Politik

Bundestag und Bundesrat beschließen Änderungen am Infektions­schutzgesetz

  • Mittwoch, 18. November 2020
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, nimmt an einer Sondersitzung im Bundesrat teil und hält eine Rede. Hinter ihm sitzt Reiner Haseloff (CDU), Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. /picture alliance/dpa, Wolfgang Kumm
Jens Spahn (CDU), Bundesgesundheitsminister, nimmt an einer Sondersitzung im Bundesrat teil und wirbt für das Gesetz. Hinter ihm sitzt Reiner Haseloff (CDU), Bundesratspräsident und Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, derzeit Vorsitzender des Bundesrates. /picture alliance/dpa, Wolfgang Kumm

Berlin – Bundestag und Bundesrat haben heute den Weg für die von der großen Koalition geplanten Änderungen im Infektionsschutzgesetz freigemacht. Im Bundestag stimmten 415 Abgeordnete für die Reform, um die Coronamaßnahmen künftig auf eine genauere rechtliche Grundlage zu stellen. 236 stimmten dagegen, acht enthielten sich bei der namentlichen Abstimmung.

Anschließend gab es in einer Sondersitzung des Bundesrates auch von der Mehrheit der Bundesländer die Zustimmung zum sogenannten dritten Bevölkerungsschutzgesetz. Dort gab es 49 Stimmen für das Gesetz und damit eine deutliche Mehrheit der insgesamt 69 Stimmen. Die drei Bundesländer mit FDP-Regierungsbeteiligung enthielten sich, dazu zählen Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Zusätzlich gab es eine Protokoll-Notiz, dass es zusätzliche finanzielle Absicherungen der Krankenhäuser geben müsse. Nach der Ausfertigung durch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt kann das Gesetz in Kraft treten.

Bei Protesten mehrerer Tausend Teilnehmer gegen die Gesetzesänderung und die staatliche Coronapolitik in der Nähe des Bundestages kam es parallel zur Debatte im Parlament zu Auseinandersetzungen mit der Polizei und auch zum Einsatz von Wasserwerfern. Die Polizei sprach zudem von mehr als 200 Festnahmen.

In der Debatte im Bundestag ging es gleich zu Beginn hoch her: Die AfD versuchte per Geschäftsordnungsantrag , das Thema wieder von der Tagesordnung zu nehmen, scheiterte damit aber am geschlossenen Widerstand der fünf anderen Fraktionen. Der parlamen­tarische Geschäftsführer der AfD-Fraktion, Bernd Baumann, kritisierte, die Koalition habe den Antrag in den Ausschüssen durchgepeitscht, ohne dass den Abgeordneten genügend Zeit zur Prüfung und Debatte geblieben sei. „Die heutige Gesetzesvorlage ist eine Ermächtigung der Regierung, wie es das seit geschichtlichen Zeiten nicht mehr gab“, sagte er .

Abgeordnete der anderen Fraktionen wiesen die Vorwürfe zurück. Der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Fraktion, Carsten Schneider sagte, die AfD spiele mit dem Vergleich mit dem Ermächtigungsgesetz von 1933. „Sie diskreditieren nicht nur unsere Demokratie, sondern sie machen sie verächtlich“, betonte er.

Einschüchterungsversuche gegenüber Abgeordneten

Zum Auftakt der eigentlichen Debatte zur Novellierung des Infektionsschutzgesetzes verurteilte die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag, die Einschüchterungsversuche, die viele Abgeordneten schon vor der Debatte am Mittwoch erlebt hatten: „Ich lasse mich von solchen Angriffen aber nicht einschüchtern“, so Maag. Den Tag über berichteten mehrere Abgeordnete von Personen im Bundestag, die die Parlamentarier einzeln ansprachen und bedrängten, gar in Büros eingedrungen seien.

Maag betonte, dass mit dem Gesetz die Rechte des Parlaments nicht eingeschränkt werden würden. „Wir setzen den Rechtsrahmen, nur wir können die pandemische Lage nationaler Tragweite einsetzen, nicht die Regierung.“ Auch betonte sie, das mit dem Gesetz ein Anspruch auf eine Impfung festgelegt werde, sowie die Testkapazitäten weiter erhöht werden können. Auch die Ansprüche für vulnerable Gruppen auf FFP2-Masken seien nun im Gesetz. „Ich habe noch nie erlebt, dass ein Gesetz so missverstanden wurde, wir haben im Parlament mehr Macht als zuvor“, so Maag an die Kritiker.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigte in der Debatte die Coronabeschränkungen und warb um weiteres Vertrauen in das Krisenmanagement. Steigende Infektionszahlen führten früher oder später zu steigendem Leid auf den Intensivstationen und zu einem Kontrollverlust, sagte der CDU-Politiker. Seine Rede wurde gleich zu Beginn von Protestaktionen der AfD-Fraktion gestört, die durch Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) deutlich kritisiert wurde.

