Politik

Liposuktion bei Lipödem wird für alle Stadien zur Regelleistung

  • Donnerstag, 17. Juli 2025
/hin255, stock.adobe.com
/hin255, stock.adobe.com

Berlin – Die Liposuktion bei Lipödem ist künftig unabhängig vom Stadium der chronischen Erkrankung eine Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Sie gilt künftig für Beine und Arme. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) heute einstimmig beschlossen. Die Leistung, die sowohl ambulant als auch stationär erfolgen kann, wird aber an enge Kriterien und Vorgaben gekoppelt.

Wissenschaftliche Grundlage für die Entscheidung sind demnach erste Ergebnisse einer vom G-BA veranlassten Studie. Die Endergebnisse liegen noch nicht vor. Die Zwischenergebnisse belegen nach Auffassung des Gremiums aber bereits, dass die operative Fettgewebsreduzierung deutliche Vorteile gegenüber einer alleinigen nicht operativen Behandlung hat.

Zu den Voraussetzungen gehören nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), dass es keine Gewichtszunahme in den sechs Monaten vor der Indikationsstellung zur Liposuktion geben darf.

Bei BMI-Werten zwischen 32 kg/m² und 35 kg/m² ist die Behandlung zudem nur bei einer sogenannten „Waist-to-Height-Ratio (WHtR)“ – also dem Taille-zu-Größe-Verhältnis – unterhalb altersentsprechender Grenzwerte möglich. Bei BMI-Werten größer als 35 kg/m² muss zunächst eine Behandlung der Adipositas erfolgen. Eine Liposuktion ist dann nicht mehr als GKV-Leistung eingeschlossen.

Für eine GKV-Leistung braucht es eine fachärztliche Diagnose im sogenannten Vier-Augen-Prinzip. Die Diagnose kann durch Fachärzte für Innere Medizin und Angiologie, für Physikalische und Rehabilitative Medizin oder für Haut- und Geschlechtskrankheiten oder mit Zusatz-Weiterbildung Phlebologie gestellt werden. Eine Indikationsstellung und die Liposuktion selbst sind durch Fachärzte für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie, andere Fachärzte des Gebiets Chirurgie sowie Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten möglich.

Als Qualifikationsnachweis sind 50 oder mehr Fälle (vor Inkrafttreten des Beschlusses) oder unter Anleitung 20 oder mehr Fälle innerhalb von zwei Jahren vorgesehen.

In der Debatte bekräftigte Ludwig Hofmann von der KBV, dass es aus medizinischer Sicht „keine klaren Abgrenzungen von Adipositas und Lipödem“ gebe. Er wies mehrfach darauf hin, dass man mit dieser Entscheidung die Versorgung „nun in einer großen Breite“ ausrolle. Auch die Vertreterin und der Vertreter der Krankenkassen betonten in der Plenumsdebatte, dass man „eine gut abgewogene Position“ beschließen würde.

Vor einer Liposuktion als Kassenleistung muss darüber hinaus unter anderem über einen Zeitraum von sechs Monaten eine konservative Therapie wie zum Beispiel Kompressions- und Bewegungstherapie kontinuierlich durchgeführt worden sein.

Wenn trotzdem keine Linderung der Beschwerden eintritt und die weiteren Voraussetzungen gemäß der Qualitätssicherungs-Richtlinie zur Liposuktion bei Lipödem vorliegen, können behandelnde Ärzte eine Liposuktionsbehandlung verordnen.

Hecken betont ausreichenden Evidenzkörper

Der Unparteiische Vorsitzende des G-BA, Josef Hecken, wies heute mehrfach auf die eindeutigen Ergebnisse der Studie hin. „Wir halten den Evidenzkörper für ausreichend, um auf dieser Basis eine evidenzbasierte Einschlussentscheidung treffen zu können“, sagte Hecken in der Plenumsdebatte.

