Beitragsspirale: Krankenkassen in Sorge, Ausweg gesucht

Kremmen – Die Finanzlage bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bleibt weiter angespannt. Das hat der GKV-Spitzenverband heute im brandenburgischen Kremmen klargestellt.
Nach einer deutlichen Erhöhung der Zusatzbeiträge zu Jahresbeginn habe es bis Mai schon acht weitere Erhöhungen gegeben, sagte Doris Pfeiffer, Chefin des GKV-Spitzenverbands. Für Juli hätten nochmals sechs weitere Krankenkassen eine Anpassung beantragt. Pfeiffer sprach von einer dramatischen Situation. Es sei dringend notwendig, die Beitragsspirale zu durchbrechen.
Hintergrund ist Verbandsangaben zufolge, dass die Kassen steigende Ausgaben decken, aber auch stark geschrumpfte Finanzreserven wieder auffüllen müssen. Sie lagen Ende 2024 nur noch bei sieben Prozent einer Monatsausgabe, statt der vorgeschriebenen 20 Prozent.
In den nächsten Monaten würden nach den Beitragsanhebungen Überschüsse bei den Kassen zu sehen sein, machte Pfeiffer deutlich. „Das ist nicht, weil es den Kassen so gut geht“, betonte sie. Die Erhöhungen seien „Reparaturkosten“ eines politisch erzwungenen Abbaus einst hoher Reserven. Für 2024 hatten die 94 Kassen ein Defizit von 6,2 Milliarden Euro verbucht, beim Gesundheitsfonds waren es 3,7 Milliarden Euro.
„Die sechs Milliarden Minus bei den Kassen waren nicht vorhersehbar“, sagte Pfeiffer. Der Schätzerkreis habe im Oktober 2023 die Ausgaben für das Jahr 2024 um fast acht Milliarden niedriger geschätzt. Im Jahr 2024 sei es dann jedoch zu deutlichen Ausgabensteigerungen gekommen.
Vor allem die großen Leistungsbereiche hätten deutliche Zuwächse zu verzeichnen gehabt. „Bei den Krankenhausbehandlungen ist dies der stärkste Anstieg aller Zeiten“, sagte Pfeiffer. Dazu beigetragen hätten unter anderem die gestiegenen Pflegepersonalkosten und die Inflation. Zudem hätten die schweren Fälle zugenommen.
Für die Pflegeversicherung, in der es Anfang 2025 auch eine Beitragsanhebung gegeben hat, wird in diesem Jahr noch ein kleines Minus von 166 Millionen Euro erwartet – nach einem Verlust von 1,5 Milliarden Euro im vergangenen Jahr.
In den ersten drei Monaten 2025 wurden 90 Millionen Euro Defizit verbucht. „Es wird immer enger“, sagte Pfeiffer. Ohne zusätzliche Mittel könnte drohen, dass weitere Pflegekassen Liquiditätshilfen benötigen. Es brauche jetzt eine „finanzielle Atempause“, um grundlegende Reformen angehen zu können.
Der Kassenverband forderte als Sofortmaßnahmen erneut, dass der Bund die Rentenversicherungsbeiträge für pflegende Angehörige übernimmt und den Pflegekassen Milliardenausgaben aus der Coronakrise erstattet. Die schwarz-rote Koalition will Kommissionen einsetzen, die Reformvorschläge für eine gründliche Stabilisierung der Pflege- und Krankenversicherung machen sollen.
„Ein Grund, wenn auch natürlich nicht der einzige, für die schwierige Finanzsituation beider Systeme ist der, ich kann es nicht anders sagen, schamlose Griff der beiden letzten Regierungen in die Kassen sowohl von Pflege- als auch von Krankenversicherung“, sagte Uwe Klemens, Versichertenvertreter im GKV-Spitzenverband.
