Politik

Debatte über harten Lockdown in den kommenden Wochen

  • Mittwoch, 9. Dezember 2020
/picture alliance, Kay Nietfeld
/picture alliance, Kay Nietfeld

Berlin – Deutschland debattiert weiter über einen möglichen harten Lockdown. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) unterstützte heute vehement den gestrigen Vorschlag der Leopoldina für einen harten Lockdown über die Festtage.

„Die Zahl der Kontakte ist zu hoch, die Reduktion der Kontakte ist nicht ausreichend“, mahnte Merkel eindringlich bei der Haushaltsdebatte im Bundestag. „Wenn wir jetzt zu viele Kontakte vor Weihnachten haben und anschließend es das letzte Weihnachten mit den Großeltern war, dann werden wir etwas versäumt haben, das sollten wir nicht tun“, fügte die Kanzlerin hinzu.

Merkel lehnte entsprechend auch eine Öffnung von Hotels rund um die Feiertage ab und rief zu einer Kontaktreduzierung am Weihnachtsfest auf. Es gebe wissenschaftliche Erkenntnisse, die seien real und an die sollte man sich besser halten, so Merkel. Die große Mehrheit der Deutschen nehme die Einschrän­kungen im Sinne der Gemeinschaft hin. Dennoch reichten die Maßnahmen nicht.

Zugleich betonte Merkel, dass sie um die Härte der Maßnahmen für viele wisse, gerade in der Vorweih­nachtszeit. Es tue ihr wirklich von Herzen leid. Daher müssten die Sorgen und Bedürfnisse der Menschen ernstgenommen werden. „Wir sehen Licht am Ende des Tunnels“, so Merkel weiter mit Blick auf die Impfungen, es brauche aber noch einen gemeinsamen Kraftakt.

Wissenschaftler für Lockdown

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hatte sich gestern über die Weihnachtsfeiertage und zum Jahreswechsel für einen harten Lockdown in Deutschland augesprochen. Konkret fordern die Wissenschaftler, bereits ab 14. Dezember die Kontakte im beruflichen wie im privaten Bereich auf das absolute Mindestmaß zu verringern.

Die Schulpflicht sollte bis zum Beginn der Weihnachtsferien in allen Bundesländern aufgehoben werden. Gruppenaktivitäten in Sport und Kultur müssten eingestellt werden und, wo immer möglich, sollten digitale Möglichkeiten genutzt werden.

In einer zweiten Stufe sollte vom 24. Dezember bis mindestens zum 10. Januar das öffentliche Leben weitgehend ruhen und ein harter Lockdown gelten. Dabei sollten alle Geschäfte bis auf die des täglichen Bedarfs geschlossen und die Weihnachtsferien in den Bildungseinrichtungen verlängert werden. Ur­laubs­reisen sollten unterbleiben und Zusammenkünfte nur im engsten stabilen Personenkreis statt­finden.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rief heute zum Verzicht auf innerdeutsche Reisen zu Weih­nachten auf. „Den Ort der Familienfeier in das Bundesland mit den großzügigsten Regeln zu le­gen, fände ich nicht richtig. Denn auch innerhalb der Familien kann COVID-19 ganz schnell gefähr­lich werden“, sagte Spahn der Neuen Osnabrücker Zeitung. Er werde Weihnachten zum ersten Mal, seitdem er denken könne, nicht mit Eltern und Geschwistern gleichzeitig zusammenkommen. Das sei „sehr schade“. Aber es helfe, das Virus in Schach zu halten.

Berlins Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci hält schärfere Maßnahmen für dringend erforderlich. „Ich den­ke, hier muss man auf die Wissenschaft hören. Und da sind die Appelle sehr eindeutig. Und die Zah­len in Berlin zeigen auch, dass der Lockdown light leider mehr light war als Lockdown“, sagte die SPD-Politikerin im Interview mit Radio eins des RBB.

Am Ende gehe es wirklich darum, dass die Menschen ihre Kontakte beschränkten. „Das ist mit dem Lock­down light nicht gelungen“, sagte Kalayci. „Wir müssen das Motto „stay at home“ wieder rausholen aus der Kiste. Und das muss wieder zum Grundprinzip werden - gerade über Weihnachten und Silvester.“

Kalayci sprach sich dafür aus, so schnell wie möglich über Verschärfungen der Maßnahmen zu entschei­den. „Ich denke mal, dass wir nächsten Dienstag auch im Senat darüber beraten und auch Beschlüsse fassen werden.“ Auch Kultursenator Klaus Lederer (Linke) sagte, er rechne mit einem Beschluss bei der Sitzung am kommenden Dienstag.

Nach Kalaycis Einschätzung ist der Ausblick Richtung Weihnachten und Neujahr entscheidend. Es gebe dabei sowohl Chancen als auch Risiken. „Chancen deshalb, weil zwischen Weihnachten und Neujahr ja auch eine gewisse Entschleunigung möglich ist“, sagte Kalayci. Risiken gebe es etwa, weil Weihnachten Familien zusammenkämen. Berlin sei auch berühmt für seine Silvesterpartys. In diesem Jahr müssten vor allem die Partys auf der Straße vermieden werden.

Zur Eindämmung der Coronapandemie in Deutschland hat sich der Virologe Christian Drosten für eine rasche Verschärfung der staatlichen Auflagen ausgesprochen. „Es ist schon so, dass wir jetzt unbedingt etwas tun müssen“, sagte der Charité-Wissenschaftler im jüngsten „Coronavirus-Update“ bei NDR-Info. Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass die Weihnachtszeit zu einem Anstieg der Fallzahlen führe. Werde jetzt nicht nachreguliert, drohe „Ende Januar und über den gesamten Februar hinaus“ ein Lockdown mit massiven Folgen für die Wirtschaft.