Nach der einstimmigen Abstimmung zur grundsätzlichen Entscheidung sowie zur begleitenden Qualitätssicherungs-Richtlinie zur Liposuktion bei Lipödem stellte Hecken heraus, dass „es gut war, dass wir diese Studie gemacht haben. Die Mühe hat sich gelohnt“.

Er betonte das nicht zuletzt vor dem Hintergrund eines Urteils des Bundessozialgerichts, wonach der G-BA ohne ausreichende Evidenz keine Leistungsaufnahme in den Regelleistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) beschließen dürfe.

Bernhard van Treeck, unparteiisches Mitglied des G-BA und Vorsitzender des Unterausschusses Methodenbewertung, verdeutlichte in einer Pressemitteilung, dass dem G-BA der Leidensdruck der Betroffenen von Anfang an sehr bewusst gewesen sei.

Alle Beteiligten beim G-BA hätten sich zu Beginn des Verfahrens – das liegt nun elf Jahre zurück – eine bessere Studienlage gewünscht, aber die sei „nun mal nicht vorhanden“ gewesen. Da aber immerhin das Potenzial einer sogenannten Behandlungsalternative gesehen worden sei, habe der G-BA eine Erprobungsstudie zu Nutzen und Risiken anstoßen könne.

„Jetzt belegen die Ergebnisse dieser Studie, dass die Liposuktion einen Nutzen hat. Weitere wichtige Erkenntnisse, beispielsweise zur Notwendigkeit von Wiederholungseingriffen, werden noch erwartet“, betonte er.

Patientinnen mit weinendem und lachendem Auge

„Der lange Weg hat sich gelohnt. Der heutige Beschluss eröffnet für viele Patientinnen, bei denen eine konservative Behandlung erfolglos geblieben ist, die Möglichkeit, durch die Liposuktionen ihr krankhaftes Fett absaugen zu lassen, somit ihre Schmerzen zu verringern und ihre Lebensqualität wieder zum Positiven zu verändern“, sagte Peggy Bergert vom Verein Lipödem Hilfe Deutschland.

Deutliche Kritik äußerte die Patientenvertretung im G-BA allerdings, dass ab einem BMI von 32 bzw. 35kg/m² nur unter strengsten Voraussetzungen oder sogar gar keine Liposuktion erbracht werden darf. „Diese Regelung lässt sich aus den Studienergebnissen nicht ableiten“, so Bergert.

Sie monierte, es gebe nun zwar die Liposuktion als Kassenleistung für alle Stadien. Aber gleichzeitig „passiert damit wieder eine Einschränkung“. „Das ist für uns nicht erklärbar“, sagte Bergert. Sie stellt darüber hinaus klar, dass die konservative Therapie weiterhin in notwendigem Umfang allen Betroffenen – ob Liposuktion oder nicht – uneingeschränkt zur Verfügung stehen muss.

Letzteres fand Unterstützung beim G-BA-Chef. Hecken betonte, es gebe im G-BA keine derartigen Bestrebungen und Einschränkungen. Er habe bereits angemahnt, dass die Entscheidung des G-BA zur Liposuktion nicht an anderer Stelle durch Änderungen konterkariert werden dürften. Die mahnenden Worte gingen an Ärzte und Krankenkassen. Über diese Fragen werde beraten, betonte KBV-Vorstand Sibylle Steiner in der Debatte.

Jubel bei der Fachgesellschaft

„Heute ist ein großer Tag für uns alle“, sagte Mojtaba Ghods, Sprecher der AG Lipödem der Deutscher Gesellschaft für Plastische, Rekonstruktive und Ästhetische Chirurgie (DGPRÄC), laut Mitteilung.

Die G-BA-Entscheidung sei ein Meilenstein in der Versorgung von Lipödem-Patientinnen. „Sie gibt Betroffenen die Möglichkeit, eine notwendige und wirksame Behandlung zu erhalten, und unabhängig von ihrer finanziellen Lage den Zugang zur Therapie bekommen“, so Ghods.

