Politik

Globale Gesundheit: Wegen Finanznot gemeinsame Lösungen gefordert

  • Freitag, 11. Juli 2025
/picture alliance, Anadolu, Nicholas Kajoba
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Berlin – Angesichts von Kürzungen und schrumpfende Budgets nicht nur in den Vereinigten Staaten sehen Fachleute eine Finanzierungskrise im Bereich globale Gesundheit. Sie betonten gestern bei einer Veranstaltung des Netzwerks Global Health Hub in Berlin, dass nun gemeinsame Lösungen für weltweite Gesundheitsprobleme gefunden werden müssten.

Dies sei jetzt so wichtig wie noch nie, mahnte etwa der parlamentarische Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Georg Kippels (CDU). Das BMG finanziert den 2019 gegründeten Global Health Hub. Mit Blick auf die Finanzierungskrise sagte Catharina Böhme, Senior Advisor bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dass es sich nicht nur um einen Rückgang an Mitteln handle: Es sei ein Schock.

Sie sprach von OECD-Prognosen, wonach für die nächsten zwei Jahre mit einem Rückgang der ODA-Mittel (Official Development Assistance, bestimmte öffentliche Entwicklungsleistungen) um fast 60 Milliarden zu rechnen sei, so Böhme. Nicht nur die USA, sondern viele Länder trieben Kürzungen voran.

Die USA haben ihren Austritt aus der WHO angekündigt, deren größter Mittelgeber sie waren, und Auslandshilfen durch die Entwicklungsbehörde USAID beendet. Dadurch ist Deutschland inzwischen in vielen Bereichen größter Geber, wie Bundesentwicklungsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD) kürzlich sagte.

Konsequenzen bereits spürbar

„Wir als WHO beobachten bereits jetzt schwerwiegende Störungen der Gesundheitsversorgung in über 70 Ländern“, sagte Böhme. Täglich schlössen immer mehr Gesundheitseinrichtungen. Es komme zu erheblichen Engpässen beispielsweise bei Vorräten, Medikamenten, Tests und Kondomen, erläuterte Böhme. Die Situation verschärfe sich.

Selbst wenn viele bisher auf die Gelder angewiesenen Länder mehr Eigenständigkeit anstreben: Für viele Länder sei der Übergang zu abrupt und sie könnten die Finanzierung im Land selbst nicht so schnell erhöhen, sagte Böhme. Patientinnen und Patienten zahlten dafür den Preis.

Angela Bähr, Vorständin Programme der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung (DSW), warnte vor Auswirkungen auslaufender HIV/Aids-Programme etwa in Ostafrika, was innerhalb weniger Monate zu steigenden Infektionszahlen führen dürfte. Auch Teenager-Schwangerschaften drohten zuzunehmen. Letztlich seien vulnerable Gruppen besonders betroffen.

Die Auswirkungen seien bereits spürbar, allerdings nicht erst seit diesem Jahr, berichtete der Epidemiologe Ngashi Ngongo von den Africa CDC. Schon seit 2021 gingen die Mittel zurück, nun verschärfe sich die Lage jedoch. Es werde an einer Übersicht besonders betroffener Programme und Services gearbeitet, um dann gezielt intervenieren zu können.

Eine der Prioritäten liege darin, die regionalen Organisationen zu stärken, sagte Ngongo. Er rief zu einer Veränderung der bisher sehr kleinteiligen Strukturen auf: Die globalen Partner müssten in einem Plan zusammengebracht werden, bisher gebe es davon mehrere Dutzend. Er appellierte zudem, dass nationale Gesundheitssysteme nachhaltig gestärkt werden müssten.

Bisher agierten Hunderte Nichtregierungsorganisationen bezogen auf einzelne Krankheiten, schilderte Böhme von der WHO. Benötigt würden nun horizontale, integrierte Ansätze. „Wir brauchen eine Konsolidierung.“ Zur Finanzproblematik kämen noch Veränderungen auf inhaltlicher Ebene hinzu: nicht übertragbare Erkrankungen und psychische Erkrankungen würden bedeutsamer, hinzu komme der demografische Wandel.

