Nach neuer STIKO-Empfehlung: Spahn wirbt für Astrazeneca plus Biontech oder Moderna

Berlin – Für die Umsetzung der überraschend geänderten Impfempfehlung für Astrazeneca hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn ausreichend Impfstoff zugesichert. „Es wird sehr zügig gehen können, die Empfehlung umzusetzen, weil ausreichend mRNA-Impfstoff da ist“, sagte der CDU-Politiker nach Beratungen mit seinen Länder-Kolleginnen und -Kollegen heute in Berlin.
Laut dem Beschluss der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) am Vormittag „beabsichtigt“ der Bund, „sicherzustellen, dass jede mit Astrazeneca begonnene Impfserie mit einem mRNA-Impfstoff abgeschlossen werden kann.“ Dies solle „baldmöglichst" geschehen, betonten Bund und Länder in ihrem Beschluss. Über die genauen Pläne zur Logistik für Impfzentren sowie für Vertragsarztpraxen gibt es noch keine Angaben. Die Kassenärztliche Bundesverenigung (KBV) forderte hier schnelle Lösungen.
Die Ständige Impfkommission (STIKO) hatte gestern überraschend mitgeteilt, dass Menschen, die eine erste Dosis des Coronaimpfstoffs von Astrazeneca erhalten haben, künftig unabhängig vom Alter als zweite Spritze einen mRNA-Impfstoff wie den von Biontech oder Moderna erhalten sollen.
„So eine Empfehlung kann natürlich leicht viele, die sich impfen lassen wollen, im ersten Moment verunsichern“, räumte Spahn ein. Er und die Gesundheitsminister der Länder seien von der Entscheidung überrascht worden.
Beim Chef der Impfkommission, Thomas Mertens, der bei den Ministerberatungen zugeschaltet gewesen sei, hätten die Politiker deshalb dafür geworben, „dass wir miteinander noch etwas besser die Kommunikation zwischen Wissenschaft und Politik machen“.
Spahn aber auch andere Minister zeigten sich in ihren Erklärungen sichtlich verärgert. So erklärte der Bayerische Gesundheitsminister und diesjährige GMK-Vorsitzende Klaus Holetschek (CSU): „Wir haben der STIKO aber auch zu verstehen gegeben, dass kurzfristige Kommunikation zu dem in unserer Bevölkerung so wichtigen Thema des Impfens gegen das Coronavirus Irritationen auslösen kann.“ Über neue Kommunikationsstrukturen wolle man sich nach der Pandemie austauschen, kündigte Holetschek an.
Allein in der kommenden Woche sind nach Schätzungen von Spahn 500.000 bis 700.000 Menschen betroffen, bei denen eigentlich eine Zweitimpfung mit Astrazeneca ansteht. Bei den etwa 2,5 Millionen Menschen, die bereits zwei Impfungen von Astrazeneca bekommen haben, warb er für Verständnis. „Auch diese Impfung ist sehr gut und schützt.“
Spahn betonte die besonders hohe Wirksamkeit einer Kreuzimpfung mit dem Impfstoff von Astrazeneca für die erste und dem Vakzin von Biontech/Pfizer oder Moderna für die zweite Spritze. Dazu komme, dass die neue Empfehlung einen Abstand der zweiten zur ersten Impfung von nur vier Wochen umfasse. Man müsse also nicht mehr bis zu zwölf Wochen warten, wie es bisher bei Astrazeneca empfohlen war.
„Diese Kombination ist eine der bestverfügbaren Impfkombinationen, die es aktuell gibt“, sagte Spahn. Dies mache den Impfstoff von Astrazeneca attraktiver. Derzeit seien viele Dosen von Astrazeneca in Deutschland vorrätig. Allein in den kommenden Tagen würden 2,4 Millionen Dosen davon geliefert.
In dem Beschluss der Bundesländer heißt es zudem, dass Volljährige, die sich zwischen Juli und August mit Astrazeneca erstimpfen lassen, vier Wochen später eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff bekommen können. Auch damit wollen Bund und Länder das Impftempo erhöhen.
Bayern und Baden-Württemberg kündigten nach der GMK-Sitzung an, möglichst schnell in ihren Impfzentren die neue Empfehlung umsetzen zu wollen. In Baden-Württemberg soll bereits ab dem morgigen Samstag die Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff angeboten werden können.
Kommende Woche wolle man dann entscheiden, „wie die Verteilung der Impftermine und des Impfstoffs in den Impfzentren logistisch am besten erfolgen kann, damit von dem Angebot alle zügig profitieren können“, sagte Gesundheitsminister Manne Lucha (Grüne). Menschen mit Impfterminen sollten nun diese Entscheidungen abwarten.
Auch Niedersachsen rüste sich für eine angekündigte Empfehlung der Impfkommission, dass mit Astrazeneca erstgeimpfte Menschen künftig unabhängig vom Alter als zweite Spritze einen mRNA-Impfstoff wie den von Biontech oder Moderna erhalten.
Dies erfordere zwar eine Umstellung der Impflogistik, weil eigentlich für Erstimpfungen vorgesehener Impfstoff nun für die Zweitimpfung abgezweigt werden muss, sagte der Sprecher des Gesundheitsministeriums, Oliver Grimm. Angesichts der großen Impfstofflieferungen ergäben sich aber keine Kapazitätsprobleme.
Auch Hamburg erklärte, man wolle die STIKO-Entscheidung nun umsetzen, warnte aber davor, dass sich damit das Impftempo für jüngere verlangsame. Der vorhandene mRNA-Impfstoff von Biontech und Moderna werde jetzt vorrangig für die anstehenden 50.000 Zweitimpfungen von Menschen mit Astrazeneca-Erstimpfung gebraucht.
Die Folge: „Wir haben heute die Terminvergabe für neue Erstimpfungen einstellen müssen“, sagte Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD). Das gelte zumindest für die kommenden zwei Wochen. Es bedeute auch, dass sich das Impftempo bei den jüngeren Altersgruppen etwas verlangsamen werde.
Für die Hausärzte prüft das Bundesgesundheitsministerium der Senatorin zufolge, wie kurzfristig mehr mRNA-Impfstoffe bereitgestellt werden können.
Über die genaue Logistik für Arztpraxen gebe es momentan keine weiteren Informationen, sagte auch die KBV. „Wir brauchen hier dringend eine Lösung, zumal die Gesundheitsministerkonferenz heute allen bereits mit Astrazeneca Erstgeimpften zugesagt hat, ihnen ,baldmöglichst' zur Vervollständigung der Impfserie eine Zweitimpfung mit einem mRNA-Impfstoff anzubieten. Dies können nicht die Praxen ausbaden“, erklärte KBV-Vizechef Stephan Hofmeister.
Denn die Praxen seien noch damit beschäftigt, die Wartelisten für Erstimpfungen abzuarbeiten, da in den vergangenen Wochen mRNA-Impfstoff knapp gewesen sei. Für die kommenden Wochen können Vertragsärzte allerdings unbegrenzt Impfstoff bestellen.
KBV-Chef Andreas Gassen geht davon aus, dass in den nächsten Wochen drei Millionen Astrazeneca-Zweitimpfungen anstehen. „Dafür brauchen die Ärztinnen und Ärzte schnell ausreichend mRNA-Impfstoff wie von BioNTech/Pfizer“, so Gassen.
Insgesamt habe dieser erneute Wechsel dem Image des Impfstoffes geschadet: „Bei dem ewigen Hin und Her um den Impfstoff von Astrazeneca und die infolge entstandene Verunsicherung in der Bevölkerung ist zu befürchten, dass es kaum noch Erstimpfung mit Astrazeneca geben wird“, sagte Gassen.
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