Politik

Merz bekräftigt Forderung nach Einschnitten im Sozialsystem

  • Montag, 1. September 2025
Friedrich Merz
Bundeskanzler Friedrich Merz auf dem Landesparteitag der NRW-CDU in Bonn /picture-alliance, REUTERS, Thilo Schmuelgen

Bonn – In der Debatte um die Reform des Sozialstaats hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) seine Forderung nach tiefgreifenden Reformen und auch Einschnitten bekräftigt. „Wir können uns dieses System, das wir heute so haben, einfach nicht mehr leisten“, sagte Merz vorgestern auf dem Landesparteitag der NRW-CDU in Bonn.

Union und SPD haben sich Reformen der Sozialversicherungssysteme vorgenommen – etwa bei Bürgergeld, Rente, aber auch Krankenversicherung und Pflege. Hintergrund sind steigende Kosten und die Sparzwänge im Bundeshaushalt. Allerdings liegen die Positionen der Parteien noch weit auseinander.

„Das wird schmerzhafte Entscheidungen bedeuten, das wird Einschnitte bedeuten“, stellte Merz in Bonn klar. „Wir leben seit Jahren über unsere Verhältnisse“, kritisierte Merz. Dies müsse sich ändern, damit „auch die junge Generation eine Chance hat“. Der Weg dorthin werde mühsam sein, aber „ich bin fest entschlossen, diesen Weg zu gehen“, ungeachtet aller politischen Widerstände.

Das Ziel sei, dafür zu sorgen, „dass unsere sozialen Systeme auch in Zukunft leistungsfähig bleiben“, sagte Merz weiter. Dies bedeute aber, dass sie „nicht überfordert“ werden dürften und „dass die Eigenverantwortung stärker werden muss“.

Konkret nannte Merz das Bürgergeld, denn „so wie es ist, kann es nicht bleiben“. Der Kanzler verwies auch auf geplante Reformen bei der Rente, damit „die Anreize größer werden, länger im Arbeitsmarkt beschäftigt zu sein“. So wolle die Regierung noch in diesem Jahr ihr Vorhaben einer Aktivrente auf den Weg bringen, ebenso die sogenannte Frühstartrente für einen Kapitalaufbau bei jungen Menschen.

Auch CSU-Chef Markus Söder hat seine Forderung nach tiefgreifenden Reformen und Einschnitten im Sozialbereich bekräftigt. „Es braucht harte Reformen“, sagte der bayerische Ministerpräsident der Augsburger Allgemeinen. Der Sozialstaat in seiner jetzigen Form sei „ungerecht“. „Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet oder noch nie in die Sozialkassen eingezahlt hat“, forderte er.

Sachlichkeit vereinbart

Irritiert von den Äußerungen des Kanzlers zeigte sich SPD-Politiker Johannes Fechner. „Merz' heftige Attacken gegen unseren Sozialstaat passen nicht zu den sachlichen Gesprächen der Koalitionsfraktionen gerade in Würzburg“, sagte er dem Tagesspiegel.

„Auch wir in der SPD sehen sozialpolitischen Reformbedarf, aber in Würzburg haben wir uns gegenseitig zugesichert, nicht die schnelle Schlagzeile zu suchen, sondern die anstehenden Sozialreformen sachlich miteinander zu beraten“, mahnte Fechner weiter. „Es wäre gut, auch der Kanzler nähme sich diese Abmachung zu Herzen.“

Inhaltlich zu „grundlegenden Reformen des Sozialstaats“ bekannte sich aber auch SPD-Parlamentsgeschäftsführer Dirk Wiese. Dieser sei „oftmals zu bürokratisch“, sagte er der Rheinischen Post. „Unser Sozialstaat ist zweifellos ein hohes Kulturgut. Aber er ist leistungsfähig nur zu erhalten, wenn er effizienter wird“, sagte auch der frühere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) der Welt am Sonntag.

SPD-Chef und Bundesfinanzminister Lars Klingbeil warnte davor, Einsparungen vor allem im Sozialbereich vorzunehmen und mahnte, es müssten „alle ihren Beitrag leisten“. „Und ich glaube, auch wenn man sagt, sozial gerecht, dann müssen alle das Gefühl haben, dass alle auch ihren Beitrag leisten.“

Er sei gespannt, „welche Ideen der Bundeskanzler und andere dann noch haben, um eine 30-Milliarden-Lücke zu schließen“, fügte er mit Blick auf die ablehnende Haltung der Union zu Steuererhöhungen hinzu. Das Geld vor allem im Sozialbereich einzusparen sei der falsche Weg. Er lehne die Vorstellung ab, „man könnte alles Geld beim Sozialstaat, bei der Rente, bei Gesundheit, bei Pflege, bei anderen Dingen einsparen“.

„Wir haben einen Koalitionsvertrag und wir haben uns in diesem Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass die Steuern nicht erhöht werden“, sagte Merz hingegen dem ZDF. „Und dieser Koalitionsvertrag gilt“, stellte er klar.

Kritik an der Debatte übte die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), Michaela Engelmeier. „Statt die Ärmsten gegeneinander auszuspielen, braucht es eine ehrliche Debatte über Verteilungsgerechtigkeit“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland.

„Es ist unverantwortlich, das Existenzminimum infrage zu stellen, während große Vermögen und hohe Erbschaften kaum zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen“, kritisierte Engelmeier weiter.

Eine Ausgabenkürzung im Sozialsystem um fünf Prozent forderte hingegen der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, in der Bild. Er verwies auf zu hohe Arbeitskosten in Deutschland.

Boomer-Soli gefordert

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Marcel Fratzscher, fordert eine stärkere Beteiligung der Generation der Babyboomer an den Kosten für Rente, Gesundheit und Pflege.

„Die Babyboomer müssen endlich Verantwortung für ihr Handeln übernehmen“, sagte der DIW-Chef der Süddeutschen Zeitung. Fratzscher plädiert dafür, ältere Vermögende über einen sogenannten Boomer-Soli stärker an der Finanzierung der Sozialsysteme zu beteiligen und ärmere Ruheständler mehr zu unterstützen.

Der Wirtschaftsweise Martin Werding kritisiert die Ausweitung der Pflegeversicherung in den vergangenen Jahren und fordert eine Absenkung der Leistungen. „Die Pflegeversicherung war als Teilversicherung konzipiert, aber die Politik hat viele Leistungen draufgepackt“, sagte der in Bochum lehrende Wirtschaftswissenschaftler dem Stern. Die vielen Leistungen ließen sich aber nicht mehr lange finanzieren – vor allem, wenn bald die Babyboomer ins Pflegealter kommen würden.

Damit das System nicht kollabiere, müssten die Menschen grundsätzlich zunächst ihre eigene Rente und auch ihr Vermögen für die Pflege einsetzen, betonte der Ökonom, der Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft ist: „Ich verstehe, dass Menschen ihr Vermögen vererben wollen. Aber dafür muss wirklich nicht der Staat sorgen.“ Für arme Senioren gebe es Sozialhilfeleistungen, um Härten abzufedern.

„Es droht keine massenhafte Verarmung durch Pflege“, fügte Werding hinzu. Grundsätzlich werde bei der Diskussion über die Finanzierung des Sozialstaats zu viel über die Armen gesprochen. Doch eigentlich beträfen die meisten Änderungen „eher Menschen, die Besitzstände haben und nicht alles vom Staat abgefedert bekommen müssen“. Der Umverteilungscharakter im deutschen Sozialstaat sei nicht so groß wie oft angenommen.

Der Ökonom sieht auch nicht viel Potenzial darin, Reiche mehr zur Finanzierung des Sozialstaats beitragen zu lassen. „Die Reichen können die Milliardenlöcher in den Sozialversicherungen nicht stopfen.“ Hochverdiener zahlten bereits viel in die Systeme – „und selbst wenn sie mehr zahlten, würde das nicht reichen“. Man müsse daher vor allem die Ausgaben für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung senken.

Das Grundproblem des Sozialstaats sei, dass das System weiterhin überwiegend über das Umlageverfahren finanziert sei, ergänzte Werding: „Die Erwerbstätigen finanzieren die Leistungen für die Älteren, speziell bei Rente, aber auch bei Kranken- und Pflegeversicherung. Es gibt aber immer mehr ältere Menschen, die weniger oder nichts einzahlen, aber mehr Leistungen in Anspruch nehmen. Das ist, als wollte man mit Verbrennungsmotoren den Klimawandel bewältigen: Umlage und demografische Alterung passen einfach nicht zusammen.“

Nach Ansicht des Ökonomen ist es notwendig, die betriebliche Vorsorge auszubauen und ein neues, staatlich gefördertes Produkt für die private Altersvorsorge zu etablieren. Außerdem müsse das Gesundheitssystem effizienter und kostengünstiger werden.

dpa/afp/kna/EB

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