Politik

Debatte über Impfpriorisierung geht weiter

  • Montag, 14. Dezember 2020
/picture alliance, Boris Roessler
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Berlin – Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) geht davon aus, dass der in Europa bald verfügbare Coro­naimpf­stoff sicher sein wird. „Die Frage, ob der Impfstoff sicher ist, wird von zuständigen Behörden ge­prüft“, sagte sie gestern nach Beratungen mit den Ländern in Berlin. Für die EU sei dies die Europäi­sche Arzneimittel-Agentur (EMA). „Ich vertraue der Sachkunde der europäischen Arzneimittelbehörden.“

Zudem würden nationale Behör­den wie das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) in Deutschland ihren Sachverstand miteinbringen. Bei der Impfstoffzu­lassung sei es wichtig, Sorgfalt walten zu lassen. „Wir werden keinen politischen Druck machen“, sagte Merkel. Die EMA will bis zum 29. Dezember über die Zulassung des Co­ronaimpfstoffs des Mainzer Unter­­nehmens Biontech und seines US-Partners Pfizer entscheiden. „Dann wird der Impfstoff sofort ausge­liefert, dann wird es im Januar losgehen", sagte Merkel.

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) setzt auf eine schnellstmögliche Zulassung der Corona­impf­stoffe durch die EMA. Dabei gehe es auch um das Vertrauen der Bürger in die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union, sagte Spahn. Bund und Länder seien vom 15. Dezember an in der Fläche ein­satzbereit zum Impfen. Zudem stünden erste Impfdosen zur Auslieferung bereit und könnten direkt nach der Zulassung verimpft werden, sagte Spahn nach diesen Angaben.

Er wurde mit den Worten zitiert: „Jeder Tag, den wir früher beginnen können, mindert Leid.“ Die EU habe die Impfstoffentwicklung erfolgreich vorangetrieben und gemeinsam Impfdosen gesichert. Nun lägen alle nötigen Daten vor, Großbritannien und die USA hätten bereits Zulassungen erteilt. Auch in Deutsch­land wäre man „in einem nationalen Verfahren ohne Zweifel sehr schnell“, sagte Spahn demnach.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) sagte, er hoffe, „dass wir ein neues Stück Nor­ma­lität uns erarbeiten können mit diesem Impfschutz“. „Aber es wird dauern, bis viele geschützt sind durch diesen Impfschutz“, fügte er hinzu. „Die logistische Infrastruktur steht“, sagte Bayerns Ministerprä­si­­dent Markus Söder (CSU) mit Blick auf die Impfungen. Er äußerte allerdings die Sorge, „dass sich am En­de nicht genügend impfen lassen“. Sobald der Impfstoff in hinreichender Menge verfügbar sei, müss­ten „alle auch beim Impfen mitmachen“, forderte er die Bürger auf.

In den USA wurde bereits eine Notfallzulassung für den Impfstoff von Biontech und Pfizer erteilt. Die USA sind das sechste Land, in dem dieser Impfstoff grünes Licht erhielt.

Gesetz statt Verordnung

Die FDP wirft der Bundesregierung große Versäumnisse bei der Vorbereitung der geplanten Impfung gegen COVID-19 vor. „Seit Monaten hören wir aus dem Kanzleramt und von den Minister­präsi­denten, dass im Winter eine zweite Welle zu erwarten sei und dass es dann alsbald mit dem Impfen los­gehen werde, trotzdem wurden für beides praktisch kaum Vorbereitungen getroffen“, kritisierte der stellvertre­tende Vorsitzende der FDP-Fraktion, Stephan Thomae, der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (FAS).

„Man hätte längst ohnehin leerstehende Veranstaltungsorte als Impfzenten herrichten, zusätzliches Per­sonal für die Verabreichung des Impfstoffes schulen und Impfverzeichnisse anlegen können, damit man weiß, wer überhaupt geimpft werden möchte“, sagte der Innenpolitiker. All dies sei aber entweder gar nicht geschehen oder – im Falle der Impfzentren – viel zu spät in Angriff genommen worden.

Die FDP bemängelt außerdem, dass die Bundesregierung die Entscheidung darüber, in welcher Reihen­folge bestimmte Bevölkerungsgruppen geimpft werden sollen, mit einer einfachen Verordnung regeln will. Ihr eigener Entwurf für ein Impfgesetz wird im Bundestag voraussichtlich am kommenden Donners­tag debattiert. „Rechtsverordnungen sind in Ordnung, wenn es um technische Abläufe geht, aber hier geht es um Leben und Tod, deshalb braucht es dafür ein Gesetz, über das dann der Bundestag berät“, sagte Thomae. Es sei nicht ausreichend, über solche Fragen nur in TV-Talkshows zu sprechen.

