Politik

Fachleute mahnen zu mehr Jugendschutz, Aufklärung und Prävention bei Lachgas

  • Donnerstag, 16. Oktober 2025
/picture alliance, dpa, Marcus Brandt
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Berlin – Gesundheitsexperten und Industrieverbände begrüßten grundsätzlich das Vorhaben der Bundesregierung, die allgemeine Verfügbarkeit gefährlicher Industriechemikalien, die missbräuchlich als Drogen oder sogenannte K.O.-Tropfen verwendet werden, zu regulieren.

Sie forderten zugleich mehr Aufklärung und Prävention insbesondere für Kinder und Jugendliche. Das wurde gestern bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestages zum Gesetzentwurf zur Änderung des Neue-psychoaktive-Stoffe-Gesetzes (Drucksache 21/1504) deutlich. Ziel des Gesetzes ist es, den Missbrauch von Distickstoffmonoxid, auch als Lachgas bezeichnet, zu Rauschzwecken einzudämmen.

„Der Missbrauch zu Rauschzwecken nimmt zu“, heißt es in dem Gesetzentwurf. Eingedämmt werden soll auch der Missbrauch von Gamma-Butyrolacton (GBL) und 1,4-Butandiol (BDO), die teils zu Rauschzwecken, teils unter Ausnutzung der Rauschwirkung als „K.O.-Tropfen“ zur Begehung von Straftaten meist gegen die sexuelle Selbstbestimmung verwendet werden.

Der Vertreter der Gewerkschaft der Polizei (GdP) erklärte, der Gesetzentwurf sei unterstützenswert und überfällig. Die Polizei sehe eine „starke Zunahme“ von Kindern und Jugendlichen, die auf öffentlichen Plätzen Lachgas konsumierten, und davon benommen oder gar bewusstlos würden. Der Gesetzentwurf schaffe eine Rechtsgrundlage zum polizeilichen Umgang mit der missbräuchlichen Nutzung und dem dazu bestimmten Vertrieb.

Lachgas ist zurzeit auch für unter 18-Jährige frei verfügbar im Einzelhandel, an Kiosken, im Internet und in Snack-Automaten, gleich neben Süßigkeiten. Es wird in Kartuschen verkauft und dann über Luftballons eingeatmet.

„Wir haben ein klares Verfolgungsdefizit und sehen dringenden Handlungsbedarf“, sagte der GdP-Vertreter. Die Rechtsänderung müsse aber von einem breit angelegten Präventionsprogramm begleitet werden. Vor allem Schulen und Bildungseinrichtungen benötigten Ressourcen, um Präventionsprogramme und Aufklärungskampagnen für Schülerinnen und Schüler umzusetzen. Es gibt kaum Daten dazu, wie verbreitet der Konsum von Lachgas ist.

Die Vertreterin der Bundesärztekammer (BÄK) betonte die „große Besorgnis“, mit der die Ärzteschaft die Zunahme des Missbrauchs von Lachgas sieht. Sie wies auf „bleibende Gesundheitsschäden“ hin. Die Gefahren reichten von Pneumothorax, Bewusstseinsstörungen, hypoxischen Hirnschäden, neurologischen Störungen, bis hin zum Vitamin-B12-Mangel bei häufigem Konsum.

Lachgas habe auch Einfluss auf die Fahrtüchtigkeit: Reaktion und Konzentration blieben beeinträchtigt. In den Niederlanden beispielsweise seien Verkehrsunfälle durch Lachgas um 80 Prozent angestiegen.

Die BÄK-Vertreterin sprach sich dafür aus, die Abgabemenge von Kapseln mit acht Gramm Lachgas an Endverbraucher im Einzelhandel zu begrenzen. Es sei zu erwarten, dass sich der Konsum infolge eines Verbotes größerer Lachgasflaschen auf solche kleineren Einheiten verlagere.

Auch sollte jede Form von Werbung und Sponsoring für Lachgas streng reguliert und eingeschränkt werden. Dies müsse auch in Sozialen Medien umgesetzt und überwacht werden. Außerdem müssten Aromastoffe und Geschmacksstoffe für Lachgas verboten werden. Prävention in Schulen hält die BÄK für unbedingt erforderlich.

Dieser Forderung schloss sich die Vertreterin des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) an. In den Sozialen Medien müssten Aufklärungskampagnen gestartet werden; in Schulen könnte die Prävention „im Chemieunterricht“ stattfinden.

Die Kinder- und Jugendärztin wies auf weitere Gesundheitsgefahren hin, etwa wenn die Betroffenen erbrechen müssten und am Erbrochenen zu erstickten drohten. Hinzu komme der für Heranwachsende völlig unerwartete Kontrollverlust: „Das verursacht Angst und kann sogar zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen.“

Der Suchtforscher Bernd Werse von der Frankfurt University of Applied Sciences begrüßte, dass es „nach Jahren der flächendeckenden Verbreitung von großen Lachgasbehältern eine Regulierung geben soll, die erstmals einen Jugendschutz für diese Substanz gewährleistet“.

Er wies auf die jährliche Schulbefragung des Frankfurter Monitoring-Systems Drogentrends hin, die bis Mitte der 2010er Jahre unter 15- bis 18-Jährigen eine weitgehend konstante Lebenszeitprävalenz von fünf bis acht Prozent und gleichzeitig niedrige Werte von zumeist unter einem Prozent für aktuellen Konsum dokumentierte.

Erst mit der Verbreitung der 0,6l- bis 2l-Flaschen seit Beginn der 2020er Jahre stieg der Schulbefragung zufolge nicht nur die Konsumerfahrung auf 17 Prozent im Jahr 2022, sondern auch die 30-Tages-Prävalenz auf sechs Prozent.

Allerdings seien pauschale Verbote bestimmter psychoaktiver Substanzen abzulehnen. Für alle Drogen sollte es eine legale Regulierung geben. Werse brachte eine Apothekenpflicht ins Gespräch, Pflichtaufklärung und Werbeverbote sowie erweitere Warnhinweise und Sicherungen. Um die gezielte Aufklärung zu verbessern, sei auch eine verstärkte Grundlagenforschung nötig. Damit sei potenziellen Opfern besser geholfen als mit einer Kriminalisierung bestimmter Substanzen, glaubt der Suchtforscher.

PB

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