Gutachten: Bund muss Pflegeversicherung Coronakosten erstatten

Berlin – Der Bund ist nach einem neuen juristischen Gutachten aus verfassungsrechtlichen Gründen verpflichtet, der Pflegeversicherung die in der Coronapandemie entstandenen Mehrkosten in Milliardenhöhe vollständig zu erstatten. Das geht aus einem Gutachten der Hamburger Jura-Professorin Dagmar Felix hervor, das sie im Auftrag der Krankenkassen DAK-Gesundheit angefertigt hat.
Die Finanzierung von Coronatests oder die Bezahlung von Pflegeboni für die Beschäftigten seien gesamtgesellschaftliche Aufgaben, die aus Steuermitteln zu leisten seien, heißt es in dem Gutachten, das auch dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt. Die Verwendung von Beitragsgeldern für die Coronamaßnahmen sei eine verfassungswidrige Zweckentfremdung, heißt es darin.
„Ein Zugriff auf Sozialversicherungsbeiträge ist verwehrt, weil ansonsten Sozialversicherungsbeiträge zur Finanzierung des allgemeinen Staatshaushalts verwendet würden“, argumentiert Felix von der Universität Hamburg in dem 49-seitigen Gutachten. Felix war bereits Gutachterin für den GKV-Spitzenverband zur geplanten Finanzierung des Transformationsfonds im Zuge der Krankenhausreform.
Coronatests, Pflegeboni und andere Coronamaßnahmen haben bei der Pflegeversicherung nach Angaben der DAK-Gesundheit zu Mehrausgaben von rund 13 Milliarden Euro geführt. Der Bund hat bisher aber nur einen Teil dieser Ausgaben kompensiert. Nach wie vor sind laut DAK-Gesundheit und anderer Kassen rund sechs Milliarden Euro offen. Dies bringe eine deutliche Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung.
„Es zeichnet sich ab, dass durch die Finanzkrise in der Pflegekasse, ohne die Rückzahlung der Finanzmittel, eine Beitragssteigerung bis zu 0,3 Prozentpunkte droht“, sagte DAK-Vorstandsvorsitzender Andreas Storm dem Deutschen Ärzteblatt. Daher müsse es zügig nun Entscheidungen seitens der Bundesregierung geben.
„Mein Appell an die Bundesregierung: Stellen sie bei den parlamentarischen Beratungen zum Nachtragshaushalt 2024 die nötigen Finanzmittel von sechs Milliarden Euro bereit, damit wir Zeit für eine große Pflegereform gewinnen. Denn diese benötigt einen längeren Vorlauf“, so Storm.
Die Frage der vollständigen Kompensation ist vor allem deshalb von Bedeutung, weil die Pflegeversicherung tief in den roten Zahlen steckt. Gleichzeitig gibt es nur noch wenig Zeit in dieser Legislatur für eine komplette Reform der Pflegeversicherung. Daran arbeite die Bundesregierung allerdings derzeit intensiv, betonte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der vergangenen Woche auf einem Empfang der DAK-Gesundheit zum 250-jährigen Bestehen der Krankenkasse.
Das Gutachten von Juristin Felix führt für die Pflegekassen aus, dass der Ausgleichsfonds der gesetzlichen Pflegeversicherung, aus denen die Mittel in der Coronapandemie entnommen wurden, „keine ,freie' Finanzmasse ist, auf die der Staat beliebig zugreifen könnte. Die hier enthaltenen Gelder dürfen nur für den Binnenbereich der Sozialversicherung verwendet werden“, schreibt Felix.
Ebenso führt sie aus, dass auch im Koalitionsvertrag angelegt war, die gesellschaftlichen Aufgaben aus der Pandemie zu übernehmen. Im Koalitionsvertrag hieß es: „Wir übernehmen Verantwortung in einer Zeit, in der die Coronapandemie das Land weiter stark belastet.“
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