Die Global-Health-Landschaft werde sich in den kommenden Jahren wahrscheinlich dramatisch verändern, sagte Kippels. „Deutschland ist bereit, dazu beizutragen, sie nachhaltiger zu gestalten und den Bedürfnissen der internationalen Gemeinschaft, der Gesundheitssysteme und der Menschen gleichermaßen gerecht zu werden“, sagte er.

Ihm zufolge kann die Krise ein Katalysator für einen überfälligen Wandel sein: hin zu einem resilienteren, effizienteren und gerechteren System, das auf echter Zusammenarbeit von Institutionen statt auf deren Konkurrenz beruhe.

Mit Blick auf die politische Diskussion in Deutschland betonte Bähr von der DSW, dass gerade in so einem wichtigen Moment wie jetzt der Unterausschuss Globale Gesundheit im Bundestag gebraucht werde. Erst Ende Juni hatten mehrere Organisationen, darunter der Global Health Hub, angemahnt, dass der Unterausschuss auch in der neuen Legislaturperiode fortgeführt werden müsse.

Bei der Strategie der Bundesregierung zur globalen Gesundheit stehe dieses Jahr zur Halbzeit eine Überprüfung an, so Kippels. „Wir sind überzeugt, dass wir als politische Entscheidungsträger sicherstellen müssen, dass die Schwerpunkte der Strategie auch weiterhin zeitgemäß und zielführend sind.“ Zu diesem Zweck werde man sich mit den relevanten Akteuren beraten.

Kippels unterstrich ebenso wie Paul Zubeil vom BMG Deutschlands Bekenntnis zu einer starken Rolle der WHO. Deutschland werde beim Thema globale Gesundheit ein verlässlicher Partner bleiben, auch wenn sich das Umfeld verändere. Zubeil sagte, dass der Blick in die Zukunft gehen und man versuchen müsse, wieder mehr Geldgeber und Vertrauen zurückzugewinnen.

Wie sich die WHO neu aufstellt

Die WHO hat Böhme zufolge in dieser „existenziellen Krise“ einen Priorisierungsprozess eingeleitet und konzentriert sich auf Kernaufgaben etwa in Hinblick auf Standards, Koordinierung, Daten sowie Kernfunktionen in den Bereichen Pandemievorsorge und -reaktion sowie gesundheitliche Notlagen.

„Wir fokussieren uns auf das, was nur wir als WHO tun und beitragen können“, sagte Böhme. Darüber hinausgehend müsse man sich verstärkt auf Partner verlassen.

Erste Länderbüros der WHO sollen in den kommenden Monaten schließen, so Böhme. An anderen Orten versuche man präsent zu bleiben. Personalkürzungen beträfen den Hauptsitz mit rund 40 Prozent stärker als die Länderbüros, wo 15 bis 20 Prozent wegfallen sollen.

Trotz der schwierigen Entwicklungen waren die Rednerinnen und Redner bemüht, auch positive Aspekte und Chancen hervorzuheben. Die Verabschiedung des internationalen Pandemievertrags vor einigen Wochen sei ein Anzeichen dafür, dass es noch immer globale Solidarität gebe und der Multilateralismus funktioniere, betonte Kippels.

Er versicherte, dass Deutschland bei den bevorstehenden Verhandlungen über noch nicht geklärte Aspekte genauso engagiert wie bisher auftreten werde und seinen Teil zu einem erfolgreichen Abschluss beitragen werde.

Es geht um einen Anhang zum Pandemieabkommen, in dem ein zentraler Mechanismus erst noch geregelt werden muss. Das Deutsche Ärzteblatt berichtete. Im sogennanten PABS-System geht es unter anderem um den Austausch von Erregerproben.

ggr

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