Koalition drängt auf Aufklärung zu Maskenkäufen in der Pandemie

Berlin – Die Ampelkoalition dringt wegen drohender Milliardenrisiken infolge staatlicher Maskenkäufe zu Beginn der Coronakrise auf weitere Aufklärung. Im Zentrum einer Aktuellen Stunde im Bundestag stand heute das Krisenmanagement des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) und dessen damaligen Chef, Jens Spahn (CDU).
Aus schwelenden Streitfällen um Maskenlieferungen sind derzeit noch in etwa 100 Fällen Klagen mit einem Streitwert von insgesamt 2,3 Milliarden Euro anhängig, wie das BMG mitgeteilt hatte. Dabei geht es um Verträge zu Beginn der Pandemie 2020, als Masken knapp waren, aber dringend benötigt wurden.
Um schneller Masken für das Gesundheitswesen zu bekommen, hatte das Ministerium damals unter anderem mit dem sogenannten Open-House-Verfahren ein besonderes Mittel angewendet. Dabei kamen Lieferverträge ohne weitere Verhandlungen zu festen Preisen zustande. Vielfach verweigerte das Ressort später die Bezahlung und machte Qualitätsmängel oder zu späte Lieferungen der Ware geltend. Daraufhin klagten Lieferanten.
Der ehemalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) rechtfertigte sich heute im Bundestag für die umstrittene Bestellung von mehreren Milliarden Schutzmasken zu Beginn der Coronapandemie. „Es ging um Menschenleben und ja, wir brauchten Masken und ja, wir haben Masken beschafft“, sagte Spahn. „War es teuer? Ja.“, fuhr Spahn fort. „Wir mussten in der Not entscheiden.“
Die Maskenbeschaffung sei teuer und chaotisch gewesen, aber so sei es allen Ländern gegangen. „Ja, mit dem Wissen von heute würde ich manche Entscheidung anders treffen“, so der Ex-Minister. Das damals angewandte Verfahren könne er nicht empfehlen. Er hielt den Grünen vor, „maßlos in ihrem Furor“ zu sein. „Sie machen das Geschäft der Coronaleugner und sind sich dessen nicht mal bewusst.“
Zuvor hatten die Grünen den Minister scharf angegriffen. „Der Einsatz von Steuergeldern in Milliardenhöhe für windige Verträge muss aufgearbeitet werden“, sagte Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch. Spahn habe auch die Mengen der beschafften Masken aus dem Ruder laufen lassen. „Eine Krise darf kein Freifahrtschein sein für völlig unkontrolliertes Handeln“, sagte er. Audretsch sprach von „völlig wilden Vergabeverfahren“ und „windigen Verträgen“ der Bundesregierung mit Maskenherstellern.
Spahn habe 2020 zu Beginn der Pandemie Lieferanten eine unbegrenzte Abnahme von Masken zu einem Preis von 4,50 Euro pro FFP2-Maske garantiert. Audretsch zufolge seien am Ende 5,7 Milliarden Masken bestellt worden. Letztlich sei ein großer Teil der Masken nicht benötigt worden. Nur rund 1,7 Milliarden Masken seien verteilt worden.
Es seien damit „Milliarden Euro vernichtet worden“, betonte Audretsch. „Wir reden von einem der größten Steuerverschwendungsskandale, die es je in der Bundesrepublik gegeben hat.“ Der Grünen-Politiker sprach auch von einem „Kontrollverlust“ der Vorgängerregierung. Angesichts der angespannten Haushaltslage „dürfen und können wir die Augen nicht verschließen, wenn ein Milliardenskandal in dieser Größenordnung auf dem Tisch liegt“.
Paula Piechotta (Grüne), Mitglied des Haushaltsauschusses und Berichterstatterin für den Gesundheitsetat, sieht ebenfalls einen großen Steuerskandal. Bei der Maskenbeschaffung sei die „Schmerzgrenze des Haushaltsausschusses und der Steuerzahler überschritten“ worden.
Man müsse nun sicherstellen, dass man alles wisse – insbesondere zum ersten Halbjahr 2020. Für sie ist es dabei zum Beispiel nicht nachvollziehbar, dass es keine Dokumentation im BMG zu den Verträgen gebe und man zum Teil nicht mal wisse, wo die Unterschriften für Verträge seien.
Piechotta hatte gestern bereits nach einer Sitzung des Haushaltsausschusses, zu der Spahn geladen und erschienen war, darauf verwiesen, dass man angesichts der Kostenrisiken bei den Maskengerichtsverfahren versuche, möglichst viel Geld für den deutschen Steuerzahler zu retten.
Die Ausführungen Spahns im Haushaltsausschuss hätten „leider fast keine Fragen beantwortet“, sagte sie in einer Mitteilung. Wenig gesagt worden sei zu der massiven Überbeschaffung und den kostspieligen Direktverträgen, die trotz der bereits gestoppten Beschaffung immer wieder neu vergeben worden seien.
