Mahnungen an die neue Regierung: „Keine Zeit verlieren“

Berlin – Erleichtert, besorgt und mit zahlreichen Wünschen an die neue Regierung. So fielen die ersten Reaktionen an Bundeskanzler Friedrich Merz und die neue Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (beide CDU) aus.
Die Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes Doris Pfeiffer sieht „viel Arbeit“ auf Warken zukommen, die „schnell angegangen“ werden müsse. Besonders drängend ist demzufolge die schlechte Finanzsituation in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).
„Wir haben Rekordbeitragssätze, wir haben nur noch sieben Prozent einer Monatsausgabe als Reserve und wenn nichts geschieht, wird sich die Beitragsspirale ungebremst weiterdrehen und die Zusatzbeiträge werden explodieren“, so Pfeiffer. Eine Kommission, die laut Koalitionsvertrag erst im Frühjahr 2027 Ergebnisse vorlegen soll, sei „angesichts dessen keine Option“. Notwendig seien „sofort kurzfristige Maßnahmen zur Finanzstabilisierung“.
Pfeiffer mahnt auch an, die Ausgaben zu senken. So müsse noch vor der Sommerpause im Rahmen eines Vorschaltgesetzes ein verbindliches Ausgabenmoratorium kommen. „Heißt konkret: Keine Preis- oder Honorarerhöhungen mehr, die über die laufenden Einnahmen hinausgehen“, so Pfeiffer. Das Moratorium müsse so lange gelten, bis durch geeignete Strukturreformen Einnahmen und Ausgaben wieder in ein Gleichgewicht gebracht worden seien.
Geregelt werden müsse auch schleunigst darin, dass die medizinische Versorgung der Bürgergeldbeziehenden endlich fair über Steuergelder finanziert würden. Allein dadurch würde die GKV um zehn Milliarden Euro oder anders ausgedrückt um etwa 0,5 Beitragssatzpunkte entlastet.
Die Chefin des AOK-Bundesverbands, Carola Reimann, bezeichnet den „holprigen Start“ von Schwarz-Rot als Bürde. Vor dem Hintergrund stark steigender Beiträge eile es jetzt aber. „Angesichts der großen Probleme, die wir gerade im Bereich der Sozialversicherungen haben, wird es nun wirklich höchste Zeit, dass die neue Regierung an die Arbeit geht.“
Mit Blick auf die geplante Installierung von Expertengremien auch für Gesundheit fordert Reimann „Turbo-Kommissionen, die jetzt so schnell wie möglich ihre Arbeit aufnehmen sollten“. Die Stabilisierung der GKV- und der sozialen Pflegeversicherung seien eilbedürftig und duldeten keinen weiteren Aufschub.
Die Betriebskrankenkassen hoffen auf eine mutige Entrümpelung des Gesundheitsrechts hin zu weniger, aber besserer Regulierung. Es sei Zeit für eine kluge Entlastung des Systems – mit mehr Beinfreiheit für die Kassen, mehr Effizienz, mehr Innovation und für eine Versorgung.
„Dieser Neuanfang bietet die Chance, heilige Kühe zu schlachten und Raum für echte Reformen zu schaffen – juristisch präzise, politisch klug und ordnungspolitisch mutig“, sagte Franz Knieps, Vorstandsvorsitzender des BKK Dachverbandes.
Er monierte, die letzte Bundesregierung habe es versäumt, echte Strukturreformen auf den Weg anzustoßen. Mit der neuen Bundesgesundheitsministerin öffne sich jetzt ein Fenster, wieder finanzielle Stabilität in die sozialen Sicherungssysteme zu bringen.
Die Aufgaben, die auf Nina Warken warten würden, seien „zweifelsohne herausfordernd“, sagte Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK. Es gelte das Gesundheitswesen auf eine solide, nachhaltige und wieder einnahmenorientierte Finanzbasis zu stellen. „Dies ist dringend nötig, um die Beiträge der Versicherten und Arbeitgebenden langfristig stabil zu halten. Dabei ist rasches Handeln notwendig, um das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in unsere Sozialsysteme und unser demokratisches System zu sichern.“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sieht als zentrale Herausforderungen ebenfalls insbesondere die Stabilisierung der Finanzierung von gesetzlicher Krankenversicherung und Pflegeversicherung. Ein pauschales Ausgabenmoratorium ist aus Sicht der DKG jedoch der falsche Weg. Vielmehr müssten beispielsweise versicherungsfremde Leistungen klar definiert und aus Steuermitteln getragen werden, um die solidarische Finanzierung der GKV nicht weiter zu überlasten, hieß es.