Familien, die weit voneinander entfernt lebten, sollten sich Drosten zufolge in diesem Jahr vielleicht nicht unbedingt über die Feiertage besuchen. Er bekräftigte außerdem, dass Schnelltests nur eine Mo­mentaufnahme seien: „Wenn man solche Antigentests benutzen will für Familienbesuche, dann muss man im Prinzip sich jeden Morgen testen damit.“ Seit einiger Zeit rät Drosten dazu, sich vor Besuchen, etwa bei den Großeltern, vorsorglich in Quarantäne zu begeben.

An Schulen sollte dem Virologen zufolge nach dem Jahreswechsel nicht alles so weiterlaufen wie zuvor. Dort müsse organisatorisch etwas passieren. Bei den an der Stellungnahme beteiligten Wissenschaftlern sei der Eindruck einer ernsten Schulsituation entstanden, sagte Drosten. Es gebe dort ein „erhebliches Infektionsgeschehen“.

Daten aus England zeigten, dass insbesondere in den Jahrgängen oberhalb der Grundschule mehr Infek­tionen aufträten als in der normalen Bevölkerung. „Wenn man es irgendwo weiterlaufen lassen will, dann ist es im Grundschul- und Kindergartenalter“, sagte Drosten. Er wolle aber „alles andere als ein Prediger für Schulschließungen“ sein.

Kinderärzte sehen Kindeswohl nicht genug berücksichtigt

Kinderärzte haben sich hingegen gegen eine Verlängerung der Weihnachtsferien ausgesprochen. Ge­schlossene Schulen, Kindergärten und Kitas sollten „nur als allerletzte Maßnahme im Rahmen eines allgemeinen Lockdowns“ erwogen werden, teilten die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugend­medizin und die Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie mit.

Man sei „dezidiert gegen eine Verlängerung der Weihnachtsferien auf (un)bestimmte Zeit in den Januar hinein“, heißt es in der Stellungnahme, die vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte unterstützt wird. Bisherige Daten aus Deutschland gäben keinen Anlass, generelle Schulschließungen als „taugli­ches und angemessenes Mittel“ zur Pandemiebekämpfung anzusehen. Die belastenden Folgen selbst kurzfristiger Schulschließungen auf das Wohlbefinden und die Zukunftsperspektiven von Kindern wür­den in der Debatte zu wenig berücksichtigt.

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) hat sich angesichts weiterhin hoher Coro­na­infektionszahlen für einschneidende Kontaktbeschränkungen in der Zeit nach Weihnachten ausge­sprochen. „Wir brauchen nach Weihnachten einen echten Jahreswechsellockdown, um uns für 2021 wie­der eine Perspektive hin zu mehr Normalität zu erarbeiten“, sagte Laschet. Die Zahl der Neuinfektionen sei zu hoch und müsse gesenkt werden.

„Deshalb: Wenn nicht jetzt, wann dann. Von Weihnachten bis zum Ende der Ferien im neuen Jahr kann das Land am ehesten komplett heruntergefahren und so die Ausbreitung der Pandemie effektiv gestoppt werden“, warb Laschet für seinen Vorschlag. „Zugleich halten wir in diesen Wochen die Schäden für Bil­dungschancen von Kindern sowie für Wirtschaft und Arbeitsplätze so gering wie in keiner anderen Zeit des Jahres.“

Die Akzeptanz bei den Menschen sei für den Erfolg der Anstrengungen entscheidend, sagte Laschet, der sich auch für den CDU-Vorsitz bewirbt. Dafür müssten die politischen Weichenstellungen von Sorgfalt, Verhältnismäßigkeit und Verlässlichkeit geprägt sein. „Wir sind gut beraten, bereits jetzt damit zu be­ginnen, den Jahreswechsellockdown umfassend vorzubereiten – damit er mitgetragen wird, tatsäch­lich Wirkung entfaltet und den Weg in ein besseres neues Jahr weisen kann.“

Auch andere Ministerpräsidenten hatten sich für härtere Maßnahmen über die Feiertage ausgesprochen. Aktuell dürfen sich fast überall in Deutschland nur zwei Haushalte mit bis zu fünf Personen treffen. Zwi­schen dem 23. Dezember und dem 1. Januar soll dies vorübergehend gelockert werden. Ob und wie stark, entscheidet jedes Bundesland selbst. Je nach Land können dann bis zu zehn Personen zusammen­kommen, Kinder unter 14 Jahren nicht mitgerechnet.

Wann die Ministerpräsidenten erneut mit Kanzlerin Merkel zu Beratungen über mögliche Verschärfungen zusammenkommen, ist unklar. Zunächst war der morgige Donnerstag im Gespräch. Die Kanzlerin ist mor­gen und übermorgen aber beim EU-Gip­fel in Brüssel gebunden. Möglich wäre nach wie vor aller­dings auch ein Treffen am kommenden Wochenende oder im Laufe der kommenden Woche.

Die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, warf der Bundeskanzlerin heute vor, dass sie mit ihren Maßnahmen die Gesellschaft spalte. Weidel prognostizierte Massenarbeitslosigkeit, eine bislang nicht gekannte Pleitewelle und einen enorm hohen Schuldenberg.

FDP-Chef Christian Lindner verwarf einen harten Lockdown als falsch. Es gebe keine Garantie, ob auf kurze Härte ein Erfolg folge. Zudem habe Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) versprochen, dass es keine weitere Schließung des Einzelhandels gebe.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung