Ehemaliger Präsident des Bundessozialgerichts plädiert für Klagerecht der Kassen bei GKV-Finanzen

Berlin – Die Krankenkassen müssen die Befugnis erhalten, vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Verfassungsmäßigkeit gesetzgeberischer Maßnahmen prüfen zu lassen, wenn die Möglichkeit einer Zweckentfremdung von Beitragsmitteln im Raum steht. Das forderte heute Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts a.D., im Rahmen einer Pressekonferenz des IKK e.V..
Er verwies beispielhaft auf Universitäten und Rundfunkanstalten, bei denen es anerkannt ist, dass sie vor dem Bundesverfassungsgericht klagen können. Nichts anderes solle für Krankenkassen gelten, wenn es um die Belange ihrer Versicherten gehe, so Schlegel.
Derzeit mögliche Klagen einzelner GKV-Versicherter stellten für diese einen „langen und steinigen Weg“ dar. Als Treuhänder für die Beitragsgelder bräuchten die Kassen deshalb eigene prozessuale Rechte.
Vertreter der Innungskrankenkassen hatten zuvor darauf hingewiesen, dass die Politik zunehmend Kosten für gesamtgesellschaftliche Aufgaben auf die Beitragszahler der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verlagert. Hierdurch, sowie durch Leistungsausgaben steigernde Gesetze der letzten und dieser Legislaturperiode, gerate die GKV finanziell immer weiter unter Druck.
„Der Handlungsdruck, um auch künftig unser stabiles, leistungsfähiges und hochwertiges Gesundheitssystem zu erhalten, ist enorm hoch“, erklärte Hans-Jürgen Müller, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V., der gemeinsamen Vertretung der Innungskrankenkassen.
Man verstehe nicht, dass die im Koalitionsvertrag angekündigten Maßnahmen – wie die Dynamisierung des Bundeszuschusses für versicherungsfremde Leistungen oder die Erhöhung des Beitrags für Bürgergeld-Beziehende – in dieser Legislatur absehbar nicht mehr umgesetzt würden.
Das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz habe die finanziellen Probleme vor allem auf die Beitragszahlenden verschoben statt gelöst und das Bundesgesundheitsministerium (BMG) habe die vom Gesetzgeber eingeforderten Maßnahmen für eine nachhaltige Finanzierung vertagt. Insgesamt sei die gesundheitspolitische Bilanz von drei Jahren Ampelregierung aus Sicht der Kassen „verheerend“.
„Verloren gegangene Steuerungsinstrumente wie Krankenhausabrechnungsprüfungen oder Budgetierungen binden unsere Hände und leeren die Haushalte der Kassen weiter“, so Müller. Dabei lägen konstruktive Vorschläge zur Stabilisierung der Finanzlage vor, auch von den Innungskrankenkassen.
Diese umfassen etwa die Abkehr vom alleinigen Lohnkostenmodell durch Beteiligung der Digital- und Plattformökonomie oder die Umwandlung von sogenannten Genusssteuern in eine Abgabe.
Laut einer aktuellen forsa-Umfrage, die der IKK in Auftrag gegeben hat, fordern auch drei Viertel der Befragten (74 Prozent), dass den Kassen als Treuhänder der Beitragsgelder gegen eine Zweckentfremdung dieser Gelder für gesamtgesellschaftliche Ausgaben ein Klagerecht eingeräumt werden sollte.
Die repräsentative bundesweite Befragung unter GKV-Versicherten zeigt zudem eine sinkende Zufriedenheit mit der Gesundheitspolitik. Mit der Gesundheitspolitik der Bundesregierung sind aktuell nur 39 Prozent der GKV-Versicherten zufrieden (vergangenes Jahr: 41 Prozent).
Danach gefragt, welches aus ihrer Sicht aktuell die größten Probleme im deutschen Gesundheitssystem sind, um die sich die Politik kümmern sollte, nannte die große Mehrheit lange Wartezeiten auf Termine bei Ärzten (85 Prozent) sowie den Mangel an Fachkräften im Gesundheitssystem (79 Prozent). Mehr als die Hälfte der Befragten (52 Prozent) sieht in zu langen Wartezeiten in den Notaufnahmen ein großes Problem.
Knapp die Hälfte der Befragten (46 Prozent) bezeichnete steigende beziehungsweise schon jetzt zu hohe Beitragssätze zur GKV als ein Problem, um das sich die Politik prioritär kümmern sollte.
Für ein Drittel der Befragten stellt die Verfügbarkeit von verschreibungspflichtigen Medikamenten in der Apotheke (38 Prozent) und für ein Viertel die Verschiebung von geplanten Operationen im Krankenhaus (24 Prozent) ein großes Problem des Gesundheitssystems dar.
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