Auch die Grünen-Abgeordnete Kordula Schulz-Asche forderte in der FAS eine klare gesetzliche Grundla­ge für die Priorisierung der Impfung. Sie warnte, dass Ärzte sonst unter einer unsicheren Rechtslage zu leiden hätten. Die Vorsitzende der Linksfraktion, Amira Mohamed Ali, verwies ebenfalls auf die „hohe grundrechtliche Bedeutung“ der Impfungen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) plant, die Entscheidung auf dem Wege einer Verordnung zu treffen.

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, warnte, dass zunächst nur 1,5 Millionen Menschen geimpft werden könnten. Die Auswahl müsse „das Parlament diskutieren und legitimieren“, sagte Schneider der FAS. Auch die Leopoldina, der Ethikrat und die STIKO hatten im November in einem Positionspapier ein Gesetz gefordert.

Am Wochenende hatte sich auch der CDU-Innenpolitiker Thorsten Frei für ein Votum des Bundestags zur konkreten Reihenfolge möglicher Impfungen gegen das Coronavirus ausgesprochen. Er führte aus: „Ent­scheidungen, die grundlegende Fragen des Gesundheits- und Lebensschutzes der gesamten Bevöl­ke­rung betreffen, sollte nur der Deutsche Bundestag treffen.“

In einer Anfang Dezember veröffentlichten Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Bundes­ta­ges, die Thomae angefordert hatte, heißt es: „Der überwiegend vertretenen Auffassung, wonach die Pri­o­risierung bestimmter Bevölkerungsgruppen beim Zugang zu Impfstoffen eines förmlichen Gesetzes be­darf, das zumindest die wesentlichen Kriterien für die Verteilung eines knappen Impfstoffes regelt, ist zuzustimmen.“

Grund für eine Prioritätensetzung für Impfungen ist, dass zu Beginn noch nicht genug Impfstoff für alle Interessierten verfügbar sein dürfte. Einen sehr groben Rahmen für einen Vorrang besonders gefährdeter Gruppen hat der Bundestag in einem kürzlich beschlossenen Gesetz abgesteckt. Die Ständige Impfkom­mission (STIKO) will eine genauere Empfehlung geben – laut einem Entwurf sollen Ältere über 80, Pfle­geheimbewohner und bestimmtes Personal mit hohem Infektionsrisiko zuerst zum Zug kommen.

Endgültig festlegen soll die Prioritäten eine Verordnung des Bundesgesundheitsministeriums. Viele lo­gis­tische und praktische Fragen sind allerdings – etwa dreieinhalb Wochen vor den voraussichtlich ers­ten Impfungen in Deutschland - noch nicht abschließend geklärt. In der vergangenen Woche hatten die Innenminister gefordert, Polizisten sollten früher als in den Empfehlungen vorgesehen geimpft werden, da sie einen engen Kontakt mit Bürgern oft nicht vermeiden könnten. Ähnliche Forderungen gab es für medizinisches Personal – auch außerhalb von Kranken­häusern.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) rechnet noch mit Änderungen an der Liste der Gruppen, die zuerst gegen das Coronavirus geimpft werden sollen. Die Empfehlung der Experten werde sicher noch verfeinert, sagte Schäuble der Welt am Sonntag. Die politische Debatte darüber beginne gerade erst. Er persönlich würde Menschen, die mit Infizierten arbeiten müssen oder mit Alten und Kranken zu tun haben, an der ersten Stelle priorisieren, sagte Schäuble. „Sie haben ein extrem hohes Risiko, sich mit Corona zu infizieren. Und wenn zu viele Ärzte und Pflegekräfte ausfallen, stehen wir vor einem riesigen Problem“, erklärte er.

Thomae sagte, so wie die Impfung jetzt vorbereitet werde, habe er Zweifel, ob wirklich im Herbst 2021, wie von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) kürzlich angekündigt, auch der Hälfte der Bevöl­ke­rung, die keiner der prioritären Gruppen angehört, ein Impfangebot gemacht werden könne. Er sagte, er könne noch keine langfristige Strategie erkennen. „Der Impfschutz hält, wie bei einer Grippe­impfung ja nicht ewig, da kann es sein, dass mitten in der Phase, in der eigentlich die Jüngeren ohne Vorerkran­kun­gen und systemrelevante Jobs geimpft werden sollen, wieder die Gruppe der Über-80-Jäh­rigen an der Reihe ist.“

Die FDP hält es auch nicht für notwendig, zu warten, bis jedes nationale Institut die europäische Zulas­sung des Impfstoffes von Biontech und Pfizer nachvollzogen habe. Aus seiner Sicht spreche nichts da­gegen, in Deutschland ein paar Tage früher mit den Impfungen zu beginnen, sollte das für die anschlie­ßende nationale Zulassung zuständige Paul-Ehrlich-Institut seine Arbeit dazu abgeschlos­sen ha­ben. Schließlich sei die Verteilung der Impfdosen unter den EU-Staaten bereits geregelt und funktioniere nicht wie ein Windhundrennen, „wir würden also niemandem etwas wegnehmen“.

dpa/afp

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