Politik

Experten plädieren für schnelle Heilkundeübertragung auf Pflegende

  • Freitag, 7. Oktober 2022
/Blue Planet Studio, stock.adobe.com
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Berlin – Experten haben auf dem 9. Deutschen Pflegetag eine schnelle Übertragung heilkundlicher Aufgaben an Pflegekräfte gefordert. „Wir brauchen eine echte Substitution ärztlicher Leistungen“, sagte der unpartei­ische Vor­sitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Josef Hecken. Dabei müsse ernsthaft überlegt werden, welche Tätigkeiten, die zurzeit noch dem Arztvorbehalt unterliegen, an die Pflege übertragen werden können, um den Beruf aufzuwerten – und in der Folge auch besser zu vergüten.

Seine Forderung begründete Hecken vor allem mit dem voranschreitenden demografischen Wandel. „In den nächsten 10 bis 15 Jahren werden wir 5,2 Millionen mehr Menschen haben, die potenziell multimorbide sind“, sagte er. Und schon heute seien etwa 5.000 Hausarztsitze unbesetzt.

Vor diesem Hintergrund müsse die Pflege die Daseinsvorsorge in der Zukunft mit übernehmen. Dadurch würde zugleich die Attraktivität des Berufsbilds gesteigert. Denn eine Übertragung heilkundlicher Aufgaben an Pflege­fachpersonen werte das Berufsbild stärker auf als eine reine Gehaltserhöhung.

Hecken rief die Regierung dazu auf, auf Bundesebene vorzugeben, welche heilkundlichen Aufgaben an Pflegen­de übertragen werden sollen. Damit hänge dann auch eine Ausweitung der Ausbildungsinhalte zusammen. Die Politik müsse jetzt handeln, damit die Patientinnen und Patienten in der Zukunft noch adäquat versorgt werden könnten.

Die Modellvorhaben nach Paragraf 64 d Sozialgesetzbuch V, denen zufolge ab dem 1. Januar 2023 in jedem Bundesland für maximal vier Jahre mindestens eine Erprobung einer Heilkundeübertragung durchgeführt werden muss, kritisierte Hecken. Diese Modellvorhaben würden im Sande verlaufen, prognostizierte er.

Modellvorhaben: „Too little, too late“

Diese Ansicht teilte der Vorstandsvorsitzende der Barmer, Christoph Straub. „Die Modellvorhaben nach Paragraf 64 d werden die Situation nicht grundlegend ändern“, meinte er. Die Maßnahmen seien zu zaghaft: „too little, too late“. Auch Straub forderte eine Heilkundeübertragung durch den Gesetzgeber. Zugleich müssten die Ausbil­dungs­kapazitäten angepasst und ausgeweitet werden.

„Wenn wir die Pflege aufwerten wollen, werden wir mehr Ressourcen für die Pflege brauchen“, ergänzte Straub. „Die Frage ist dann: Kommt dafür mehr Geld ins System oder wird das im System vorhandene Geld umverteilt?“ Im letzteren Fall müsse entschieden werden, wer etwas von seinem Anteil abgebe.

Neu aufgestellte Primärversorgung

Die Leiterin des Instituts für Gesundheits- und Pflegewissenschaft der Medizinischen Fakultät Halle, Gabriele Meyer, betonte, dass es bei der Heilkundeübertragung nicht darum gehe, Ärzte zu entlasten, sondern die Patien­ten angemessen und niedrigschwellig zu versorgen. Auch sie forderte, dass es wichtig sei zu definieren: Wer macht was?

Die Bundesgeschäftsführerin des Deutschen Berufsverbands für Pflegeberufe (DBfK), Bernadette Klapper, for­derte die Umsetzung einer großen Reform, bei der die Aufgaben im System neu aufgeteilt werden. „Wir brauchen eine neu aufgestellte Primärversorgung“, sagte sie. Denn in vielen Regionen werde es künftig nicht mehr genügend Hausärztinnen und -ärzte geben. „Dann ist niemand mehr da, der die Menschen versorgt“, so Klapper.

Eigenverantwortliche Behandlung von Erkältungskrankheiten

Sie forderte, der Community Health Nurse die Aufgaben zu übertragen, die in der Versorgung durchgeführt werden müssten. Das beinhalte die Prävention und das Begleiten langer Behandlungsverläufe.

Zu den Kernaufgaben einer Community Health Nurse zählt der DBfK unter anderem die Primärversorgung in­klusive der Sicherung einer Versorgungskontinuität im ambulanten Sektor, Kontrolluntersuchungen und Scree­nings auf Krebserkrankungen, eine eigenverantwortliche Behandlung zum Beispiel von Erkältungskrankheiten und das Management chronischer Erkrankungen.

Die Pflegenden müssten im Rahmen einer Neuverteilung der Aufgaben ihre volle Kompetenz ausleben können, forderte Klapper. Dadurch werde der Beruf attraktiver und der Pflegemangel könne reduziert werden.

fos

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