Modellvorhaben zur Genomsequenzierung soll 2024 starten

Berlin – Die Genomsequenzierung zur Diagnostik der Onkologie und der seltenen Erkrankungen könnte in Deutschland in einigen Jahren Bestandteil der Regelversorgung sein. Den Weg dahin soll die Plattform genomDE mit einem Modellvorhaben ebnen. Der Start war ursprünglich für Januar 2023 angedacht, wurde aber um ein Jahr verschoben.
Auf dem Weg in die Versorgung müssen zuerst ethische, regulatorische und sicherheitstechnische Fragen geklärt werden. Mit Inkrafttreten des Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetzes (GVWG) wurde im Juli 2021 mit dem Paragrafen 64e des Sozialgesetzbuch V (SGB V) „Modellvorhaben zur umfassenden Diagnostik und Therapiefindung mittels Genomsequenzierung bei seltenen und bei onkologischen Erkrankungen, Verordnungsermächtigung“ dafür eine rechtliche Grundlage geschaffen.
Dieses Gesetz wurde jedoch zwei Herausforderungen, die sich schon sehr früh gezeigt haben, nicht gerecht, erklärte Sebastian Semler, Geschäftsführer der Technologie- und Methodenplattform für die vernetzte medizinische Forschung (TMF) bei einer Veranstaltung des Tagesspiegels im Juni: ein hoher Regelungsbedarf und Umsetzungsaufgaben mit sehr kurzer Frist.
„Zugleich wurde klar, dass die vorgesehene Infrastruktur die Ziele des Gesetzes – die Versorgungsverbesserung – gar nicht hinreichend unterstützt“, so Semler. Damit die genomDE-Plattform das Modellvorhaben umsetzen kann, sind laut Semler noch wichtige Grundlagen bis zum Beginn in den kommenden Jahren zu klären: einheitliche Einwilligung, Datenschutz, Datenharmonisierung und eine praktikable Dateninfrastruktur sowie ein optimales Informationsmanagement für Betroffene.
Daher wurde der Start des Modellvorhabens um ein Jahr verschoben und das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) hatte eine Überarbeitung des Paragrafen angekündigt.
Vorgesehe Änderungen im Gesetz
Als wichtigste Änderungen an der Dateninfrastruktur des Paragrafen 64e SGB V seien die dezentrale Datenhaltung bei den Leistungserbringern, Genomrechenzentren und klinische Datenknoten geplant, teilte das BMG auf Nachfrage mit.
Dies erfülle die datenschutzrechtlichen sowie fachlichen Anforderungen, die unter Einbeziehung der genommedizinischen Expertise in Deutschland (Initiative genomDE) vorgeschlagen wurden. Bestehende Strukturen in Versorgung und Forschung würden damit einbezogen. Die Governance solle beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), die Vertrauensstelle am Robert-Koch-Institut (RKI) verbleiben.
Dorothee Andres vom Referat 116 – Biotechnologische Innovation, Nanotechnologie und Gentechnik des BMG erklärte beim zweiten genomDE-Symposium im Juli in Berlin zum Modellvorhaben: „Vorgeschlagene Datendienste erlauben Nutzungsberechtigten eine automatisierte Verarbeitung genomischer und klinischer Daten in einer sicheren Arbeitsumgebung – im Bereich Versorgung und Forschung.“
Das BMG habe diesbezüglich Anpassungen des Paragrafen 64e SGB V vorgesehen (Ausschussdrucksache 20(14)117.1 vom 8.6.2023) und werde diese in Kürze im Rahmen eines laufenden Gesetzgebungsprozesses in die parlamentarischen Verfahren einbringen.
Der Entwurf sei aber noch nicht final und solle in ein anderes Gesetzgebungsvorhaben aufgenommen werden, teilte das Ministerium weiter mit. Die neuen gesetzlichen Regelungen zum Genomdatenmodellvorhaben sollen demnach im Laufe des Jahres 2023 erfolgen. Andres ist überzeugt, dass die Patienten im Modellvorhaben deutlich von den geplanten Änderungen profitieren werden.
