Lauterbach dringt auf Pandemieabkommen bis spätestens Mai 2025

Berlin – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hält eine Einigung auf ein internationales Pandemieabkommen noch in diesem Jahr für eher unwahrscheinlich. Es sei jedoch bis Mai 2025 möglich und wäre ein enormer Schritt vorwärts, sagte der SPD-Politiker gestern bei einer der ersten Veranstaltungen des diesjährigen World Health Summits (WHS) in Berlin.
Sollte es nicht zu einem Abschluss innerhalb der nächsten Monate kommen, drohten fürchterliche Diskussionen und man könne beginnen, sich im Kreis zu drehen, warnte Lauterbach bei dem Forum für globale Gesundheit. Zudem berge ein solch langwieriger Prozess die Gefahr eines Vertrauensverlusts.
In diesem Frühjahr war der Pandemievertrag vorerst gescheitert. 194 Mitgliedstaaten der Weltgesundheitsorganisation (WHO) verhandeln dazu aber weiter. Ziel ist es, die Weltbevölkerung künftig besser vor möglichen weiteren Pandemien zu schützen.
Es wird angestrebt, einen geeinten Vertrag spätestens auf der nächsten Weltgesundheitsversammlung (WHA) im Mai 2025 zum Abschluss zu bringen. Einer der bisherigen Knackpunkte war der Patentschutz für Impfstoffe und Medikamente.
Deutschland stehe voll und ganz hinter dem Abkommen und werde alles unternehmen, damit es spätestens im Mai zustande komme, sagte Lauterbach. Zu seinen Vorstellungen zur Ausgestaltung führte er mehrere Punkte aus. So sei eine bessere Prävention nötig, was auch bedeute, dass die reichen Länder ärmere Nationen im Sinne eines One-Health-Ansatzes unterstützen müssten.
Zudem müssten sich die ärmeren Länder im Notfall darauf verlassen können, unmittelbar Unterstützung von den reicheren Ländern zu bekommen. Eine Benachteiligung des globalen Südens, etwa bei der Verfügbarkeit von Impfstoffen, dürfe es nicht geben.
Ohne das strittige Thema Patente konkret zu benennen ergänzte der Minister: Technologien, Therapien und Impfstoffe werde man nur haben und verteilen können, wenn man die Wissenschaft unterstütze. Es brauche hier eine Offenheit für die Position des globalen Nordens.
WHO-Chef weist Falschbehauptungen zurück
WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus trat bei der WHS-Eröffnung gestern Abend klar Falschinformationen zum Pandemievertrag entgegen. „Medien, Prominente, Influencer und Politiker haben falsche Behauptungen verbreitet“, sagte er. Darin gehe es darum, dass die WHO angeblich dadurch in Ländern über Lockdowns und Impfungen entscheiden könne, dass die Nationen also diesbezüglich ihre Souveränität verlieren würden.
„Wie Sie wissen, sind diese Behauptungen komplett falsch“, sagte Tedros. Er betonte, dass Regierungen sowie Social-Media-Plattformen eine Verpflichtung hätten, gegen schädliche Lügen vorzugehen und korrekte Gesundheitsinformation zugänglich zu machen.
Beim World Health Summit steht in diesem Jahr das Thema Vertrauen im Mittelpunkt: „Building Trust For a Healthier World“ (Vertrauen schaffen für eine gesündere Welt) lautet das Motto. Wenn Vertrauen zerstört werde, könnten die Konsequenzen tödlich sein, betonte Tedros bei der Eröffnungsveranstaltung.
Hintergrund sind auch die Erfahrungen der COVID-19-Pandemie, die nach Einschätzung von Fachleuten auf dem WHS zu einem Vertrauensverlust der Bevölkerung in Regierungen und Organisationen geführt hat, auch beeinflusst durch gezielte Desinformation.
Bei der nächsten Pandemie werde man wahrscheinlich mit geringem Vertrauen konfrontiert sein, sagte Mike Ryan, Deputy Director-General der WHO. Eine zentrale Herausforderung bestehe darin, sich darauf vorzubereiten, wie man unter solchen Bedingungen möglicherweise reagieren könnte.
Teilnehmende hoben unter anderem hervor, dass etwa Institutionen oder Regierungen der Bevölkerung auch Vertrauen entgegenbringen müssten, wenn sie wollten, dass man ihnen vertraue. Es sei zudem ein länger andauernder Prozess, den man nicht erst unter dem Zeitdruck einer einer akuten Krise angehen könne. Evidenzbasierte, frühzeitige Informationen seien wichtig.
Die ehemalige österreichische Gesundheitsministerin, Pamela Rendi-Wagner, die inzwischen Direktorin des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) ist, mahnte zudem an, die Sprache der Menschen zu sprechen. Wissenschaftliche Sprache könne Laien Angst machen, und das bereite Populisten den Boden.
