Kranken- und Pflegeversicherung soll zunächst aus Bundeshaushalt gestützt werden, Debatte um Lösungen

Berlin – Die Finanzlage bei der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und auch der sozialen Pflegeversicherung ist desaströs. Das ist Politik und Selbstverwaltung – wie Ärzteschaft und Krankenkassen – bewusst. Nach Lösungen wird händeringend gesucht. Die Ideen gehen auseinander, erste Versprechen gibt es aber bereits.
Bundesfinanzminister Lars Klingbeil (SPD) erklärte jüngst, die klamme Kranken- und Pflegeversicherung zunächst mit Zuschüssen aus dem Bundeshaushalt stützen zu wollen. Er sei sich bewusst, dass in den Haushalten der Sozialversicherungen aktuell „eine schwierige Situation besteht und wir hier stabilisieren müssen“, sagte Klingbeil dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.
Längerfristig seien aber „grundlegende und mutige“ Strukturreformen der Sozialversicherungen nötig. „Wir können die Probleme nicht dauerhaft einfach nur mit immer mehr Steuergeld kitten“, mahnte der Finanzminister. Er verwies auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag, nach der gemeinsam mit Fachleuten eine große Reform erarbeitet werden solle.
Zuvor hatte Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) Milliardenbeträge für beide Versicherungssysteme gefordert, um die Finanzlage zu verbessern und weitere Beitragssatzsteigerungen zu verhindern. Beide Versicherungszweige schreiben rote Zahlen.
Warken will mit einem Notpaket einen weiteren Anstieg der Beitragssätze in der GKV verhindern oder zumindest dämpfen. „Es geht um ein Gesamtpaket, um Beitragssatzerhöhungen möglichst zu vermeiden“, sagte Warken den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland. „Das werden wir im Konsens mit der gesamten Regierung schnüren.“
Die Ministerin sprach von einer „dramatischen Lage“ der Krankenkassen. Jetzt müsse zwar zügig die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kommission für eine nachhaltige Finanzierung der Krankenversicherung eingesetzt werden, die in zwei Jahren Ergebnisse liefern soll. Klar sei aber: „Wir können nicht bis zur Vorlage der Kommissionsergebnisse 2027 warten“, sagte Warken.
Als ein Baustein des Pakets brachte die CDU-Politikerin weitere Steuermittel in Milliardenhöhe für die Krankenkassen ins Gespräch. Dabei geht es ihr um die Krankenkassenbeiträge, die der Bund für die Bürgergeldempfänger zahlt. Hier sei das Problem „offensichtlich“, sagte die Ministerin: „Die Beiträge der Jobcenter reichen nicht zur Deckung ihrer Gesundheitskosten. Da gibt es eine Schieflage. Darüber werden wir reden.“
Nach Berechnungen der Krankenkassen müsste der Bund insgesamt rund zehn Milliarden Euro mehr überweisen, um die Kosten der Bürgergeldempfänger tatsächlich zu decken. Dieser Ausgleich war bei den Koalitionsverhandlungen von der Arbeitsgruppe Gesundheit vorgeschlagen worden. In der Endfassung wurde er aber wieder gestrichen.
Die Krankenkassen dringen angesichts ihrer schwierigen Finanzlage auf ein Ausgabenmoratorium. Diese Forderung blieb nicht unwidersprochen und führt im Gesundheitswesen zu neuen Diskussionen.
Kassen wollen Ausgabemoratorium
„Mit anderen Worten: Keine Preis- oder Honorarerhöhungen mehr, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen“, sagte die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Doris Pfeiffer, der Rheinischen Post. Die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) müsse angesichts der Finanznot der Kassen umgehend Sofortmaßnahmen einleiten.
„Ministerin Warken hat die GKV als ‚Notfallpatienten‘ bezeichnet und damit hat sie völlig recht“, sagte Pfeiffer. „Es braucht jetzt eine Akuttherapie, denn sonst gehen zum nächsten Jahreswechsel die Krankenkassenbeiträge durch die Decke“, warnte sie weiter. Pfeiffer wies darauf hin, dass es allein in den letzten drei Monaten acht neue Beitragssatzerhöhungen von Krankenkassen gegeben habe.
Für die kurzfristige Stabilität der GKV und zum Schutz der Beitragszahler brauche man „noch vor der Sommerpause ein Vorschaltgesetz, in dem ein Ausgabenmoratorium für sämtliche Leistungsbereiche festgelegt werden muss“, verlangte die Chefin des GKV-Spitzenverbands.
Ein solches Ausgabenmoratorium würde „durch eine strikte Bindung der Ausgabenentwicklung an die reale Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversicherung sicherstellen, dass die Beitragssätze stabil bleiben können“.
Dieses Moratorium müsse so lange gelten, bis durch geeignete Strukturreformen Einnahmen und Ausgaben wieder in ein Gleichgewicht gebracht worden seien. Zudem sei es aber auch notwendig, „dass die medizinische Versorgung der Bürgergeldbezieher endlich fair finanziert wird“, verlangte Pfeiffer weiter. Auch das sollte demnach in dem Vorschaltgesetz noch vor der Sommerpause geregelt werden.
Sie begrüßte erste Signale Warkens, wonach diese die grundlegenden Probleme der GKV rasch und im Dialog mit der Selbstverwaltung angehen wolle. „Das begrüßen wir sehr“, sagte Pfeiffer. Das Gesundheitswesen brauche wieder mehr Zusammenarbeit zwischen den vielen Akteurinnen und Akteuren.
Vertragsärzte sehen Moratorium skeptisch
„Die Finanzlage der Krankenkassen ist kritisch“, erklärten die Vorstände der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner. Das liegt aber nicht an den Niedergelassenen, die mit einem seit Jahrzehnten gedeckelten Finanzierungsrahmen bei immer steigender Leistungsnachfrage klarkommen müssten.
Ursache dafür sind aus Sicht der KBV vielmehr die milliardenschweren versicherungsfremden Leistungen, die sich der Staat „hemmungslos aus Beiträgen der gesetzlich Krankenversicherten finanzieren“ lässt. Allein für Bürgergeldbezieher würden so pro Jahr rund zehn Milliarden Euro fällig.
Den größten Kostenblock bildeten zudem die Kliniken, für die die Krankenkassen mittlerweile rund 100 Milliarden Euro aufbringen müssten. „Daran wird sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern, denn bis eine Krankenhausreform wirkt, werden Jahre vergehen“, sagten Gassen, Hofmeister und Steiner.
Ein Ausgabenmoratorium für sämtliche Leistungsbereiche hätte „zweifelsohne Einschränkungen“ bei der Patientenversorgung zur Folge. Das gehöre zur Wahrheit dazu. „Politik und Krankenkassen müssen sich hier ehrlich machen. Oder gemeinsam mit uns den Weg der Ambulantisierung gehen, zu deren Förderung sich eigentlich auch Politik seit langem zumindest mit Worten bekannt hat.“
Der Linken-Gesundheitsexperte Ates Gürpinar regte an, den Blick nicht nur auf die Ausgabenseite zu lenken. Wichtig wäre vielmehr „eine Reform hin zu einer gerechteren Beitragserhebung“, erklärte er in Berlin. Als Sofortmaßnahme könne auch die Beitragsbemessungsgrenze deutlich nach oben geschoben werden.
Kritisch äußerte er sich zur Forderung der Krankenkassen nach einem Honorardeckel. Dieser würde auch „die Falschen treffen“, zum Beispiel Physiotherapeutinnen und Psychotherapeuten oder Hebammen, warnte der Linken-Politiker. Er warf den politisch Verantwortlichen vor, eine Reform der Kassenfinanzen seit Jahren verschleppt zu haben.
Der Grünen-Fraktionsvize Misbah Khan bezeichnete die Finanzierungslücken der GKV als in der Tat „gravierend“. Sie forderte die Bundesregierung auf, umgehend darzulegen, „welche kurz-, mittel- und langfristigen Schritte sie zur Stabilisierung und nachhaltigen Finanzierung der Krankenversicherungen plant“. Khan warnte zudem vor andauernden Debatten über mögliche Mehrbelastungen.
Aus Sicht von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) muss die neue Regierung mehr voranbringen als im Koalitionsvertrag vereinbart. Man habe im Koalitionsvertrag auch Fragen offen gelassen – etwa die, wie man mit dem demografischen Wandel und der Zukunft der sozialen Sicherungssysteme umgehen wolle, sagte Merz auf dem Parteitag der Südwest-CDU in Stuttgart.
Aus Zeitgründen habe man diese Frage nicht beantworten können, die CDU selbst habe sie auch noch nicht abschließend beantwortet, räumte Merz ein. „So wie es heute ist, kann es allenfalls noch für ein paar wenige Jahre bleiben“, sagte Merz. Diese wenigen Jahre müsse man nutzen, um grundlegende Reformen der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung auf den Weg zu bringen.
Merz sagte, er sei optimistisch. Solche Reformen könne die Union ohne oder gar gegen die Sozialdemokraten sowie ohne oder gar gegen Gewerkschaften nicht wirklich durchsetzen. Vielleicht stecke in einer solchen Koalition, die keine Liebesheirat sei, auch eine große Chance.
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