Viele Fragen noch offen
„Wir erwarten weiterhin mit großer Spannung die Novellierung des Modellvorhabens Paragrafen 64e, das, wie zu hören ist, in das angekündigte Gesundheitsdatennutzungsgesetz integriert werden soll“, so der Geschäftsführer der TMF, die das genomDE-Projekt koordiniert. In diesem Rahmen müssten verschiedene rechtliche Fragestellungen geklärt werden – unter anderem, was aus der Umsetzung des Forschungspseudonyms werde.
Ein großer Teil der Arbeit liege in der Harmonisierung der Prozesse, bestätigte Nisar Malek, Deutsches Netzwerk für Personalisierte Medizin (dnpm), Universitätsklinikum Tübingen beim Symposium in Berlin.
Ansonsten würden die Kliniken im Netzwerk Äpfel mit Birnen und Pflaumen und Kirschen vergleichen.
„Im ZPM hat es fast fünf Jahre gedauert, bis wir alle Datensätze über die veschiedenen Kliniken harmonisiert hatten“, stellte Malek den zeitlichen Aufwand klar.
Die Plattform genomDE strebt auch eine Anbindung an den europäischen Datenraum an. Denn neben Deutschland haben sich auch in vielen anderen europäischen Ländern Netzwerke für personaliserte beziehungsweise Genommedizin gebildet.
Dazu zählen unter anderem in England die NHS Genomic strategy, in Frankreich die 2025 French Genomic Medicine Initiative, in Schweden Genomic Medicine Sweden, in Dänemark das Danish National Genome Center, regionale Onkologie Netzwerke und Genomplattformen in Italien und Precision Medicine Infrastructure associated with Science and Technology in Spanien.
Ganzgenomsequenzierung schließt diagnostische Lücken
Das Modellvorhaben fokussiere auf die Gesamtgenomsequenzierung (WGS). Denn die seltenen Erkrankungen würden heute nur noch davon profitieren, so Malek.
Argumente für eine WGS erläuterte erst kürzlich auch Olaf Rieß, Direktor des Instituts für Medizinische Genetik und angewandte Genomik, Sprecher des Zentrums für seltene Erkrankungen in Tübingen im Interview mit dem Deutschen Ärzteblatt.
Aber nicht nur die seltenen Erkrankungen könnten von der WGS profitieren. „Auch Netzwerke aus der Onkologie setzen schon jetzt auf die WGS“, erläuterte Malek.
In der klinischen Routine von Tumorerkrankungen würden derzeit immer noch Panel-Sequenzierungen am häufigsten eingesetzt, weil daraus die größte Tiefe der Sequenzierung resultiere und die beste Information über potenzielle Targets.
Das bestätigte auch Jürgen Wolf, Nationales Netzwerk Genomische Medizin – Lungenkrebs (nNGM), Universität zu Köln. Welche Methode geeignet sei, müsse man sich gut überlegen. In der somatischen Onkologie seien die meist kleinen Biopsien ein Problem, erklärte Wolf. Die Methode der Wahl sei derzeit die Panel-Sequenzierung.
„Aber auch die WGS hat ihren Wert aufgrund der Mehrinformation, um das Feld insgesamt voranzubringen.“ Komplexe, strukturelle Aberrationen in Tumoren, in denen keine vordefinierten Treibermutationen nachweisbar sind, könnten nur mit Einsatz der WGS in Verbindung mit weiteren Methoden, wie etwa der RNA-Sequenzierung analysiert werden. „Deswegen haben beide Methoden ihre Berechtigung“, sagte der Ärztliche Leiter des Centrums für Integrierte Onkologie am Universitätsklinikum Köln.
„Wir werden uns jetzt in den nächsten zwei Jahren von der Panel-Sequenzierung in Richtung Exom- und Ganzgenomseuqnezierung bewegen – das ist die Zukunft“, ist Malek überzeugt. Die Übergangszeit sei aufgrund der unzureichenden Strukturen notwendig.
Wie viele WGS, WES und Panel-Sequenzierungen im Rahmen des Modellvorhabens pro Jahr in etwa an wie vielen Zentren durchgeführt werden ist Bestandteil der Vertragsverhandlungen zwischen dem GKV-Spitzenverband sowie dem Verband der Universitätsklinika Deutschlands.
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