Neben diesen drängenden Problemen bei der Finanzierung der GKV besteht aus Sicht der DKG auch auf dem Feld der Krankenhausreform dringender Handlungsbedarf. Die Reform müsse nachgebessert werden, insbesondere die Vorhaltefinanzierung sei in ihrer jetzigen Form unpraktikabel und berge extreme Gefahren für Fehlanreize und Fehlentwicklungen, bis hin zu Wartelistenmedizin.
„Gespannt blicken wir auch darauf, wie die im Koalitionsvertrag zugesagten ,Sofort-Transformationskosten' als Direktzahlungen an die Krankenhäuser umgesetzt werden“, so Gerald Gaß, Vorstandsvorsitzender der DKG. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Entbürokratisierung.
Die Deutsche Hochschulmedizin (DHM) mahnte an, die Gesundheitsforschung mit der Universitätsmedizin im Zentrum zu stärken, Innovationen schneller in die Praxis zu bringen und die Resilienz des Systems zu stärken. Das Bekenntnis der Koalition, an der Krankenhausreform festzuhalten, bezeichnete die DHM als ein wichtiges Signal.
Mit den Leistungsgruppen und der Vorhaltefinanzierung sind den Ländern zentrale Steuerungsinstrumente gegeben, um regionale Krankenhausversorgung zukunftsfest gestalten zu können. Allerdings dürfen die im Koalitionsvertrag avisierten zusätzlichen Ausnahmen in der Krankenhausplanung nicht dazu führen, dass die ursprünglichen Reformziele verwässert werden.
Der Koalitionsvertrag sieht an mehreren Stellen die Stärkung der Biotechnologie und die klinische Forschung als wichtigen Wirtschafts- und Standortfaktor in Deutschland vor. Der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und der Medizinische Fakultätentag (MFT) sehen sowohl das BMG als auch das Forschungsministerium vor großen Aufgaben. Das gelte etwa für die Umsetzung der Krankenhausreform, die nachhaltige Finanzierung der gesetzlichen Kranken- und sozialen Pflegeversicherung und die Stärkung des Forschungsstandorts Deutschlands.
Die Pharmakonzerne fordern von der Regierung Geschlossenheit bei der Umsetzung nötiger Schritte. Der Präsident des Verbands der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa), Han Steutel, erinnerte daran, dass die USA unter Donald Trump Deutschland und Europa herausforderten und China biotechnologisch immer stärker werde. Nun zählten die Entscheidungen der deutschen Regierung.
Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst verbindet seine Glückwünsche an Merz mit der Forderung nach einem digitalen Aufbruch. „Besonders mit Deutschlands erstem eigenständigen Digitalministerium wurde der Grundstein gelegt, um die digitale Transformation von Wirtschaft, Staat und Verwaltung voranzubringen.“ Der für Merz erfolglose erste Wahlgang aber markiere einen „Tiefpunkt in der Geschichte des Bundestags“.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) hatte die neue Regierung bereits mit knapp 300 weiteren Organisationen in einer Erklärung aufgefordert, „endlich Schluss“ zu machen mit Ausgrenzung von Geflüchteten und Zugewanderten. Besorgt zeigen sich DGB und Co. von der „aufgeheizten Stimmung“ gegen Zugewanderte. Diese habe sich auch im Koalitionsvertrag niedergeschlagen.
Die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Verena Bentele, schreibt Schwarz-Rot ins Stammbuch: „Besonders die Sozialversicherungen müssen fit für die Zukunft gemacht werden.“ Die nötigen Strukturreformen seien möglich, „ohne die Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern und die Angst vor Leistungskürzungen zu schüren“.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: