Expertenrat für Klimafragen empfiehlt Klimakabinett

Berlin – Deutschland ist aus Sicht von Fachleuten nicht auf Kurs bei seinen Klimazielen für das Jahr 2030. Außerdem geht es beim Thema Förderung nicht sozial gerecht zu. Das erklärt der „Expertenrats für Klimafragen“ in einem gestern veröffentlichten Gutachten.
Das Papier erhöht den Handlungsdruck für die nächste Bundesregierung, die sich beim Thema Klimaschutz aus Sicht des Rates ganz neu organisieren sollte. Der Expertenrat ist ein unabhängiges fünfköpfiges Gremium, das die Wirksamkeit der deutschen Klimaschutzpolitik überprüft und der Politik Anregungen gibt. Seine Aufgaben sind gesetzlich festgeschrieben.
Die Bundesregierung müsse sich mehr Gedanken über die Auswirkungen von Klimaschutz auf andere Bereiche wie Wirtschaft, Umwelt oder Sozialpolitik machen, betonte der Rat. Dabei könne es zu Zielkonflikten kommen. Diese müsse die Politik klar benennen, denn sonst stehe die Akzeptanz für den Klimaschutz auf dem Spiel.
Mehr Koordination und Klimakabinett empfohlen
Dass ein einzelnes Ministerium – derzeit das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – für das Thema zuständig ist, hat sich aus Sicht des Rats nicht bewährt. Denn die Verantwortung für den Klimaschutz im Verkehr liege ja weiter bei dem dafür zuständigen Ministerium.
Deshalb schlägt der Rat vor, dass das Kanzleramt die Maßnahmen der Ministerien stärker koordinieren sollte. Für das Thema besonders wichtige Minister könnten sich regelmäßig als „Klimakabinett“ treffen. Zudem müssten Formate für eine gesellschaftliche Diskussion und Beteiligung gefunden werden.
Neben vielen weiteren Themen prüft der Expertenrat die Auswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen die Gesundheit. Diese sind komplex. So etwa beim viel diskutierten Heizungsgesetz. Dieses sieht vor, dass neu eingebaute Anlagen spätestens ab 2028 mit 65 Prozent erneuerbaren Energieträgern betrieben werden müssen.
Eine Option sind Biomasseheizungen. Die Nutzung sei jedoch mit Feinstaubemissionen, Kohlenmonoxidemissionen und Ressourcenverbrauch verbunden, schreibt der Rat für Klimafragen. „Einzelraumfeuerungsanlagen weisen die höchsten Feinstaubemissionen im Vergleich der Heizsysteme auf. Feinstaubemissionen wiederum beeinträchtigen die Gesundheit und Luftqualität", mahnten die Experten.
Bis 2026 oder 2028 müssen die Kommunen nach dem „Gebäudeenergiegesetz" (GEG) Wärmepläne erstellen, die festlegen, welche Technologien und Energieträger für die jeweilige Region geeignet sind. Beides sind „relevante Instrumente“ bei der Umsetzung von EU-Vorgaben für Klimaschutz bei Gebäuden, befindet der Rat. Es sei aber umstritten, ob die Förderung mit sozialer Staffelung reicht, „um den gesellschaftlichen Frieden bei der Umsetzung des GEG zu wahren“.
Er hielte es für „gefährlich“, das Paket aus Heizungsgesetz, Gebäudesanierung und Wärmeplanung wieder zurückzudrehen, sagte der Ratsvorsitzende Hans-Martin Henning. Planungssicherheit sei wichtig und auch das Erreichen der Klimaziele. Die CDU will das Heizungsgesetz abschaffen.
Insgesamt befindet der Rat, dass es Fortschritte in Sachen Klimaschutz in Deutschland gibt. Das liegt an CO2-Minderungen vor allem in der Energie und der Industrie. Zu tun hat das mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne, aber auch mit Produktionsrückgängen in der Industrie wegen der Wachstumsschwäche. Dem Rat zufolge ist es aber fraglich, dass das Klimaziel für 2030 „ohne wesentliche Anpassungen“ erreicht wird.
