Politik

Bund-Länder-Be­schlüsse werden zurückhaltend beurteilt

  • Freitag, 19. November 2021
/nmann77, stock.adobe.com
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Berlin – Wissenschaftliche Fachleute beurteilen die gestern von Bund und Ländern beschlossenen Maß­nahmen zur Bekämpfung der Coronakrise zurückhaltend. Die „Beschlüsse gehen in die richtige Richtung, kommen aber zu spät“, sagte etwa Hajo Zeeb vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie in Bremen.

Die Impfpflicht für medizinisches Personal werde sich ebenso wie das intensivierte Boostern erst lang­sam auswirken, etwa im Januar. „Insofern ist die sofortige Umsetzung des Testens in Pflege- und Senio­ren­einrichtungen extrem wichtig, um dort so viel Sicherheit wie derzeit möglich zu schaffen und Sterb­lichkeit nicht wieder explodieren zu lassen“, sagte er.

„Unsere Modelle zeigen, dass die den Ländern nun zur Verfügung stehenden Maßnahmen in Ländern mit einer hohen Impfquote – mindestens 70 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft – ausreichen, um die Dynamik zu stoppen“, sagte Kai Nagel von der Technischen Universität Berlin.

Für die Eindäm­mung des Infektionsgeschehens leiste insbesondere die Kombination aus 2G plus im Frei­zeitbereich und 3G am Arbeitsplatz beziehungsweise Homeoffice einen sehr deutlichen Beitrag. Das gel­te unter der Annahme, dass in Bildungseinrichtungen über regelmäßiges Lüften, Testen und Masken­pflicht Ansteckungen unterbunden würden. In Ländern mit niedriger Impfquote, in denen weniger als 60 Prozent zweimal geimpft sind, seien aber stärkere Maßnahmen nötig.

Laut den Bund-Länder-Beschlüssen von gestern tritt die 2G-Regelung, nach der nur noch Geimpfte und Genesene Zutritt zu Freizeitveranstaltungen, Gastronomie und Hotels haben, in Kraft, wenn die soge­nannte Hospitalisierungsrate über drei liegt.

Der Wert gibt an, wie viele Coronainfizierte pro 100.000 Men­schen in den vergangenen sieben Tagen ins Krankenhaus kamen. Steigt die Krankenhausrate auf mehr als sechs, sollen Geimpfte und Genesene in bestimmten Einrichtungen wie Diskotheken, Clubs und Bars zusätzlich einen Test vorlegen (2G plus).

Der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx, zweifelt daran, dass die neuen Beschlüsse zur Coronabekämpfung ausreichend sind. Er mache sich große Sorgen wegen des ungebremsten Infektionsgeschehens und einer exponentiell steig­en­den Belastung der Intensivstationen, sagte Marx heute im Deutschlandfunk.

Es gebe keinen Grund zur Panik, die Lage sei aber sehr beunruhigend, schätzte Marx die Lage auf Inten­siv­stationen generell ein. In einigen Regionen sei die Lage äußerst angespannt und am Limit. In vielen Bereichen sei das normale planbare OP-Programm noch durchführbar, aber in Regionen wie Berlin, Bayern, Sachsen und Thüringen an vielen Orten nicht mehr.

Der Immunologe Michael Meyer-Hermann bezeichnete das Auslaufen der Notfalllage als „absurde Ent­scheidung“. In den ARD-„Tagesthemen“ sagte der Experte vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum für Infektionsforschung ferner, man wisse aus anderen Ländern, dass die 2G-Regel, also Zutritt nur für Ge­impf­te und Genesene, nicht reiche, um den aktuellen Anstieg zu bremsen.

Auch eine massive Impfkam­pagne helfe nicht, „um diese vierte Welle jetzt sofort zu brechen“. Effekte seien erst im Januar oder Fe­bru­ar sichtbar. Dennoch bleibe das Impfen die einzige Chance, das Corona­problem zu lösen. Entweder bekomme eine Person das Virus oder werde geimpft. Die zweite Option sei die bessere Wahl.

Für Pflegeheime und Kliniken sind zunächst strengere Testpflichten für Beschäftigte und Besucher vor­gesehen. Darüber hinaus baten die Bundesländer den Bund, eine Impfpflicht für alle einzuführen, die Kon­takt zu besonders gefährdeten Personen haben.

„Ich finde, dass es für uns in Berufen mit Gesundheitsbezug selbstverständlich sein sollte, dass wir uns impfen, dass wir unsere Patienten diesbezüglich schützen“, sagte der Mediziner Gérard Krause vom Helm­holtz Zentrum für Infektionsforschung in Braunschweig gestern in einem ARD Extra zur Coronalage. Be­treiber entsprechender Einrichtungen hätten eine Verpflichtung ihren Patienten gegenüber, sicherzu­stellen, dass das Personal geimpft ist.

„Dass das jetzt über eine Impfpflicht eingeführt werden muss, halte ich für bedauerlich, es sollte eigent­lich selbstverständlich sein, dass das medizinische Personal und auch das pflegende Personal geimpft ist.“

dpa

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