Kristine Lütke von der FDP betonte heute im Parlament, 2,3 Milliarden Euro seien 9,5 Mal der Skandal um die Autobahnmaut von Andreas Scheuer (CSU). Das grenze an „Fahrlässigkeit“ und lasse „jeden Respekt vor der Leistung der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler vermissen“. Sie sprach sich für eine Enquetekommission im Bundestag aus. Es gehe „um ehrliche und transparente Aufarbeitung der Entscheidungen, die damals getroffen worden sind“.
Haushaltspolitiker Karsten Klein (FDP) betonte, es gehe darum, die Risiken zu minimieren, die in der Verantwortung der CDU im BMG entstanden seien. Er verstehe auch nicht, warum nach einem Beschluss des Kabinetts, keine Masken mehr zu beschaffen, noch Verträge vom BMG abgeschlossen worden seien. „Die Debatte zeigt, wir müssen aufarbeiten. Eine Enquetkommission wäre richtig, um aus den Fehlern zu lernen.“
Martin Siechert (AfD) betonte, es sei ein Untersuchungsausschuss im Bundestag notwendig, um die Vorgänge aus der Coronazeit aufzuarbeiten. Er forderte eine Amnestie für alle, die in der Coronazeit bestraft worden sind.
Svenja Stadler (SPD) erkannte an, dass es damals eine Ausnahmesituation gegeben hat. Dennoch müssten die Vorgänge aufgearbeitet werden. „Wir sollten aus der Coronapandemie lernen um auf allen Ebenen etwas besser zu machen und auch Kosten zu sparen.“ Was bei ihr für Kopfschütteln sorge, sei die fehlende Dokumentation zu den Vorgängen und Verträgen.
Die SPD-Politikerin Martina Stamm-Fibich verwies auf die damalige Ungewissheit. „In dieser unübersichtlichen Situation war die Beschaffung von persönlicher Schutzausrüstung keine leichte Aufgabe“, betonte sie. Es dürfe daher keine „Hexenjagd“ geben. Dennoch sei es nötig, „dass wir kritisch aufarbeiten, was damals passiert ist“. Niemand dürfe sich aus der Verantwortung stehlen.
Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge verteidigte die Entscheidungen Spahns. Aus seiner Sicht gibt es keinen einzigen Beleg gegen unrechtmäßige Vergaben. Auch wäre ein Schaden nur dann entstanden, wenn die Lieferungen anstandslos angenommen worden wären.
Es sei „skurril, dass aus Dingen ein Skandal gemacht wird, der eigentlich keiner ist“, sagte Sorge. „Das ist an Niederträchtigkeit und Doppelmoral nicht zu überbieten.“ Sorge warf den Grünen „Schaufensterpolitik“ vor. Die Grünen hätten „im verschwörerischen Unterton Querdenkerthesen“ verbreitet.
Stephan Pilsinger (CDU), betonte, alle hätten damals Masken benötigt. Großbritannien habe für 18 Milliarden Euro Masken bestellt, „wir für 5,7 Milliarden Euro“. Bisher habe das Ministerium zudem in acht Verfahren im Wert von 50 Millionen Euro vor den Gerichten gewonnen, nur zwei Verfahren in Höhe von 0,3 Millionen Euro hätten die klagenden Unternehmen gewonnen.
Simone Borchardt (CDU) verwies darauf, dass die SPD und auch der heutige Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach alles mitgetragen hätten. „Keiner wusste, was mit dem Virus auf uns zukommt. Es gab keine Masken am Markt zu kaufen und sich jetzt über die Preise aufzuregen, die zu hoch waren, finde ich armselig“, sagte sie.
Borchardt erinnerte daran, dass damals sogar Stoffmasken für Pflegekräfte genähnt worden seien, weil es keine anderen gegeben habe. Natürlich seien Fehler passiert. Sie sei aber der festen Überzeugung, eine Politik, die Angst habe, Fehler zu begehen, mache handlungsunfähig.
Nach Angaben des gesundheitspolitischen Sprechers der Grünen, Janosch Dahmen, will die Koalition auch eine Sondersitzung des Gesundheitsausschusses beantragen. „Es braucht jetzt vollumfängliche Aufklärung und Transparenz“, sagte er gestern. Es stellten sich sehr viele Fragen: „Wann wurden mit wem welche Verträge geschlossen? An wen ging wie viel Geld?“
Dahmen betonte: „An vielen Stellen im Gesundheitswesen fehlt das Geld für wichtige Investitionen, während hier der Staat nun gezwungen sein könnte, Milliarden für Maskendeals zu zahlen, die teilweise nie geliefert wurden, vergammelt oder minderwertig waren.“
Der Gesundheitsausschuss könnte sich in der kommenden Woche mit der Maskenbeschaffung beschäftigen.
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