Bis dahin soll der Ausstoß an Treibhausgasen um 65 Prozent im Vergleich zum Jahr 1990 sinken. In den Gebäuden werden weiter Öl- und Gasheizungen eingebaut. Außerdem werden weiter viele neue Pkw zugelassen, die noch lange mit Benzin oder Diesel auf deutschen Straßen unterwegs sein dürften. Fortschritte gibt es dank vieler neuer Windräder und Solaranlagen im Energiebereich.
Staatliche Hilfe beim Klimaschutz hilft vor allem Besserverdienern
Die Kosten für das Heizen und Tanken mit fossilen Brennstoffen werden mit der CO2-Bepreisung weiter steigen. Doch gerade Menschen mit wenig Geld können sich nicht einfach ein Elektroauto kaufen oder eine Wärmepumpe zulegen – selbst, wenn es staatliche Förderung gibt - die beim E-Auto inzwischen ausgelaufen ist. Von Fördermaßnahmen profitierten fast ausschließlich gut situierte Gruppen, stellt der Expertenrat fest.
Für die Akzeptanz der Maßnahmen müsse sich das ändern – zum Beispiel, indem Förderprogramme umgestaltet werden, die öffentliche Infrastruktur klimafreundlicher wird oder auch durch staatliche Ausgleichszahlungen wie das Klimageld, das die Ampelkoalition eigentlich auf den Weg bringen wollte.
Für den klimafreundlichen Umbau von Wirtschaft und Gesellschaft sehen Studien, die der Expertenrat ausgewertet hat, einen Investitionsbedarf von 135 bis 255 Milliarden Euro pro Jahr – eine gewaltige Summe. Sie entspricht 3,2 bis sechs Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts (BIP).
Aber ein beachtlicher Teil würde demnach bei Modernisierungen ohnehin ausgegeben, so der Rat. Da auch die Privatwirtschaft investiere, werde für den Staat wohl eine Finanzierungslücke im Umfang eines mittleren bis zweistelligen Milliardenbetrags pro Jahr bleiben.
Der Staat müsse Prioritäten setzen, schreibt der Rat. Schließlich gibt es auch eine Diskussion um höhere Verteidigungsausgaben, marode Schulen, bröselnde Brücken, Lücken in den Sozialsystemen, und Kosten, die die Erderwärmung noch auslösen wird.
Die Bundesregierung müsse entscheiden, ob sie mehr gesetzliche Vorgaben macht, die den Bund nichts kosten, aber die Bürger – oder Geld in Fördermaßnahmen stecken. Die sollten dann aber auch effizient sein, hieß es. Der Bund sollte den nötigen Finanzbedarf rechtzeitig einplanen.
Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft
Generell habe die deutsche Politik bisher nur versucht, klimaschädliche fossile Brennstoffe durch andere Energieträger zu ersetzen, so der Expertenrat. Doch wie viele Fachleute zweifelt er daran, dass Deutschland den Schwenk zu klimafreundlicherem Wirtschaften ohne Strukturwandel schafft. Die Herstellung vieler Rohstoffe dürfte günstiger möglich sein in Ländern mit viel erneuerbaren Energien, zum Beispiel, weil sie sonnenreicher sind.
Statt also Wasserstoff im großen Stil zu importieren, würden deutsche Unternehmen sich dann auf die Weiterverarbeitung von Rohstoffen konzentrieren. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) verfolgt eine andere Politik, er will bestehende Industriearbeitsplätze mit staatlicher Unterstützung in Deutschland halten.
„Ich teile die Auffassung des Expertenrats, dass die Ausweitung der Investitionstätigkeit eine wesentliche Voraussetzung für klimapolitische Erfolge in den kommenden Jahren sein wird. Gleichzeitig können diese Investitionen wichtige Modernisierungsimpulse für die Wirtschaft geben“, erklärte der Minister.
Auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Julia Verlinden (Grüne) äußerte sich zu Wort und stellte ein Klimaschutzsofortprogramm für die nächste Bundesregierung in Aussicht. Sie sieht Deutschland auf Kurs mit den Klimazielen, die Ziele für 2030 jedoch nicht gesichert.
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