Ghods war an der LIPLEG-Studie beteiligt, die nun zu der G-BA-Entscheidung geführt hat. Diese multizentrische, randomisierte, kontrollierte, verblindete Studie untersuchte Ghods zufolge die Wirksamkeit und Sicherheit der Liposuktion verglichen zu konservativen Behandlungsmöglichkeiten.

Die Studie zeigte „anhand von 450 eingeschlossenen Patientinnen, dass die Liposuktion nicht nur eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität der Patientinnen bewirken kann, sondern auch die Symptome des Lipödems nachhaltig lindern kann“.

Frauen leiden unter ihrem Aussehen

Beim Lipödem handelt es sich um eine Fettverteilungsstörung. Häufig kommt es laut Berufsverband der Frauenärzte vor allem an Hüften, Ober- und Unterschenkel sowie an den Knien zu einer unkontrollierten Fettvermehrung und einer daraus resultierenden Ansammlung von Unterhautfettgewebe. Auch die Arme können betroffen sein.

Zusätzlich bestehen vermehrte Wassereinlagerungen in den betroffenen Körper­re­gionen. Häufig leiden Betroffene unter Berührungs- und Druckschmerz und neigen zu Blutergüssen in den betroffenen Regionen. Das Lipödem tritt nahezu ausschließlich bei Frauen auf. Sie leiden oft stark unter ihrem Aussehen und fühlen sich stigmatisiert.

Für die Entstehung der Erkrankung werden laut DGPRÄC sowohl hormonelle Einflüsse durch beispielsweise Pubertät, Schwangerschaft oder Klimakterium als auch eine genetische Komponente vermutet.

Beim Lipödem werden 3 Stadien unterschieden. Im 1. Stadium ist die Haut glatt mit kleinen Knötchen und reversiblen Ödemen. In Stadium 2 ist das Hautbild an den betroffenen Stellen uneben mit walnussgroßen Knoten und nicht reversiblen Ödemen.

Stadium 3 ist durch deformierenden Fettdepots und großknotige Veränderungen, sogenannten Wammen, gekennzeichnet. Symptomatik und subjektiver Leidensdruck korrelieren dabei nicht zwangsläufig mit der Stadienklassifikation.

Konservative Therapie versus OP

Zur konservativen Lipödem-Therapie gehören manuelle Lymphdrainage, Physiotherapie, psychosoziale Therapie, Ernährungsberatung und Gewichtsmanagement. Ziel ist dabei nicht, dass das Ausmaß des Lipödems kleiner wird, sondern dass Beschwerden und Folgeerkrankungen verringert werden.

Der Zusammenhang zwischen Adipositas und dem Lipödem ist laut DGPRÄC noch nicht ganz verstanden, allerdings seien Lipödem-Patientinnen überdurchschnittlich oft von Adipositas betroffen. „Die Gewichtskontrolle sollte daher stets eine wesentliche Säule der Therapie sein“, so die DGPRÄC.

Die Liposuktion ist ein chirurgischer Eingriff, bei dem das krankheits­bedingt vermehr­te Unterhautfettgewebe entfernt wird. Mit Hilfe einer Kanüle werden Unterhautfettzellen abgesaugt. In der Regel müssen die Betroffenen für eine Behandlung mehr­mals operiert werden. Laut G-BA kann die Liposuktion dazu beitragen, dass sich die Schmerzen und eventuell vorhandene Bewegungseinschränkungen verringern.

Der G-BA legt die Beschlüsse noch dem Bundesministerium für Gesundheit zur rechtlichen Prüfung vor. Sie treten nach Nichtbeanstandung und Veröffentlichung im Bundesanzeiger in Kraft.

Bevor die Liposuktion auch im Stadium I und II eine ambulante Kassenleistung werden kann, müssen vom Bewertungsausschuss der Ärzte und Krankenkassen die Abrechnungsziffern im sogenannten Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) festgelegt werden. Der G-BA geht davon aus, dass die EBM-Ziffern bis zum 1. Januar 2026 feststehen werden.

bee/may/fri

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung