Lockdown: FFP2-Maskenpflicht und Ausgangssperre im Gespräch

Berlin – Deutschland könnte vor einer Verlängerung und Verschärfung des Coronalockdowns stehen. Der Hauptgrund ist die Sorge, dass sich auch hierzulande hochansteckende Mutationen von SARS-CoV-2 ausbreiten könnten.
Noch heute Abend wollen die Ministerpräsidenten der Länder dazu eine Lagebild von Fachleuten einholen. Morgen wollen Bund und Länder über die weiteren Schritte beraten. Im Gespräch sind unter anderem nächtliche Ausgangssperren und eine FFP2-Maskenpflicht in bestimmten Bereichen wie dem Bahnverkehr und dem Einzelhandel.
Der Pandemierat in Nordrhein-Westfalen (NRW) empfahl der Politik heute in einem Papier, die morgige Entscheidung aus einem Verständnis künftiger Normalität heraus abzuleiten, öffentlich und privat mit dem Virus leben zu können. Die Impfstoffe würden aller Voraussicht nach das Virus nicht zum vollständigen Verschwinden bringen. Sie mahnen an, die Entscheidungen „besser einzuordnen, zu begründen“ und auf „realistische Ziele hin zu orientieren“.
Der Rat, zu denen unter anderen der Virologe Hendrik Streek, und die Medizinethikerin und ehemalige Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, Christiane Woopen gehören, ermahnen die Politik, sich nicht länger nur auf ein Krisenmanagement zu beschränken.
Wichtig sei es etwa, die Frage der Ansteckungsorte zu klären. Dazu sei „zügig“ ein forschungsbasiertes und interdisziplinäres Monitoring notwendig. Auch müsse definiert werden, wie es nach einem Lockdown weitergehen soll, um nicht nach der Wiedereröffnung der Gesellschaft in ein erneutes exponentielles Wachstum der Infektionszahlen zu geraten.
Lockdown bis Mitte Februar?
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) stellte heute ein Verlängerung des Lockdwons bis Mitte Februar in Aussicht: „Ich gehe davon aus, dass das schon 14 Tage sein können, die noch einmal dazu kommen“, sagte der Finanzminister gestern Abend in einem Bild-Talk. Der aktuelle Lockdwon ist bis Ende Januar befristet. Scholz schloss nicht aus, dass auch Ausgangssperren verhängt werden. „Ich finde, das ist eine mögliche Maßnahme, aber nicht die, die als allererste ansteht.“
„Es liegt eine Auswahl von Möglichkeiten auf dem Tisch“, sagte Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier der Rheinischen Post. Er nannte neben einer FFP2-Maskenpflicht im Bahnverkehr und möglichen Ausgangssperren auch eine Homeofficepflicht und deutlich stärkere Kontaktbeschränkungen.
In Bayern müssen die Menschen bereits seit heute in Bussen, Trams, U- und S-Bahnen sowie in allen Geschäften FFP2-Schutzmasken tragen, die besser vor Infektionen schützen als Stoffmasken. Auch eine nächtliche Ausgangssperre gilt im Freistaat bereits.
Die Zahl der Neuinfektionen geht unterdessen zurück. Die Gesundheitsämter meldeten dem Robert-Koch-Institut (RKI) 7.141 Neuinfektionen binnen eines Tages. Das ist laut RKI der niedrigste Wert an Neuinfektionen seit dem 20. Oktober. Außerdem wurden 214 neue Todesfälle innerhalb von 24 Stunden verzeichnet, wie das RKI bekanntgab. Seit dem 14. Dezember war der Wert nicht mehr so niedrig.
An Montagen sind die erfassten Fallzahlen meist geringer, unter anderem weil am Wochenende weniger getestet wird. Vor genau einer Woche hatte das RKI 12.497 Neuinfektionen und 343 neue Todesfälle binnen 24 Stunden verzeichnet.
„Nach einem starken Anstieg der Fallzahlen Anfang Dezember, einem Rückgang während der Feiertage und einem erneuten Anstieg in der ersten Januarwoche scheinen sich die Fallzahlen wieder zu stabilisieren“, schrieb das RKI gestern in seinem Lagebericht.
Der Höchststand von 1.244 neuen Todesfällen war am vergangenen Donnerstag erreicht worden. Bei den binnen 24 Stunden registrierten Neuinfektionen war mit 33.777 am 18. Dezember der höchste Wert gemeldet worden – darin waren jedoch 3.500 Nachmeldungen enthalten.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder forderte die anderen Länder auf, die gemeinsam getroffenen Beschlüsse konsequenter umzusetzen. „Die Hälfte der Länder macht ja was ganz anderes“, sagte der CSU-Chef gestern in der ARD-Talkshow „Anne Will“. „So dass man auch immer wieder die Frage stellen muss: Warum beschließen wir etwas, wo dann die Hälfte das anders macht?“
Söder sieht die Vorschriften in Bayern als eine Art Blaupause für Bundesregelungen. Nach Informationen des Business Insiders erwägt das Kanzleramt eine bundesweit einheitliche, nächtliche Ausgangssperre, wie es sie bereits in Frankreich oder anderen Nachbarstaaten gibt. Aus den Bundesländern ist aber auch zu vernehmen, dass derzeit alles diskutiert werde, was diskutiert werden könne.
SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach sprach sich für einen harten, dreiwöchigen Lockdown aus. Das Wachstum der Mutation müsse unbedingt verhindert werden, schrieb er am frühen Morgen auf Twitter. Ansonsten verbreite sich die Mutation „schneller, als wir impfen können“. Ausgangssperren ab 20 Uhr seien aus seiner Sicht für drei Wochen vertretbar. Im öffentlichen Nahverkehr plädiere er für Obergrenzen bei den Fahrgästen und eine FFP2-Maskenpflicht.
Vor der Bund-Länder-Schalte muss also noch einiges abgestimmt werden. Heute Abend lassen sich die Ministerpräsidenten von führenden Wissenschaftlern über neue Erkenntnisse informieren. „Da sind die dabei, die sie alle kennen“, sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) bei „Anne Will“ und nannte namentlich den RKI-Präsidenten Lothar Wieler und den Charité-Virologen Christian Drosten.
Zur Frage, warum die Bund-Länder-Beratung so kurzfristig angesetzt wurde und warum die Lage so dränge, sagte Bouffier: „Was wir gar nicht einschätzen können, ist das britische Virus. Das ist der Grund, warum wir jetzt tagen.“ Dieses Mal werde man auch Wissenschaftler aus Großbritannien dabei haben.
„Da wird es darum gehen: Welche Erkenntnisse habt ihr?“ In Großbritannien hat sich eine ansteckendere Mutation des Coronavirus stark verbreitet, die inzwischen auch in Deutschland nachgewiesen wurde. Auch in Südafrika ist eine vergleichbare Variante aufgetaucht.
Es bestehe die Gefahr, dass sich die Dynamik noch einmal beschleunige, wenn sich die Virusmutationen weiter ausbreiteten, sagte Altmaier. „Deshalb müssen wir jetzt – und das ist explizit meine Meinung als Wirtschaftsminister – auf der Ministerpräsidentenkonferenz die Weichen so stellen, dass wir in den nächsten Wochen die Infektionswelle endgültig brechen und ein erneutes Hochschießen der Dynamik bis Ostern verhindern.“
SPD-Chefin Saskia Esken sprach bei „Anne Will“ wie Altmaier von der Homeofficepflicht: Man werde in den Unternehmen möglicherweise Homeoffice anordnen müssen, sagte sie. Auch Scholz forderte, die Betriebe in Sachen Homeoffice mehr in die Pflicht zu nehmen, es könne dort „nicht bei Appellen“ bleiben, sagte er in dem Bild-Talk.
„Wir müssen da noch einen Schritt weiter machen.“ Von einer Homeofficepflicht wollte er aber nicht sprechen: Es werde immer darauf ankommen, „dass das betrieblich auch geht. Wir wollen ja pragmatisch bleiben und nichts Unmögliches verlangen“.
Deutschlands Intensivmediziner sehen in den Plänen eines weiter bestehenden – und eventuell sogar deutlich verschärften – Lockdowns medizinisch eine absolute Notwendigkeit. Zwar seien an deutlich sinkenden Patientenzahlen auf den Intensivstationen erste positive Wirkung des aktuellen Lockdowns zu erkennen, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Gernot Marx.
Der Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care am Universitätsklinikum Aachen, betonte aber zugleich, man sei mit derzeit knapp 5.000 Patienten in intensivmedizinischer Behandlung „leider noch weit über dem Peak der ersten Welle mit 3.000 Patienten – und ganz weit entfernt von einem Normalbetrieb“. Es gelte, die Infektionszahlen weiterhin drastisch zu reduzieren, pflichtet ihm Past-Präsident Uwe Janssens bei.
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) rief die Runde dazu auf, die Kliniken mehr in den Blick zu nehmen. „Die Wucht der Pandemie erfordert sehr einschneidende Maßnahmen. Die Mutation des Virus führt zur Sorge über eine mögliche noch höhere Belastung der Krankenhäuser und zu Überlegungen zur Verlängerung und Verschärfungen des Lockdowns“, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum.
Er forderte die Ministerpräsidenten auf, den Krankenhäusern eine finanzielle Perspektive zu bieten. Es sei dringend erforderlich, dass nicht nur die Krankenhäuser, die hoch belastete Intensivstationen haben, sondern alle Krankenhäuser, die keine ausreichende Refinanzierung aus dem Regelsystem erhalten, durch Ausgleichszahlungen unterstützt würden. Darüber hinaus seien bürokratischen Belastungen und administrativen Vorgaben aufzugeben.
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