Spahn verweis erneut darauf, dass die Pandemie ein Jahrhundertereignis sei, die „schicksalshaft auf uns zu gekommen“ sei. „Egal, was wir finden, es stiftet Schaden, wirtschaftlich, gesellschaftlich, sozial.“ Daher müsse die Politik Prioritäten setzen und die Entscheidungen treffen. An die AfD-Fraktion gerichtet, die seine Rede mit Zwischenrufen unterbrachen, fragte der Minister: „Ist Ihnen das Leid der Patienten egal?“ Man sei in Deutschland vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen und daher frage er sich, wo die Abgeordneten derzeit lieber leben würden als in Deutschland. „Nur wer laut ist, hat nicht gleich Recht“, so Spahn.

Die SPD-Gesundheitspolitikerin Bärbel Bas wies Befürchtungen zurück, dass mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes Befugnisse für Bundes- und Landesregierungen ausgeweitet würden. „Genau das Gegenteil ist der Fall“, sagte sie. Sie argumentierte, dass mit dem Gesetz nun viele notwendige Maßnahmen für die Gesundheitsämter und die Krankenhaus­finanzierung auf dem Weg seien. „Wie groß wäre denn der Aufschrei in der Bevölkerung, wenn wir jetzt nicht handeln würden?“, fragte sie.

Keine Leitplanken, sondern Freifahrtschein

Redner von FDP, Grünen und Linkspartei kritisierten die Reform des Infektions­schutz­gesetzes. Die geplanten Neuregelungen gäben den Regierungen keine Leitplanken vor, sondern stellten ihnen „einen Freifahrtschein“ aus, sagte FDP-Fraktionschef Christian Lindner. Es sei eine demokratische Grundsatzfrage, dass niemals Regierungen über solche massiven Eingriffe in Grund- und Freiheitsrechte entscheiden dürften, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Linken, Jan Korte. Er kritisierte auch, dass es weiter keinen Plan für die kommenden Monate gebe. „Die Bundesregierung hat es im Sommer verpennt, ein Konzept vorzulegen“, so Korte.

Die Rednerinnen der Grünen forderten von der Bundesregierung, dass sie nun den lang geforderten Pandemierat einsetzen. Insgesamt stimmten die Grünen dem Gesetz aber zu – hatten sie doch im Vorfeld an vielen Verhandlungen teilgenommen und konnten beispielsweise die Befristung von vier Wochen der Maßnahmen sowie der ständigen Überprüfung durch den Bundestag der Maßnahmen durchsetzen. Die FDP hatte in der Debatte beklagt, dass die Regierungsparteien nicht auf die Opposition mit Verhandlungsangeboten zugekommen wären.

Mögliche Schutzmaßnahmen konkret aufgelistet

Ziel des Gesetzes ist es unter anderem, bislang per Verordnung erlassene Corona­maßnahmen gesetzlich zu untermauern und konkret festzuschreiben. Im Infek­tionsschutzgesetz war bisher nur allgemein von „notwendigen Schutzmaßnahmen“ die Rede, die die „zuständige Behörde“ treffen kann. Mit der Gesetzesnovelle wird ein neuer Paragraf eingefügt, der die möglichen Schutzmaßnahmen von Landesregierungen und Behörden konkret auflistet, etwa Abstandsgebote, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen oder Beschränkungen im Kultur- und Freizeitbereich - im wesentlichen Maßnahmen, die bereits beim Lockdown im Frühjahr ergriffen wurden und teilweise auch jetzt beim Teil-Lockdown im November gelten.

Festgeschrieben im Gesetz wird auch die sogenannte 7-Tage-Inzidenz von 35 und 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohnern pro Woche, ab denen Schutzmaßnahmen getroffen werden sollen. Vorgeschrieben wird zudem, dass Rechtsverordnungen mit Corona-Schutzmaßnahmen zeitlich auf vier Wochen befristet werden. Verlängerungen sind aber möglich. Außerdem müssen die Verordnungen mit einer allgemeinen Begründung versehen werden.

Das Infektionsschutzgesetz war im Zuge der Corona-Pandemie schon mehrfach reformiert worden. Gleich zu Beginn im Frühjahr wurde eingeführt, dass der Bundestag eine epidemische Lage von nationaler Tragweite feststellen kann. Der Bundestag tat dies damals umgehend und gab damit dem Bundesgesundheitsministerium Sonderbefugnisse, um Rechtsverordnungen zu erlassen, ohne dass der Bundesrat zustimmen muss. Normalerweise ist bei Verordnungen der Regierung ein Ja der Länderkammer notwendig.

In Sichtweite des Bundestages am Brandenburger Tor protestierten nach Polizeiangaben während der Bundestagsdebatte rund 5.000 bis 10.000 Gegner der staatlichen Corona-Politik, das Bundesinnenministerium (BMI) hatte Kundgebungen direkt am Bundestag und am Bundesrat im sogenannten befriedeten Bezirk nicht zugelassen. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein, dpa-Reporter berichteten zudem von Rangeleien und dem Einsatz von Tränengas. Nach Polizeiangaben gab es zuvor Verstöße gegen die Maskenpflicht. Ein Sprecher verwies auf eine Auflösungsaufforderung der Versammlung durch die Beamten, wegen Verstößen gegen das Infektionsschutzgesetz.

bee

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