gefahrerhöhung aus. Und es gebe immer wieder Fälle, in denen Patienten infolge von Problemen bei der Narkose zu Schaden kämen.

„Mit dem richtigen Personal sind Narkosen aber unter den richtigen Bedingungen heute absolut sicher“, be­tonte Neelmeier. „In solchen Fällen ist der Beginn der Behandlung das große Problem: nicht, wie die Behand­lung ausgeht.“

„Die Strukturen im deutschen Krankenhauswesen sind durch die Akteure vor Ort, die das haftungsrechtliche und in der Folge auch das strafrechtliche Risiko tragen, wenig beeinflussbar“, sagte Karl Beine, emeritierter Professor für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität Witten/Herdecke. „Und man muss sich verge­genwärtigen, was eigentlich jeder weiß: Hetze und Druck machen fehleranfällig.“

Beine führte aus, was einer offenen Fehlerkultur im Krankenhaus häufig entgegenstehe: „Ein öffentliches Eingeständnis von einem Fehler führt in unserem System dazu, dass die Nachfrage durch die Patienten sinkt. Das bringt in der Konkurrenzsituation, in der sich die Krankenhäuser befinden, Marktnachteile mit sich.“

Daraus könne sich ein mangelnder Aufklärungswille vonseiten der Krankenhäuser ergeben, der sich für die Patientensicherheit als schädlich erweise.

Auch Dorneck von der Universität Trier wies darauf hin, dass in der heutigen Medizin vor allem eines fehle: Zeit: „Zeit für die Aufklärung, Zeit, um Sprachbarrieren zu beseitigen, Zeit für nochmalige Kontrollen und umsichtiges Vorgehen, Zeit, um gegebenenfalls ein kollegiales Konsil einzuholen und vor allem Zeit für die Patienten selbst und eine Behandlung auf Augenhöhe.“

fos

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