Erste Informationen zum Umgang mit Anfragen nach Suizidassistenz vorgestellt

Berlin/Halle – Viele Ärzte, die von ihren Patienten um Hilfe beim Sterben gebeten werden, können sich offensichtlich vorstellen, dieser Bitte nachzukommen. Gleichzeitig wünschen sie sich wissenschaftlich gestützte Verfahren, wie sie mit den Anfragen nach Suizidassistenz umgehen können.
Dies ist das Fazit der heute vorgestellten ersten Ergebnisse des Bericht- und Lernsystems „Anfragen und Praxis bezüglich Assistenz bei der Selbsttötung“ des im Oktober 2024 initiierten und von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten interdisziplinären „Forschungsnetzwerk zur Suizidassistenz“.
Betroffene Ärzte können in dem Register seit Ende des vergangenen Jahres anonym ihre Erfahrungen mit Anfragen nach Suizidassistenz dokumentieren und über erfolgte oder geplante Suizidassistenz berichten, erläuterte heute Jan Schildmann, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universitätsmedizin Halle und federführender Koordinator des Forschungsnetzwerks. Die Fälle seien jedoch selbst berichtet und könnten daher nicht überprüft werden, betonte der Arzt und Medizinethiker. Zudem könne man nicht von einer Repräsentativität ausgehen, stellte er klar.
Bei der jetzt erfolgten ersten Auswertung der Daten, in die – entsprechend der Methodik – 133 Fallberichte eingeschlossen werden konnten, habe sich jedoch gezeigt, dass sich die Mehrzahl der Berichtenden unter bestimmten Bedingungen vorstellen kann, Suizidassistenz zu leisten, erklärte Thomas Pollmächer, Direktor des Zentrums und Chefarzt der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie Ingolstadt. Die meisten Berichtenden seien Ärzte gewesen.
Die sie anfragenden Patienten seien meist älter als 70 Jahre gewesen und hätten unter heterogenen Erkrankungen gelitten, jedoch hauptsächlich unter Krebs sowie neurologischen und psychischen Erkrankungen, so der ehemalige Präsident der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN).
In 47 Fällen seien sie ambulant palliativ betreut gewesen, in 40 Fällen psychiatrisch-psychotherapeutisch. Die meisten hätten die Sorge vor dem Verlust der Selbstbestimmung/Selbstständigkeit als Grund für ihre Anfrage beziehungsweise Bitte um Suizidassistenz angegeben.
Alfred Simon, Geschäftsführer der Akademie für Ethik in der Medizin an der Universität Göttingen, berichtete, dass bei den analysierten 133 Fallberichten in 22 Fällen eine Suizidassistenz erfolgt sei, davon in 17 Fällen durch die Infusion eines Narkosemittels.
In 18 Fällen sei im Register lediglich über eine geplante Suizidassistenz berichtet worden. In 46 Fällen sei trotz Anfrage keine Suizidassistenz erfolgt. In die Prüfung der Freiverantwortlichkeit des Suizidwunsches seien in drei Viertel der Fälle Ärzte involviert gewesen, so Simon.
Die Prüfung der Freiverantwortlichkeit, die eine Voraussetzung für eine Suizidassistenz sei, wäre unterschiedlich erfolgt, erklärte Georg Marckmann, Vorstand des Instituts für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin der LMU München. In den meisten Fällen seien viele Gespräche mit verschiedenen Personengruppen, wie Ärzte, Psychologen, aber auch Juristen, geführt worden.
Zudem seien Gutachten und Berichte erstellt sowie Alternativen abgeklärt worden sowie überprüft, ob diese verstanden wurden. Häufig hätte es eine psychiatrische/psychologische Prüfung, Sichtung der (medizinischen) Unterlagen sowie Prüfung der Dauerhaftigkeit des Sterbewunsches gegeben, so Marckmann. Es sei aber auch – obwohl durch die Rechtsprechung nicht gefordert – eine Prüfung der Plausibilität und Nachvollziehbarkeit des Wunsches berichtet worden.
