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COVID-19-Impfstoffe: PEI weist Interpretationen zu chargenbezogenen Häufungen von Nebenwirkungen erneut zurück

  • Freitag, 20. Dezember 2024
/picture alliance, dpa, Ole Spata
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Berlin/Lingen – Das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) hat kürzlich zwei, zum Teil aktualisierte Listen mit Verdachts­meldungen von Nebenwirkungen (Line-Listing) unkommentiert veröffentlicht, die nach der Verabreichung eines der COVID-19-Impfstoffe aufgetreten sein sollen.

Daraufhin sind mehrere Berichte erschienen, in denen die Daten so interpretiert wurden, dass es doch besonders schädliche Chargen gegeben habe. Diese Behauptung kursiert schon länger und war vom PEI bereits im Jahr 2023 zurück­gewiesen worden. Die Behörde bleibt auch jetzt bei dieser Position.

„Allein aus der Anzahl von Verdachtsfallmeldungen, in denen eine valide Impfstoffcharge dokumentiert wird, lässt sich aus mehreren Gründen nicht auf eine chargenbezogene Häufung schließen“, teilte das PEI dem Deutschen Ärzteblatt zu den neuen Listen auf Anfrage mit. Aktuell würden Erläuterungen zu den Line-Listings und gegebenenfalls einige Beiträge für die FAQ-Rubrik erstellt.

Eine der vom PEI veröffentlichten Tabellen erfasst die gemeldeten Verdachtsfälle von Impfreaktionen und -kom­plikationen im Zeitraum vom 27. Dezember 2020 bis 31. Dezember 2023, die bis zum 1. November 2024 beim PEI eingegangen sind. Sie allein enthält fast eine Million Einträge, was aber nicht einer Million Betroffenen ent­spricht.

In der anderen Liste finden sich mehr als 26.000 Verdachtsmeldungen aus dem ersten Halbjahr 2024 (1. Januar 2024 bis 30. Juni 2024) bis zum Auswertungstermin 31. Juli 2024. Die Listen werden seit August 2023 online veröffentlicht, wie das PEI dem Deutschen Ärzteblatt mitteilte. Zunächst als PDF, seit November 2024 als Excel-Datei. Wie das Institut erklärt, soll dies der besseren Recherchierbarkeit dienen.

Die Daten enthalten zum Beispiel Angaben zu der vermuteten Nebenwirkung, dem verabreichten Impfstoff, dem Geschlecht und der Altersgruppen der geimpften Person. Neu hinzugekommen ist im Jahr 2024 dem PEI zufolge die Veröffentlichung der Chargennummer, falls die Nummer bekannt war. Entsprechend seien auch frühere Listen ergänzt worden.

Die Meldungen kommen aus verschiedenen Quellen, so das PEI. Zum einen über die Gesundheitsämter, die Arz­neimittelkommissionen der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) und der Deutschen Apotheker (AMK), von den Zulas­sungsinhabern über die EudraVigilance-Datenbank bei der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) sowie direkt von Ärztinnen und Ärzten. Darüber hinaus sind auch Meldungen von geimpften Personen oder deren Angehö­ri­gen eingegangen.

Die Einträge reichen von Beschwerden wie Fieber über tiefe Venenthrombose bis hin zu Tod. Berichtet wurde aber beispielsweise auch über Nebenwirkungen wie „Leiden“, „Deformierung der Hand“ oder „operativer Eingriff“.

Mitarbeitende des Fachgebiets Pharmakovigilanz am PEI tragen die Daten nach medizinischer Validierung ein, wie das PEI darlegt. Die Validierung erfolge durch medizinisch ausgebildete Fachkräfte. Es sei aber nicht möglich zu verifizieren, ob die angegebene Charge tatsächlich verimpft worden sei.

„Wohlwissend, dass die gemeldeten Chargenbezeichnungen zu Fehlinterpretationen führen können“, sagte das PEI, „hat sich das Paul-Ehrlich-Institut dennoch zugunsten einer größtmöglichen Transparenz entschlossen, zu­nächst die Tabellen um die Angabe der Chargenbezeichnung zu erweitern und im Fall von Nachfragen Missver­ständnisse aufzuklären.“

Seit mehreren Wochen gibt es Berichte, in denen aus den Daten abgeleitet wird, dass bestimmte Impfstoffchar­gen mit einer Häufung von Nebenwirkungen einhergegangen seien. Diese Behauptung wird in Deutschland un­ter anderem von einer Anwaltskanzlei verbreitet, die bisher nicht auf Medizinrecht spezialisiert ist und nach Medienberichten schon etliche Klagen gegen Impfstoffhersteller eingereicht hat.

