Politik

GKV-Leistung: FDP schlägt Indikationsaus­weitung für Abnehmspritzen vor

  • Donnerstag, 23. Januar 2025
Kai Behrens (links) und Andrew Ullmann /Screenshot DÄ
Kai Behrens (links) und Andrew Ullmann /Screenshot DÄ

Berlin – Ärzte können Menschen mit schwerer Adipositas zwar derzeit GLP-1-Rezeptoragonisten, die sogenannten Abnehm­­spritzen, verordnen. Die Kosten tragen müssen diese aber selbst. Die gesetzliche Kran­ken­versicherung (GKV) be­zahlt solche Präparate bisher ausschließlich für Diabetespatienten. Aus der FDP kommen nun Stimmen, die die Me­dikamente für Menschen mit schwerer Adipositas ge­nerell zur Kassenleistung machen wollen.

Die GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) senken nicht nur Glukose oder das Gewicht, wie eine aktuelle Analyse in Nature zeigte. Sie können demnach auch das Risiko für verschiedene Beschwerden und Krank­heiten wie Alzhei­mer-Erkrankung, Substanzkonsumstörungen, Suizidgedanken, Infektionen oder Gerinnungs­störungen reduzieren. Neben den Vor­teilen gibt es aber auch eine Reihe von Risiken und Langzeitstudien fehlen.

Welche Leistungen von der GKV bezahlt werden, regelt das Sozialgesetzbuch V (SGB V) – und aufgrund dessen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA). Der hat mehrfach entschieden, dass GLP-1-RA zur Bekämpfung der Adipo­sitas unter die Kategorie der Lifestyleprodukte gehören, wenn sie allein Abnehmzwecken dienen sollen. Sie sind also damit nicht zulasten der GKV verordnungsfähig.

Im SGB V heißt es, von der Versorgung seien Arzneimittel ausgeschlossen, bei deren Anwendung eine Erhöhung der Lebensqualität im Vordergrund stehe. Ausgeschlossen seien zudem insbesondere Arzneimittel, die überwie­gend [...] zur Abmagerung oder zur Zügelung des Appetits, zur Regulierung des Körpergewichts [...] dienten.

Aus Sicht des gesundheitspolitischen Sprechers der FDP, Andrew Ullmann, sollte die Gruppe der Menschen, die die Spritzen verordnet bekommen können, künftig ausgeweitet werden. „Die Wirksamkeit der Abnehmspritze wurde in Stu­dien erwiesen. Die Vermeidung von Folgeerkrankungen, von Adipositas hat einen präventiven Effekt und könnte langfristig zu Kosteneinsparungen führen“, wird Ullmann im Morgen-Magazin des ZDF in einem Ein­blender zitiert.

Die Haltung untermauerte er im „Duell“ mit dem Pressesprecher des AOK-Bundesverbands, Kai Behrens. Ullmann betonte, Medikamente solle man grundsätzlich nicht bedenkenlos verschreiben, weil diese immer auch Neben­wirkungen hätten. Die Abnehmspritze könne aber eine Möglichkeit sein, etwa die Ernährungsumstellung zu unterstützen.

„Schwere Adipositas ist eine schwere Erkrankung“, so Ullmann. Derzeit besagten die Gesetze, dass Abnehm­medi­ka­mente ein Lifestyleproblem seien. Aber Adipositas sei „nicht nur ein Lifestyleproblem“. Er wies darauf hin, dass es in der Medizin multiple Ursachen – genetische und biologische – für Adipositas gebe.

Am Ende sei es „Aufgabe der Politik zu entscheiden, inwieweit schwere Adipositas nach wie vor ein Lifestyle­problem ist. Ist es ein persönliches Versagen oder sind es andere Ursachen“, so Ullmann. Für ihn hat das Sozial­gesetzbuch drauf keine Antwort und die Innovationsentwicklung nicht im Blick.

AOK-Sprecher Behrens betonte, es gebe „vermeintliche Therapievorteile“, die Studien wiesen darauf hin. Aber es gebe „auch enorme Risiken“, so seien zum Beispiel Krebsrisiken „noch gar nicht genau eruiert“. Dafür brauche es Langzeitstu­dien.

„Und solange sollte das nicht auf Kosten der Beitragszahlenden und Arbeitgebern übernommen werden“, so Beh­rens. Er stellte zudem klar, dass es außerdem sehr viele bewährte Adipositastherapien – verhaltens-, ernährungs-, bewegungstherapeutische Ansätze – gebe, die von Adipositasexperten begleitet würden.

Darüber hinaus habe Ullmann die Beitragszahlenden aus den Augen verloren. „Das sind enorme Kosten, die auf uns zurollen“, sagte Behrens. Noch wisse man nichts über die Gegenrechnung und dazu, was eingespart werden könne.

„Wir wissen aber, dass Ozempic und Co., beziehungsweise diese Abnehmspritzen, Jahrestherapiekosten von 4.000 Euro verursachen. Wir haben über zwölf Millionen als adipös geltende Menschen, also Body-Maß-Index über 30. Da sieht man schon, welche Kostendimensionen das hat – das ist ein Extremszenario“, erläuterte Behrens.

Ullmann machte eine andere Rechnung auf und widersprach. Seiner Meinung nach könnten Herzkrankheiten um 50 Prozent, Schlaganfälle um 30 Prozent und Krank­meldungen reduziert werden. „Wenn man das gegenrechnet ist das ein Nullsummenspiel“, sagte er. Dabei gehe es nicht um eine Dauertherapie – viele Abnehmspritzen müssen zum Teil lebenslang verwendet werden –, sondern um die Anfangstherapie.

„In der Schweiz ist es in der Grundversorgung vorhanden und kann erst einmal zwei bis drei Jahre eingesetzt wer­den. Da kann man beobachten, wie die Langzeitauswirkungen sind. Es gibt immer noch eine ärztliche Über­wachung“, sagte der FDP-Gesundheitspolitiker. „Schwere Adipositas ist eine Krankheit und diese Menschen sollten wir nicht aus der Solidargemeinschaft herauslassen.“

Behrens stimmte zu und betonte, die Menschen müssten behandelt werden. „Aber wir sollten stärker den Akzent auf die Vermeidung von Adipositas legen. Natürlich müssen wir die gesundheitlichen und finanziellen Vorteile abwägen. Solange die Studienlage noch so unsicher ist, sollten wir das nicht übernehmen“, sagte er.

Behrens beklagte bei der Prävention die Bilanz der Ampel. „Was ich eigentlich vermisse, das nicht so sehr bei der Behandlung von Adipositas angesetzt wird, sondern bei der Vermeidung von Adipositas. Da fehlt mir das Engagement der Ampel in den letzten drei Jahren vollkommen.“

may/aks

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