Familiäre Hypercholesterinämie: IQWiG empfiehlt gezieltes statt generelles Screening von Kindern

Berlin – Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) sieht keinen Nutzen in einem generellen Screening auf Familiäre Hypercholesterinämie (FH) von Kindern und Jugendlichen – empfiehlt jedoch eine kaskadengestützte Untersuchung. Das gab das Institut heute in einer Stellungnahme bekannt.
Bei dem Kaskadenscreening sollen nach Ansicht des IQWiG nur Kinder und Jugendliche untersucht werden, bei deren Familienangehörigen bereits eine FH festgestellt worden ist. Das „Gesundes-Herz-Gesetz“ der Bundesregierung, für das das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) im Juni einen Referentenentwurf vorgelegt hatte, sieht hingegen bisher ein Screening von allen Kindern und Jugendlichen auf FH vor.
Bereits im Februar dieses Jahres hatte der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) das IQWIG beauftragt, die aktuelle Evidenzlage zum Screening auf FH bei Kindern und Jugendlichen zu prüfen. Dass der Bericht nicht vom Ministerium abgewartet und die Selbstverwaltung nicht einbezogen worden waren, hatte in den vergangenen Wochen bereits zu viel Kritik geführt.
Das empfohlene Kaskadenscreening soll von Familienmitgliedern, insbesondere Eltern, ausgehen, bei denen nach einem kardiovaskulären Ereignis oder im Rahmen von Gesundheitsuntersuchungen eine familiäre Hypercholesterinämie diagnostiziert wurde. Der Vorteil des Kaskadenscreenings sei, dass schwere Subtypen der FH diagnostiziert würden, so das IQWiG.
„Denn Personen, deren Familienangehörige von einer besonders frühen oder besonders schweren Symptomatik betroffen sind, erhalten eher medizinische Versorgung und sind daher einem Kaskadenscreening ohne zusätzliche Einladung zielgerichtet zugänglich“, argumentiert das Institut.
Früher Therapiebeginn befürwortet
Grundsätzlich sei es sinnvoll, Kinder und Jugendliche mit FH bereits frühzeitig zu identifizieren und auch mit Statinen zu therapieren. In diesem Punkt stimmt der aktuelle Report mit dem Herzgesetz überein.
Für einen frühzeitigen Behandlungsbeginn spricht dem IQWIG zufolge eine 2019 publizierte Studie von Luirink et al. (NEJM; DOI: 10.1056/NEJMoa1816454). Jugendliche mit FH sind in dieser Studie bereits im Alter von durchschnittlich 14 Jahren medikamentös behandelt worden.
In einem Follow-Up nach 20 Jahren zeigte sich im Vergleich zu den Eltern, die ebenfalls eine FH hatten jedoch keine frühzeitige Therapie erhalten hatten, eine signifikant niedrigere Rate an kardiovaskulären Ereignissen.
„Bemerkenswert ist, dass die Kinder trotz Statin-Behandlung nicht die in manchen Leitlinien empfohlenen LDL-Cholesterin-Zielwerte erreichten – und dennoch ohne kardiovaskuläres Ereignis blieben“, sagte Stefan Sauerland, Leiter des IQWiG Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren.
„Somit stützen die Ergebnisse der Luirink-Studie für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen nicht den Je-niedriger-desto-besser-Ansatz, der teilweise propagiert wird, sondern legen nahe, dass eine feste mittlere Dosis eines Statins als Standardtherapie für die kardiovaskuläre Protektion ausreicht.“
Allerdings sei zu bedenken, dass sich die Ergebnisse der Luirink-Studie nicht ohne zusätzliche Evidenz auf die Gesamtheit aller Kinder und Jugendlichen mit familiärer Hypercholesterinämie übertragen ließen, so Sauerland.
Denn die Studienteilnehmenden seien bereits eine selektierte Gruppe: „Es handelt sich um Kinder, die über ein Kaskadenscreening identifiziert wurden und von deren Eltern bereits ein erheblicher Teil kardiovaskuläres Ereignis hatte.“
IQWIG befürchtet viele falsch negative Befunde
Für ein generelles Screening von Kindern liegt nach Ansicht des IQWiG aktuell keine ausreichende Datenlage vor. Auf Grundlage der verfügbaren Analysen geht das Institut davon aus, dass eine Vielzahl von Kindern mit FH trotz Screening unentdeckt bleiben würde.
Denn mit einem Cutoff-Wert von LDL-Cholesterin > 164 mg/dl betrage die Sensitivität des Screenings 66,7 Prozent, wie sich auf Grundlage von einer 2016 und einer 2017 publizierten Studie ergab (NEJM 2016; DOI: 10.1056/NEJMoa1602777; Atherosclerosis 2017; DOI: 10.1016/j.atherosclerosis.2017.03.007).
In Deutschland laufen aktuell ebenfalls zwei Studien, um ein Screening auf eine FH bei Kindern und Jugendlichen zu prüfen. Sowohl von der VRONI- Studie in Bayern als auch von der Fr1dolin-Studie in Niedersachsen und Hamburg erwartet das IQWIG allerdings keine neuen Erkenntnisse zur Testgüte, da Kinder mit negativem Testergebnis hier nicht weiterverfolgt würden.
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