Benefit und Kostenersparnis durch Überkreuzlebendnierenspende und präemptive Nierentransplantationen

Berlin – Um den Organmangel in Deutschland zu verringern, sollen Nierenlebendspenden künftig nicht nur wie bisher bei bestehenden Näheverhältnis von spendender und empfangender Person möglich sein, sondern auch Nierenspenden zwischen zwei unterschiedlichen Paaren über Kreuz, sogenannte Cross-over-Lebendspenden, sowie nicht gerichtete anonyme Nierenspenden. Dazu soll ein nationales Programm für die Überkreuzlebendnierenspende in Deutschland aufgebaut werden.
Auch die Nachrangigkeit einer Lebendspende gegenüber einer postmortalen Spende (Subsidaritätsgrundsatz) soll entfallen, womit die Voraussetzungen für medizinisch vorzugswürdige präemptive, also der Dialysepflichtigkeit vorbeugende, Nierentransplantationen geschaffen werden sollen.
Dies alles sieht der Referentenentwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes – Novellierung der Regelungen zur Lebendorganspende und weitere Änderungen - vor, den das Bundesgesundheitsministerium (BMG) gestern vorgelegt hat.
Das Bundesgesundheitsministerium unter Nina Warken (CDU) rechnet damit, dass die gesetzlichen Maßnahmen mittelfristig zu erheblichen Einsparungen führen.
Zunächst würden die neuen Regelungen zur Überkreuzlebendnierenspende Bund und Ländern aber jährlich insgesamt 121.840 Euro kosten. Der Betrag setze sich aus 117.500 Euro für die stationäre Versorgung bei den vermehrten Nierentransplantationen und 4.340 Euro für die psychosoziale Beratung und Evaluation der Spenderinnen und Spender zusammen.
Auf die gesetzliche Krankenversicherung könnten zunächst jährliche Mehrkosten von geschätzt 4,4 Millionen Euro zukommen, hauptsächlich bedingt durch die steigende Zahl an stationären Behandlungen bei Lebendnierentransplantationen, heißt es in dem Entwurf. Demgegenüber stünden jedoch Einsparpotenziale durch wegfallende Dialysebehandlungen.
Wesentlichen Benefit verspricht die Novelle jedoch vor allem für die rund 6.400 Menschen, die in Deutschland auf eine Spenderniere warten. Im Jahr 2024 verstarben 253 Patientinnen und Patienten, die zuvor in die Warteliste für eine Niere aufgenommen worden waren.
Die Zahl der postmortalen Spendernieren reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. Lange Wartezeiten auf eine postmortale Nierenspende sind für die Betroffenen mit gravierenden Einschränkungen der Lebensqualität durch die zeitintensive Dialysebehandlung sowie eine erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes verbunden.
Eine Lebendorganspende ist für viele in Deutschland bisher jedoch nicht möglich, da sie an strenge Voraussetzungen geknüpft ist. Sie ist derzeit nur zulässig, wenn sich beide Personen nahestehen. Das gilt beispielsweise bei Verwandten ersten oder zweiten Grades, Verlobten, Lebenspartnern oder Personen, die sich offensichtlich in persönlicher Verbundenheit nahe sind.
Eine Lebendspende kommt momentan auch nur dann infrage, wenn kein postmortal gespendetes Organ zur Verfügung steht. Durch die Regelungen sollen Missbrauch und kommerzielles Interesse verhindert werden.
Darauf legt auch die Novelle wert, wenngleich mit anderen Mitteln: So soll die Vermittlung der Nieren ausschließlich nach medizinischen Kriterien beziehungsweise unter Wahrung der Anonymität erfolgen. Konkret sollen die Transplantationszentren über die Annahme inkompatibler Organspendepaare und von Spenderinnen oder Spendern nicht gerichteter anonymer Nierenspenden entscheiden und die erforderlichen Daten an eine unabhängige zentrale Stelle melden.
Ferner soll in Deutschland ein nationales Programm für Überkreuzlebendnierenspenden aufgebaut werden. Mit ihm wird insbesondere bei hoch immunisierten Patienten die Wahrscheinlichkeit erhöht, ein passendes Organ zu erhalten.
Ein Pool von inkompatiblen Organspendepaaren soll dazu um nicht gerichtete anonyme Nierenspenden zugunsten einer der Spenderin oder dem Spender nicht bekannten Person ergänzt werden. Aus diesem Pool können dann miteinander kompatible Organspende und Organempfänger ermittelt werden, zwischen denen eine Lebendnierenspende durchgeführt werden kann.
Die Regeln für die Annahme und Vermittlung von Nieren von inkompatiblen Organspendepaaren und von nicht gerichteten anonymen Nierenspenden sollen in den Richtlinien der Bundesärztekammer festgehalten werden. Auch der Spenderschutz soll weiter gestärkt werden. Dazu sollen die Regelungen zur Aufklärung und Konkretisierung der Spendereignung erweitert werden. Eine psychosoziale Beratung der spendenden Person und eine Evaluation sollen verpflichtend sein.
Inhaltlich gleicht der Referentenentwurf bis auf wenige Anpassungen, Präzisierungen von Zahlen sowie neuen Formatierungen einem unter dem früheren Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgelegten Gesetzentwurf zur Lebendorganspende.
Dieser hatte in der vergangenen Legislaturperiode zwar bereits das Bundeskabinett passiert, konnte jedoch aufgrund der vorzeitigen Neuwahlen nicht mehr vom Parlament beschlossen werden. Die Novellierung der Lebendorganspende muss deshalb nun neu auf den Weg gebracht werden.
Die Novelle entspricht auch einer langjährigen Forderung der Ärzteschaft. Diese hatte sich bereits beim 125. Deutsche Ärztetag 2021 mehrheitlich dafür ausgesprochen, den Kreis der Spender bei der Lebendorganspende auszuweiten. Auch aus Sicht des Ärzteparlaments sollte eine Cross-over-Lebendspende – wie sie bereits in anderen Ländern erlaubt ist – auch in Deutschland ermöglicht werden.
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