Rendi-Wagner gab ein Beispiel, wie ihr Haus versucht, Vertrauen aufzubauen: Das ECDC setze seit einigen Monaten auf eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Mitgliedsstaaten im Rahmen von Länderbesuchen, so dass sich Fachleute beider Seiten intensiv austauschen könnten. Man müsse sich immer das gemeinsame Ziel vor Augen halten: Die nächste Gesundheitsnotlage sei kein wissenschaftlicher Wettbewerb, sondern es gehe darum, Leben zu retten, sagte Rendi-Wagner.
Auch die Bedürfnisse der Menschen und je nach Lage kulturelle Besonderheiten spielen eine Rolle. Tedros nannte das Beispiel, wie vor einigen Jahren während der Ebola-Epidemie im Kongo die Beerdigungspraxis angepasst wurde, um Familien nicht nur einen sicheren, sondern auch einen würdevollen Abschied von an der Krankheit gestorbenen Verwandten zu ermöglichen.
Das anfängliche Verfahren, Leichen aus Infektionsschutzgründen wegzubringen, hatte zu Misstrauen geführt, wie Tedros sagte. Er schilderte zudem, dass die WHO inzwischen auch versuche, junge Menschen stärker einzubinden (WHO Youth Council).
Lauterbach pocht auf wissenschaftsbasierte Politik
Dass weitere Pandemien kommen werden, steht für Lauterbach außer Frage. Er sprach von etwa 10.000 Viren, die dies möglicherweise auslösen könnten. Aber auch weitere Bedrohungen wie der Klimawandel, Kriege und derzeit noch nicht absehbare potenzielle Bedrohungen durch Künstliche Intelligenz müssen aus Sicht des Ministers berücksichtigt werden.
Zum Begegnen all dieser Gefahren sei Wissenschaft ein zentrales Instrument. Sie müsse eine Grundlage der Politikgestaltung sein. Insbesondere Krisen, die man nicht in den Griff bekommt, könnten letztlich auch demokratiegefährdend sein. Denn Populisten nutzten solche Lagen aus und säten Misstrauen. Um Vertrauen zu gewinnen, müsse man mit einer Stimme sprechen, betonte Lauterbach. Insbesondere in der Politik beobachte er aber häufig das Gegenteil.
Wichtigste Veranstaltung am Montagabend mit Bundeskanzler Scholz
Lauterbach machte sich zudem eine bessere und verlässlichere finanzielle Unterstützung für die WHO stark. Die Organisation stelle ihren Stärken täglich unter Beweis, wie jüngst beispielsweise die Polio-Impfungen für Kinder in Gaza gezeigt hätten, sagte er.
Die zentrale Veranstaltung des diesjährigen WHS am Montagabend ist für Lauterbach eine wichtige Gelegenheit: Präsentiert werden soll die WHO-Finanzierungsrunde, ein neues Finanzierungsinstrument, das der WHO helfen solle, ihr Mandat „Gesundheit für alle“ zu erfüllen, wie es in der Ankündigung heißt. Es sei die bislang größte Geberveranstaltung für die WHO-Investitionsrunde, erklärte WHS-Präsident Axel R. Pries.
Dazu werden unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), WHO-Chef Tedros und Microsoft-Gründer Bill Gates in seiner Funktion als Vorsitzender der Gates Foundation erwartet. Zudem kündigten Gesundheitsminister mehrerer Länder ihr Kommen an. Tedros selbst betonte am Sonntagabend, wie wichtig Investitionen in die WHO seien. Die COVID-19-Pandemie habe schließlich gezeigt: „Wenn die Gesundheit gefährdet ist, ist alles gefährdet.“
Lauterbach kündigte an, dass sich Deutschland deutlich zu zusätzlichen Mitteln bekennen werde. Er hoffe, dass ein hoher Betrag zusammenkomme. Beteiligt an dem Termin sind auch Frankreich und Norwegen. „Die WHO macht einen wundervollen Job und verdient ein klares Budget“, sagte der Minister.
Angesichts der zahlreichen militärischen Auseinandersetzungen, in denen Frauen und Kinder oft Opfer oder Hauptleidtragende seien, appellierte Tedros in Berlin an Kriegsparteien, nach politischen Lösungen zu suchen. Der Äthiopier sprach über die Lage im Sudan, in der Ukraine und in Gaza – und auch über eigene Kindheitserfahrungen im Krieg. „Die beste Medizin ist Frieden“, sagte er.
WHS läuft noch bis Dienstag
Auf dem WHS-Programm stehen in diesem Jahr zudem Veranstaltungen zu Themen wie Frauengesundheit, Künstlicher Intelligenz, Antibiotikaresistenzen, Klimawandel, Mpox und mentale Gesundheit. Die Veranstaltungen werden größtenteils live im Internet übertragen und sind auch im Nachhinein ohne Akkreditierung zugänglich.
Der WHS war 2009 an Berlins Universitätsmedizin Charité gegründet worden. Jährlich kommen dabei im Oktober Fachleute aus Feldern wie der Politik, der Wissenschaft und der Wirtschaft zusammen. Zu dem Forum für globale Gesundheit werden noch bis Dienstag nach Veranstalterangaben rund 3.000 Teilnehmende erwartet.
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