In Bezug auf die gesundheitliche Versorgung der Bürgergeldbeziehenden machte er deutlich, dass der Bund die Krankenkassen auf rund zwei Dritteln der Kosten sitzen lasse, was die Beitragszahlenden etwa zehn Milliarden Euro koste. Für 2025 bedeute dies allein rund 0,5 Beitragssatzpunkte.
Als weiteres Beispiel nannte Klemens den Krankenhaustransformationsfonds: Der Widerstand insbesondere der Selbstverwaltung habe verhindert, dass die Summe aus Steuermitteln anstelle von Beitragsgeldern bezahlt werde. „Wir setzen darauf, dass die neue Bundesregierung dies nun auch rasch umsetzt“, betonte er. Dies stelle zwar noch keine Entlastung der Krankenkassen dar, jedoch das Ausbleiben einer zusätzlichen Belastung.
Die Regierungen der vergangenen Jahre hätten drohende Finanzierungslücken im System nur mit einem Griff in die Rücklagen gestopft – sowohl bei den Krankenkassen als auch beim Gesundheitsfonds.
„Das Ergebnis sehen wir jetzt: Beitragsanhebungen auf Rekordniveau, kaum noch Reserven bei den Kassen, einen Gesundheitsfonds, der seine Liquidität nur über das teilweise Vorziehen des Bundeszuschusses sicherstellen kann und einen ungebremsten Ausgabenanstieg“, so Klemens.
Dahingehend sei auch der neue Koalitionsvertrag eine große Enttäuschung. Das Ziel einer bedarfsgerechten medizinischen und pflegerischen Versorgung sei darin zwar klar formuliert, die benannten Vorhaben seien jedoch kaum geeignet, um dieses Ziel zu erreichen, sagte der Versichertenvertreter.
Es fände sich darin nicht einmal das Vorhaben, versicherungsfremde Leistungen wie die gesundheitliche Versorgung von Bürgergeldbeziehenden angemessen zu finanzieren.
„Es ist völlig indiskutabel und geht an der Wirklichkeit vorbei, wenn erst im Jahr 2027 konkrete Vorschläge zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung vorliegen sollen“, betonte Klemens. „Politik, die nicht umgehend aktiv wird, sieht weiteren drastischen Beitragserhöhungen tatenlos zu“.
„Der Notfallpatient, als den die neue Bundesgesundheitsministerin Warken die GKV zu Recht bezeichnet hat, ist nicht über Nacht plötzlich schwer erkrankt“, machte auch Susanne Wagenmann, Arbeitgebervertreterin beim GKV-Spitzenverband, deutlich.
Vielmehr habe aktives politisches Handeln in Form teurer Gesetze die Krankenkassen in diese Situation gebracht. „Das Gute daran ist, dass diese Probleme nun im Gegenzug auch durch politisches Handeln wieder gelöst werden können“, sagte sie.
Um Beitragszahler zu schützen, brauche es noch vor der politischen Sommerpause entsprechende Maßnahmen. Dazu zähle zum einen ein Ausgabenmoratorium: Eine klare gesetzliche Regelung müsse vorgeben, dass Krankenkassen künftig nicht mehr ausgeben dürften als sie einnähmen, so Wagenmann.
„Das wäre eine strikte Bindung der Ausgabenentwicklung an die reale Einnahmesituation der Krankenkassen ohne weitere Beitragserhöhungen“, sagte sie. Das schließe künftige Preis- und Honoraranstiege zwar nicht aus, begrenze sie aber auf ein wirtschaftlich vertretbares Maß.
Mittel- und langfristig betrachtet brauche das System durchgreifende Strukturreformen, damit sich das Versorgungsangebot nach den Bedarfen der Patienten richten könne und das Ganze finanzierbar bleibe.
Dies erfordere nicht nur die derzeitige Finanzsituation, sondern auch der demografische Wandel mit zunehmendem Fachkräftemangel. Bundesgesundheitsministerin Warken habe bereits Offenheit für die Zusammenarbeit mit der Selbstverwaltung signalisiert, die im Interesse der Beitragszahler gerne angenommen werde, so Wagenmann.
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