Bereits im vergangenen Jahr hatten auch dänische Forschende auf eine chargenbezogene Häufung von Neben­wirkungsverdachtsfallmeldungen hingewiesen, das Deutsche Ärzteblatt hatte berichtet. Dem widersprach damals unter anderem das PEI.

Auch jetzt sieht das Institut keinen Zusammenhang: Dass sich allein aus der Anzahl von Verdachtsfallmeldungen, in denen eine valide Impfstoffcharge dokumentiert wird, nicht auf eine chargenbezogene Häufung schließen lasse, begründet es etwa damit, dass Chargen ganz unterschiedliche Mengen an Dosen umfassten. Somit sei es nicht ungewöhnlich, dass die Anzahl von Verdachtsfallmeldungen pro Charge unterschiedlich ausfalle.

Eine weitere Ursache sei, dass Impfstoffe einer freigegebenen Charge weltweit und nicht nur im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), also zum Beispiel Deutschland, verwendet würden.

Daher könne die Anzahl der Dosen einer Charge (Größe einer Charge) nicht benutzt werden, um mit national gemeldeten Verdachtsfällen zu dieser Charge eine Melderate zu berechnen. „Hierzu wäre die Anzahl der tat­sächlich verimpften Dosen aus dieser Charge in Deutschland notwendig.“ Diese Information liege dem PEI aber nicht vor.

Weiterhin fehlten in einer Verdachtsfallmeldung, so das PEI, häufig Angaben zur Chargennummer oder sie seien fehlerhaft beziehungsweise unvollständig. Zudem sei die Angabe der Chargennummer kein Pflichtfeld für die Registrierung in der Verdachtsfalldatenbank.

Dem PEI zufolge sind die in den Listen aufgeführten Daten für statistische Auswertungen nicht geeignet. Es stelle die Line-Listings auf Grund des großen öffentlichen Interesses zur Verfügung, verweise hinsichtlich einer Bewertung der Sicherheit und Verträglichkeit der Impfstoffe aber weiterhin auf die „Sicherheits­berichte zu Ver­dachtsfällen auf Impfnebenwirkungen und Impfkomplikationen mit den zugelassenen COVID-19-Impfstoffen“.

Die nun veröffentlichten Listen enthielten die Daten, die beim PEI im Rahmen des Spontanmeldesystems einge­gangen sind, erklärt das Institut. „Die Erfassung / Registrierung und Bewertung von an das Paul-Ehrlich-Institut gemeldeten Verdachtsfällen von Impfstoffnebenwirkungen und Impfkomplikationen dient dazu, mögliche Risi­kosignale frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls Maßnahmen zur Risikominimierung zu ergreifen, zu ko­ordinieren oder zu veranlassen.“

Risikosignale in der Arzneimittelsicherheit zu erkennen, helfe dabei, einen möglichen, bisher unbekannten Zusammenhang zwischen einem Arzneimittel und einer Nebenwirkung, möglichst frühzeitig zu entdecken. Im Rahmen einer weiteren Analyse würde dann auch ein eventuell bestehender Zusammenhang mit bestimmten Chargen geprüft.

Ein auf diese Weise ermitteltes Risikosignal liefere keine validen Häufigkeitsangaben. „Es sind vielmehr weitere Untersuchungen und Studien erforderlich“, erklärt das PEI.

Im Hinblick auf die Risikosignale, die bei den COVID-19-Impstoffen ermittelt wurden, hätten sich keine chargen­bezogene Häufung feststellen lassen. Das gelte zum Beispiel für das Thrombose-mit-Thrombozytopenie-Syndrom (TTS) nach Gabe von Vektorimpfstoffen oder Myo-/Perikarditiden nach Gabe von mRNA-Vakzinen.

Nach eigenen Angaben hat das PEI die abschließende und zusammenfassende Beurteilung nach Ende der Impf­kampagne im Bulletin für Arzneimittelsicherheit unter dem Titel „Sicherheitsprofil der COVID-19-Impfstoffe – Sachstand 31.03.2023“ veröffentlicht.

Darüber hinaus plane das PEI weiterhin, die von ihm mittels einer App erfassten Daten auszuwerten und einen Beitrag dazu in einem Peer-Reviewed-Journal zu veröffentlichen. Die Analyse des sehr umfangreichen Datenma­terials sei aber noch nicht abgeschlossen.

An der Beobachtungsstudie mit der Smartphone-App SafeVac 2.0 hätten mehr als 700.000 Personen teilge­nommen, die nach jeder Impfung zu mehreren Zeitpunkten bezüglich ihres Gesundheitszustands sowie mögli­cher Nebenwirkungen befragt wurden. Die Datenerhebung sei Ende 2023 abgeschlossen worden.

aks/ggr

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