„Die erhobenen empirischen Daten sollen den Diskurs über eine verantwortbare Praxis des Umgangs mit Anfragen nach Suizidassistenz empirisch fundieren“, so Schildmann. Denn viele Ärzte wünschten sich klare rechtliche Regelungen und fachliche Leitlinien.
Bislang seien sich viele oftmals unsicher, wie mit den Sterbewünschen ihrer Patienten umzugehen sei, sagte Schildmann. „Wir glauben, dass jetzt gerade ein kritischer Moment in Deutschland bezüglich der Entwicklung der Suizidassistenz ist“, sagte er.
Das Register wolle daher einen Beitrag zur Transparenz über die aktuelle Situation zu Anfragen und zur Praxis der assistierten Selbsttötung leisten, eventuell sogar im Verlauf. Ziel sei die empirische Fundierung der Gestaltung einer verantwortbaren Praxis des Umgangs mit Anfragen und der Assistenz bei der Selbsttötung.
Momentan ist Suizidassistenz legal. Auch Sterbehilfevereine können Suizidbeihilfe anbieten, da das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Beihilfe zum Suizid, gekippt hatte.
Es hatte klargestellt, dass Menschen in Deutschland rechtlich die Möglichkeit haben, Hilfe beim Suizid in Anspruch zu nehmen. Da alle daraufhin im Jahr 2023 vorgelegten Gesetzesentwürfe zur Regelung der Suizidassistenz im Parlament keine Mehrheit fanden, gilt dies auch heute.
Die gleichzeitig mit überwältigender Mehrheit im Bundestag beschlossene Forderung nach einem Suizidpräventionsgesetz ist allerdings noch nicht umgesetzt. Bislang liegt lediglich ein Entwurf vor sowie eine im vergangenen Jahr veröffentlichte Nationale Suizidpräventionsstrategie.
2021 hatte auch der Deutsche Ärztetag beschlossen, das Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aus der Musterberufsordnung zu streichen. Den Landesärztekammern hatte er eine solche Änderung in ihrem Berufsrecht empfohlen, dabei gleichzeitig aber betont, dass Suizidbeihilfe keine ärztliche Aufgabe sei. Dies betonte auch der diesjährige Deutsche Ärztetag in Leipzig.
Bei einem weiteren Versuch einer gesetzlichen Neuregelung der Suizidhilfe müsse man der Selbstbestimmung des Einzelnen gerecht werden und zugleich einer gesellschaftlichen Normalisierung des assistierten Suizids entgegenwirken, befanden die Delegierten.
Zentrale Bedeutung komme dem Schutzkonzept zu, das vom Bundesverfassungsgericht ausdrücklich genannt werde. Es müsse sichergestellt werden, dass Menschen vor nicht freiverantwortlichen und übereilten Entscheidungen oder Missbrauch geschützt würden.
Gleichzeitig dürfe eine neue gesetzliche Regelung die Suizidhilfe nicht zu einem Bestandteil der ärztlichen Berufsausübung machen. „Die Mitwirkung bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe“, betonte das Ärzteparlament.
Sicherzustellen sei, dass es eine freie und individuelle Entscheidung eines Arztes in einem konkreten Einzelfall bleibe, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Jedoch sei es durchaus Aufgabe von Ärzten, Patienten mit Suizidgedanken oder Todeswünschen mit Empathie und Gesprächsbereitschaft zu begegnen. Das vertrauensvolle Gespräch über den Wunsch des Patienten zu sterben, gehöre zum Kern der ärztlichen Tätigkeit.
Wenn Sie Suizidgedanken haben oder bei einer anderen Person wahrnehmen: Kostenfreie Hilfe bieten in Deutschland der Notruf 112, die Telefonseelsorge 0800/1110111 und das Info-Telefon Depression 0800/3344 533. Weitere Infos und Adressen unter www.deutsche-depressionshilfe.de.
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