Bundestag verschiebt Wahlen von Verfassungsrichtern

Berlin – Der Bundestag hat die für heute angesetzten Wahlen von drei Richtern für das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) vertagt. Das Plenum fasste einen entsprechenden Beschluss mit den Stimmen von Linken, Grünen, SPD und Union. Die AfD stimmte dagegen.
Grund waren Vorbehalte der Union gegen die SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf. Die Unionsfraktion hatte am Morgen von der SPD den Verzicht auf die Wahl der Juristin gefordert. Dabei wurde auf angebliche Plagiatsvorwürfe verwiesen.
Gegen Brosius-Gersdorf gab es schon in den vergangenen Tagen massive Vorbehalte in der Union. Dabei ging es insbesondere um ihre liberale Haltung zum Thema Schwangerschaftsabbrüche, aber auch um ihre Forderung nach einer Impfpflicht während der Coronapandemie.
Die SPD setzte daraufhin eine Sondersitzung der Fraktion an. Die Sitzung im Plenum musste dafür für anderthalb Stunden unterbrochen werden.
Nach Krisengesprächen zwischen den Regierungsfraktionen brachten Union und SPD einen gemeinsamen Antrag ein, um alle drei für heute geplanten Richterwahlen von der Tagesordnung zu nehmen. Dies forderten auch die Grünen.
Unions-Parlamentsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) kritisierte zwar eine intensive öffentliche Debatte zu Brosius-Gersdorf, „die zum Teil auch jegliches Maß verloren hat“. Wesentliche Voraussetzung sei aber, dass die Kandidaten für das Verfassungsgericht „über jeden fachlichen Zweifel erhaben sind“.
Dies sei aus Sicht der Union „nun nicht mehr vollständig gegeben“. Die Unionsfraktion sei bereit gewesen, die beiden anderen Richterkandidaten noch heute zu wählen, betonte Bilger. „Leider war es nicht mehr möglich, das heute zu vereinbaren.“
SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese sprach von „einer Hetzkampagne“ und einer „Hetzjagd“ gegen Brosius-Gersdorf. Diese sei „eine hoch angesehene Staatsrechtslehrerin, eine hoch angesehene Juristin, die fachlich über jeden Zweifel erhaben ist“.
Es „betrübe“ ihn deshalb, gemeinsam mit der Union den Antrag auf Verschiebung der Wahl zu stellen, sagte Wiese. Die SPD-Fraktion habe bei Entscheidungen in der letzten Zeit „gestanden“, betonte Wiese. Er erwarte zukünftig, „dass bei solchen schwierigen Entscheidungen auch andere stehen“.
Scharfe Kritik an CDU/CSU äußerte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. „Es ist eine unverantwortliche Situation, in die Sie, Jens Spahn, uns gebracht haben“, richtete sich Haßelmann an den Unionsfraktionschef.
„Mit dem heutigen Tag nimmt das Bundesverfassungsgericht erheblichen Schaden.“ Diesen hätten Spahn und Kanzler Friedrich Merz (CDU) zu verantworten. Haßelmann sprach von „angeblichen Plagiatswürfen“ gegen Brosius-Gersdorf. Diese erhebe der Plagiatsjäger Stefan Weber „gegen alle und jeden in der Republik“.
Auch die Linken sehen vor allem die Union und Spahn für den Eklat verantwortlich. „Die Absetzung aller Wahlen ist ein absolutes Armutszeugnis für Sie, Herr Spahn“, sagte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Die Union attackiere und diskreditiere Brosius-Gersdorf seit Tagen „auf schäbigste Art und Weise“. Reichinnek sprach von „haltlosen Vorwürfen“.
Für AfD-Parlamentsgeschäftsführer Bernd Baumann zeigt der Eklat „absolute Instabilität“ der Bundesregierung. Er nannte Brosius-Gersdorf „unmöglich“.
Wie es weitergeht, ist offen. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) warb dafür, die Wahlen in der nächsten regulären Sitzungswoche nachzuholen – also im September.
Aus der SPD wurde aber klargemacht, dass es für die Fraktion keinen Grund gebe, von der Kandidatin Brosius-Gersdorf abzurücken. Die Frage ist, ob sie angesichts massiver Anfeindungen in sozialen Medien selbst weiterhin bereit ist, sich in das Verfassungsgericht wählen zu lassen.
Unmittelbaren Zeitdruck bei der Nachbesetzung der frei werdenden Richterstellen gibt es nicht. Je nach zu besetzender Richterstelle gelten unterschiedliche Fristen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt können die Länder im Bundesrat anstelle des Bundestags die Nachfolger wählen – sie müssen es aber nicht, genauso gut kann weiter der Bundestag entscheiden.
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