Modellvorhaben Genomsequenzierung startet

Berlin – Ab diesem Monat können erste Patienten im Rahmen des Modellvorhabens Genomsequenzierung nach Paragraf 64e Sozialgesetzbuch V (SGB V) behandelt werden. Spezifische Diagnostik und Therapien für ihre jeweiligen spezifischen Erkrankungen können jetzt schneller und präziser erfolgen.
„Hinter uns liegen drei Jahre intensiver Arbeit in einem großen Konsortium sowie die Beteiligung vieler klinischer Netzwerke, Fachgesellschaften und Infrastrukturinitiativen, die gemeinsam an dem Projekt gearbeitet haben“, würdigte Sebastian C. Semler, Leiter der Koordinationsstelle genomDE, die Anstrengungen der vergangenen Jahre auf Dritten genomDE-Symposium heute in Berlin.
Perspektivisch könne durch genomische Medizin und die Nutzung genomischer Informationen als innovativem Bestandteil der Regelversorgung eine neue Versorgungsrealität im Gesundheitsbereich entstehen.
Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) ist davon überzeugt, dass die medizinische Versorgung enorm durch die Verfügbarkeit und Verknüpfbarkeit genomischer Daten und klinischer Versorgungsdaten profitieren wird.
„Diese Woche ist eine besondere Woche für den medizinischen Fortschritt in Deutschland“, sagte er zur Eröffnung des genomDE-Symposiums in Berlin. Zum einen sei das Symposium der Startschuss für eine Genommedizin, die Deutschland schon lange gebraucht habe und die jetzt ermöglicht werde. Zum anderen sei die heutige Verabschiedung des Medizinforschungsgesetzes im Deutschen Bundestag wichtig.
Ohne mehr Genomforschung in der Versorgung und ohne mehr Medizinforschung unter diverser Nutzung künstlicher Intelligenz ließen sich nicht die großen Lücken zu schließen, die derzeit bestünden, so Lauterbach. „Diese Lücken treffen zum Beispiel die Krebserkrankungen.“ Aber auch Demenzerkrankungen und andere degenerative Erkrankungen sowie seltene Erkrankungen seien nach wie vor Herausforderungen, für die es gelte, Lösungen zu finden.
„Wir sind am Vorabend einer Revolution in der Medizin“, sagte der Bundesgesundheitsminister vor den Teilnehmenden des Symposiums. „Sie haben Pionierarbeit, Leuchtturmarbeit geliefert!“ Die Revolution werde durch zwei wesentliche Achsen getragen: die bessere Nutzung genetischer Daten und die Nutzung künstlicher Intelligenz, so Lauterbach weiter. „Diese Achsen werden sich in den nächsten Jahren zunehmend kreuzen und dort, wo sie kreuzen, wird der medizinische Fortschritt sein“, sagte Lauterbach.
Nach wie vor bestünde jedoch das Problem, dass man nur selektive Verträge mit einzelnen Krankenkassen für eine Finanzierung dieser Versorgung hätte. Zudem seien die Daten, die generiert würden, zu einem großen Teil nicht interoperabel. „Diese beiden Megaprobleme müssen wir lösen“, betonte der Bundesminister.
Es könne nicht dem Zufall eines selektiven Vertrags zu verdanken sein, ob jemand die Versorgung bekomme oder nicht. „Wir brauchen ein Regelwerk, das strukturiert die Bevölkerung auf dem Gebiet der Genommedizin versorgt. Und die Daten, die dann gewonnen werden, dürfen nicht verloren gehen, weil sie nicht interoperabel sind.“
Ein Vertrag für das Modellvorhaben wurde jetzt zwischen dem Verband der Universitätsklinika in Deutschland (VUD) und dem GKV-Spitzenverband (GKV-SV) geschlossen. Dieser schaffe die vertragliche Grundlage für den Start des Modellvorhabens und ermögliche eine innovative Versorgung von Menschen mit einer Seltenen Erkrankung oder einer fortgeschrittenen Krebserkrankung, so die Beteiligten.
„Mit dem Modellvorhaben wird die Genomsequenzierung bei Seltenen Erkrankungen und Krebserkrankungen an Universitätskliniken ermöglicht. Das ist ein innovativer und zukunftsweisender Impuls für eine gezielte und bessere Versorgung“, erklärte Jens Bussmann, Generalsekretär des Verbandes der Universitätsklinika Deutschlands (VUD).
Stefanie Stoff-Ahnis, stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, erklärte, dass die gesetzliche Krankenversicherung damit in die Zukunft investiere und den Weg für eine bessere, innovative Versorgung der Versicherten bereite. „Dies geschieht weltweit erstmalig, womit Deutschland eine Vorreiterrolle einnimmt“, betonte sie.
An dem Modellvorhaben werden zunächst etwa als zwanzig Universitätsklinika teilnehmen. Künftig sollten aber weitere Universitätsstandorte an angeschlossen werden, sagte Lauterbach. „Wir brauchen hier ein Netzwerk der Deutschen Universitätsmedizin.“ Nur so könne man flächendeckend die Versorgung sicherstellen.
Der Bund werde die Genom-Rechenzentren und die klinischen Datenknoten als notwendige Infrastruktur finanzieren, bestätigte er. Mit dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Plattformträger und dem Robert-Koch-Institut (RKI) als Vertrauens- und Treuhandstelle würden Stellen geschaffen, sodass die wichtigen Daten ausgewertet und zusammengeführt werden könnten.
Generell soll das „Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung bei seltenen und bei onkologischen Erkrankungen“ fünf Jahre lang die Integration der Genomsequenzierung in die Gesundheitsversorgung als Kassenleistung erproben. Ziel ist eine einheitliche, qualitätsgesicherte, standardisierte und nach dem Stand von Wissenschaft und Technik zu erbringende Diagnostik und personalisierte Therapiefindung.
Um die Genomsequenzierung zum Bestandteil der Regelversorgung zu machen, war die vom Bundesgesundheitsministerium geförderte Initiative genomDE unabdingbar. Nach Schaffung der rechtlichen Grundlagen 2021 wurde mit ihr die entsprechende Dateninfrastruktur konzipiert und eine bundesweite Plattform zur medizinischen Genomsequenzierung aufgebaut, die in diesem Jahr ebenfalls an den Start gegangen ist.
Als Koordinationsstelle für das Projekt genomDE hat die Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) gemeinsam mit dem genomDE-Konsortium die konzeptionellen Grundlagen für das Modellvorhaben geschaffen. Insbesondere entwickelte sie das Konzept für die Dateninfrastruktur zur sicheren Nutzung von genomischen und klinischen Daten.
„Genomsequenzierung und genomische Medizin wecken nicht nur Erwartungen, sondern auch Erklärungsbedarfe“, betonte TMF-Geschäftsführer Semler heute. Das genomeDE-Projekt habe sich daher sehr intensiv auch der Kommunikation gewidmet, gegenüber Öffentlichkeit und insbesondere gegenüber Patientinnen und Patienten.
Auf dem Symposium wurde heute erstmals ein Erklärfilm gezeigt, der als Kombination aus Realfilm- sowie Animationsfilm-Modulen anschaulich Genommedizin und Genomsequenzierung erklärt.
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