Politik

Drogentodeszahlen konstant hoch, besorgniserregender Anstieg bei unter 30-Jährigen

  • Montag, 7. Juli 2025
Hendrik Streeck (2. von links), Bundesbeauftragter für Sucht- und Drogenfragen, steht bei einem Rundgang im Vivantes Klinikum in einem Schockraum und hört Mark Hackbarth, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme zu, nachdem er die Drogentodeszahlen vorgestellt hat. /picture alliance, Katharina Kausche
Hendrik Streeck (2. von links), Bundesbeauftragter für Sucht- und Drogenfragen, steht bei einem Rundgang im Vivantes Klinikum in einem Schockraum und hört Mark Hackbarth, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme zu, nachdem er die Drogentodeszahlen vorgestellt hat. /picture alliance, Katharina Kausche

Berlin – Eine „pandemische Dynamik“ auf dem Drogenmarkt mit einzelnen Ausbrüchen, neuen Substanzen, schneller Verbreitung und lückenhafter Datenlage macht der Beauftragte der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, Hendrik Streek (CDU), aus.

„Wir müssen deshalb schneller, systematischer und konsequenter reagieren auf neue immer gefährlichere Drogen“, sagte er heute bei der Vorstellung der neuen Drogentodeszahlen im Berliner Vivantes Klinikum „Am Urban“. „Wir brauchen ein Frühwarnsystem, um vor die Welle zu kommen“, mahnte der Virologe.

Das Niveau der Drogentoten in Deutschland bleibt dem Bericht des Beauftragten zufolge hoch: 2024 sind 2.137 Menschen an den Folgen ihres Konsums illegaler Drogen verstorben. Das sind sechs Menschen am Tag.

Die große Mehrheit der Opfer war männlich, 390 Frauen starben an einer Überdosis. Das Durchschnittsalter lag demnach bei knapp 41 Jahren. Dem Drogenbeauftragten zufolge gibt es einen „besorgniserregenden Anstieg der Todesfälle bei jungen Konsumierenden unter 30 Jahren von 14 Prozent“.

Es habe einen „sprunghaften Zuwachs“ an Drogentodesfällen in Verbindung mit synthetischen Opioiden und Neuen Psychoaktiven Substanzen (NPS) gegeben sowie eine wachsende Zahl an Mischkonsumenten.

„Noch nie wurden bei den Verstorbenen so viele unterschiedliche Substanzen toxikologisch nachgewiesen“, betonte Streeck. Noch nie seien synthetische Opioide wie etwa Fentanyl bei so vielen Todesfällen gefunden worden (342 Fälle, rund 16 Prozent). Die Zahl der Todesfälle an denen NPS beteiligt waren, stieg dem Bericht zufolge um mehr als 70 Prozent.

Toxikologische Gutachten sind dem Drogenbeauftragten zufolge allerdings nur in der Hälfte der Todesfälle durchgeführt worden. „Das Wissen auf dem unsere politischen und medizinischen Entscheidungen basieren, ist lückenhaft. Wir brauchen valide Daten“, forderte er. „Als Arzt macht mir das Sorgen.“

Auf die Frage warum die Drogentodeszahlen, die in den 2010er-Jahren bereits auf einem niedrigeren Niveau waren (1.237 in 2010), so angestiegen sind, sagte Streeck: „Jugendliche und junge Erwachsen sind viel risikofreudiger geworden; Drogen können einfach im Darknet bestellt werden und es kommen enorme Mengen an Kokain nach Europa.“

Zum frühen Tod trage auch der der zunehmende Konsum von Crack bei, das aus Kokain hergestellt wird. „Crack-Konsumierende verelenden im öffentlichen Raum“, sagte Dirk Schäffer, Referent für Drogenpolitik und Strafbarkeit bei der Deutschen Aidshilfe (DAH). Rund 60 Prozent der obdachlosen Menschen seien einer Studie aus Nordrhein-Westfalen zufolge drogenabhängig.

Der langjährig in der Drogenpolitik tätige Experte weiß, was schadensminimierend helfen würde, die Zahl an Drogentoten zu reduzieren: „Wir brauchen flächendeckend in jedem Bundesland Drogenkonsumräume. Dort verstirbt niemand während des Konsums und man kann in die Suchtberatung und zu weiterführenden Angeboten vermitteln.“

Ein flächendeckendes „Drug Checking“ könne zudem helfen, illegale Substanzen mittels toxikologischer Testung auf gefährliche Potenz und Beimischungen zu testen. Es handelt sich dabei um ein Beratungs- und Testangebot an die Drogennutzer. „Drug Checking“ ist zwar bundesgesetzlich erlaubt, wird bisher aber bisher nur in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern angeboten. Schäffer berichtet, dass die Länder Hamburg und Nordrhein-Westfalen in der letzten Woche Rechtsverordnungen angekündigt haben, Drug Checking möglich zu machen.

Auch Naloxon-Nasenspray gehört dem Aids-Hilfe-Experten als Opioid-Antagonist zu den schadensminimierenden Maßnahmen bei Überdosierungen. Durch eine anstehende Änderung der Arzneimittelverschreibungsverordnung werde es bald auch für medizinische Laien, die mit Drogenabhängigen Kontakt haben, wie Streetworker, Mitarbeitende der Suchthilfe, Polizei oder Feuerwehr möglich sein, das Medikament im Notfall anwenden zu können.

Darüber hinaus wünscht sich Schäffer eine bessere Kommunikation und Koordination von Maßnahmen zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Dem pflichtete der Drogenbeauftragte bei. „Es gibt zwar eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe, doch die Länder greifen nicht immer alle Themen auf“, berichtete Streeck. „Wir brauchen eine einheitliche nationale Drogenstrategie“, sagte er.

Allein in der Frage der Drogenkonsumräumen zur Schadensminimierung seien die Länder gespalten. Streeck findet diese Räume zur Prävention sinnvoll und betrachtet sie „nicht ideologisch“. Auch mehr niedrigschwellige Angebote insbesondere für Crack-Konsumierende hält er für sinnvoll.

Die Einrichtung von Drogenkonsumräumen ist in Deutschland durch das Betäubungsmittelgesetz geregelt, und die Bundesländer können selbst entscheiden, ob sie solche Einrichtungen zulassen. Es gibt sie derzeit nur in Baden-Württemberg, Berlin, Bremen, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und dem Saarland. 

PB

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